Ein Kellerraum. Schwarz gestrichene Wände. Eine Digitalkamera. Vorsichtig nehmen zwei Frauen eine Landkarte auseinander und breiten sie auf einer Platte aus.
Sie legen eine Glasscheibe darüber. Ein Knopfdruck, und unter dem Glas entsteht ein Vakuum. Die Falten in der Landkarte glätten sich. Das Gebiet um Smolensk ist abgebildet, im heutigen Westrussland. Dicke farbige Pfeile und Linien. Eine Militärkarte der Wehrmacht aus dem Juni 1941.
"Jetzt können wir die Karte gut fotografieren. So ein Vakuum-Gerät gibt es noch in der Tretjakow-Galerie, sonst nirgendwo in Russland," sagt Igor Permjakow, Direktor des Zentralarchivs des russischen Verteidigungsministeriums. Rund ein Dutzend Mitarbeiter digitalisieren hier derzeit Militärakten der Wehrmacht, sogenannte Trophäenbestände. Die rund 28.000 Dokumente wurden zum größten Teil nach Kriegsende erbeutet. Es sind vor allem Karten, aber auch Militärtagebücher, Berichte von Militäroperationen, Fotoalben. 70 Jahre lagen sie weitgehend ungenutzt in den Magazinen in Podolsk. Niemand interessierte sich so recht dafür. Seit Sommer letzten Jahres werden sie Stück für Stück gescannt und online gestellt.
Historiker hoffen auf Neues über Schicksale von Kriegsgefangenen
Das Deutsche Historische Institut Moskau beteiligt sich mit 2,5 Millionen Euro an dem Projekt. Unterstützt von der Max Weber Stiftung, setzt sich das DHI seit 2005 für die wissenschaftliche Zusammenarbeit deutscher und russischer Historiker ein. Von dem Geld wurden vor allem hochwertige Scanner gekauft. Auf deutscher Seite ist der Historiker Matthias Uhl beteiligt. Er blättert in einem Ordner mit vergilbten mit der Schreibmaschine beschriebenen Seiten. Der Bericht eines Befehlshabers der Heeresgruppe Mitte:
"Die Wehrmacht hat allein in diesem Zeitraum, innerhalb von weniger als zwei Wochen, 642 sogenannte Juden und Bolschewiken erschossen und mehr als 330 Partisanen und Saboteure hingerichtet. Das spricht zum Einen für die wirkliche Härte der Kämpfe an der Ostfront und zeigt auch noch mal ganz deutlich, dass auch die Wehrmacht sehr massiv in Kriegsverbrechen verwickelt war."
Nun ist diese Erkenntnis nicht wirklich neu. Der Wert der Akten bestehe denn auch vielmehr darin, bereits Bekanntes auf eine breitere Basis zu stellen. Neues verspricht sich Uhl insbesondere über das Schicksal sowjetischer Kriegsgefangener. Wie das von Valerij Schukow, im Zivilberuf Lokführer. Auch seine Personalkarte liegt im Zentralarchiv in Podolsk. Handschriftlich ist vermerkt: "2.8.44 wegen Widerstand erschossen".
Es hat mehrere Jahre gedauert, das russische Militärarchiv zur Zusammenarbeit zu bewegen. Den Ausschlag gab eine Initiative des russischen Präsidenten im Jahr 2011.
Die Rückgabe der Akten ist für Russland weiterhin ein Tabu
Russlands Führung hat ein Interesse an einer Veröffentlichung der deutschen Beuteakten. Ihrer Ansicht nach wird der Anteil der sowjetischen Armee am Sieg über Hitler-Deutschland wegen antirussischer Ressentiments im Westen nicht gebührend gewürdigt. Der Historiker Matthias Uhl lobt die intensive Zusammenarbeit mit dem ansonsten eher schwer zugänglichen Militärarchiv:
"Obwohl sich die politischen Rahmenbedingungen nicht verbessert haben, ist es so, dass die konkrete Arbeit ohne Probleme fortgesetzt werden kann. Ich denke, dass man auch vonseiten des Militärs um Öffnung bemüht ist, um auch zu zeigen, wir können auch anders."
Die Rückgabe der Akten allerdings ist für Russland weiterhin ein Tabu. Deutsche und Russen sind aber übereingekommen, dass es jetzt zunächst einmal wichtiger ist, die erbeuteten Schätze der Öffentlichkeit zu zeigen, unabhängig davon, wo sie lagern. Archivdirektor Permjakow:
"Dokumente müssen erforscht und benutzt werden, um Arbeiten zu schreiben. Der Zugang ist wichtig. Alles andere ist eine Frage der Zukunft."
Das gilt nicht nur für deutsche Militärakten. Im Puschkin-Museum in Moskau wird am Wochenende eine Cranach-Ausstellung eröffnet. Darin hängen Leihgaben aus dem thüringischen Gotha neben Cranach-Werken, die die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg erbeutete und die seitdem in Russland lagern.
Die Akten der Wehrmacht kann man auf der Seite www.germandocsinrussia.org einsehen. Die Nachfrage ist groß. Die Seite verzeichnete seit dem Start vor einem halben Jahr bereits 1,2 Millionen Zugriffe, die meisten aus Deutschland.