Archiv

Dokumente des Gedenkens
Die Solidarität mit den Terroropfern wird archiviert

Unmittelbar nach den Attentaten vom 13. November in Paris sind Tausende Menschen zu den Orten der Anschläge gekommen, um dort um die Opfer zu trauern. Sie zündeten Kerzen an, hinterließen selbstgemalte Bilder oder Blumen. Die Zeugnisse der Solidarität aus dem In- und Ausland werden nun archiviert.

Von Suzanne Krause |
    US-Präsident Barack Obama (re.) und Frankreichs Staatschef François Hollande legen Blumen vor der Konzerthalle Bataclan nieder
    US-Präsident Barack Obama (re.) und Frankreichs Staatschef François Hollande legen Blumen vor der Konzerthalle Bataclan nieder (AFP / Philippe Wojazer)
    Ein Mitarbeiter führt in einen Archivraum – vorbei an der Laderampe, an der die Fahrzeuge mit den Fundstücken von den improvisierten Gedenkstätten ankommen. Jeden Morgen sind Archivare unterwegs, um mit dem Straßenreinigungsdienst die Andenken einzusammeln, die sonst von Regen und Feuchtigkeit zerstört würden. Im Archivraum, in hohen Metallregalen, trocknen Tausende bemalte, beschriebene Zettel. "Paix", "Frieden" steht in Neon-Rosa auf einem ausgerissenen Blatt, daneben liegt ein Porträtfoto, ein Bibelbildchen, ein Zettel mit der Botschaft: "Wir sind Muslime – Ihr seid Terroristen, Hochstapler". Gérard Chaslin hat gerade den Inhalt einer gelben Plastikkiste ins Regal geräumt. "Der Eiffelturm mit dem Peace-Zeichen ist auf vielen Botschaften verewigt. Heute Morgen habe ich vor dem Konzertsaal Bataclan auch Gedichte eingesammelt, von Victor Hugo und Louis Aragon. Wir haben gar keine Zeit, alles zu lesen, wir sind mit dem Sammeln beschäftigt. Das ist auch besser so, die Arbeit ist schmerzlich. Die Anwohner rund um den Bataclan sind froh, dass wir alles für die Nachwelt einsammeln. Das ist ihnen wichtig, ebenso wie, dass wir an den Gedenkstätten vorsichtig aufräumen. Sie haben den Eindruck, mitten auf einem Friedhof zu leben."
    "Dienst für die Opfer"
    Jeder hat sich freiwillig zu diesem Einsatz gemeldet. Die Arbeitsstunden zähle er erst gar nicht, sagt Chaslin. Das sei einfach seine Pflicht, meint er. "Unsere Arbeit ist sehr wichtig für sie – und auch für uns. Sie – die Opfer. Vorhin las ich auf einem Zettel: 'Ihr werdet diese Botschaft nicht lesen, aber unsere Gedanken sind bei Euch'. Das ist sehr berührend. Wir sehen unsere Arbeit als Dienst für die Opfer."
    In der Arbeitsecke löst ein anderer Archivar vorsichtig eine halb verwischte Kinderzeichnung aus einer Plastikhülle. Am Regal hinter ihm sind Aufkleber angebracht: Bataclan, Carillon, Petit Cambodge, Casa Nostra - die Namen aller Tatorte. Archiviert wird je nach Ort und Entnahmedatum. Alle Dokumente und Fundstücke sollen digitalisiert, online abrufbar werden. Guillaume Nahon, Direktor der Stadtarchive, berichtet, dass ihn schon einige Wissenschaftler angerufen hätten. "Diese Art der Erinnerungsarbeit ist für uns eine Premiere. Andere Städte haben das schon vorexerziert: New York, London, Madrid. Aber Paris war von solch schmerzlichen Erfahrungen verschont geblieben – bis vor Kurzem."
    Fotoreportagen dokumentieren Gedenkstätten
    Zwar trafen Paris die ersten Anschläge mit islamistischem Hintergrund vor genau 20 Jahren. Doch damals verwandelten sich die Tatorte nicht, wie jetzt, in improvisierte Gedenkstätten. Nun werden die historischen Quellen, die für die Nachwelt von Interesse sind, systematisch konserviert, die Gedenkstätten in mehreren Fotoreportagen detailliert dokumentiert. Wie mit den dort abgelegten Plüsch-Teddys, T-Shirts, Schallplatten, Fahnen, oder den zahlreichen Topfpflanzen zu verfahren werden soll, ist noch ungeklärt. Auch Objekte von anderen öffentlichen Solidaritätsbekundungen werden Bestandteile der geplanten Sammlung werden, kündigt Archiv-Direktor Guillaume Nahon an.
    "Gestern hat mich eine Fotografin angerufen – sie möchte uns die Bilder spenden, die sie nach den Attentaten im Januar von Streetart-Kunstwerken machte."
    In den Fond eingehen werden auch die Kondolenzbücher, die mehrere Pariser Rathäuser auslegten. Und auch aus dem Ausland kommen Kondolenzbücher, zum Beispiel aus Hannover. Und auch eine zweisprachige Schule in Hannover wird uns ihr Kondolenzbuch spenden.