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Domenico Scarlatti wiederentdeckt

Hätte sich nicht jemand auf die Suche nach einer verloren gegangenen Partitur gemacht, dann hätte in Montisi in der Toskana ein Stück nicht erklingen können, das bereits vor fast 300 Jahren komponiert wurde. Für das Festival "Piccola Accademia di Montisi" war das ein fulminanter Auftakt: die Uraufführung von Scarlattis Oper "Tolomeo e Alessandro".

Von Thomas Migge |
    Tolomeo ist der Sohn der ägyptischen Königin Kleopatra. Der junge Mann lebt unter dem Pseudonym Osmino als Hirte auf der Insel Zypern. Verheiratet ist Tolomeo mit der bildschönen Seleuce, die von Kleopatra entführt und Trifone, dem Tyrannen von Syrien, geschenkt wird.

    Tolomeo beweint den Verlust seiner Liebsten, die er erst am Ende der Oper wiedersehen wird.

    Der ohne Übertreibung musikalische Höhepunkt des italienischen Musiksommers war am Wochenende mitten in der Toskana zu hören, in der kleinen Ortschaft Asciano. In der romanischen Kirche San Francesco führte Händelspezialist Alan Curtis mit seinem Ensemble "Complesso Barocco" die Oper "Tolomeo e Alessandro" des vor 250 Jahren verstorbenen Domenico Scarlatti auf. Curtis ist es zu verdanken, dass diese Oper jetzt wieder komplett vorliegt:

    "Vor einigen Jahren lernte ich Ralph Kirkpatrick kennen, einen Scarlatti-Spezialisten, der mir erzählte, dass von der Oper "Toloemo e Alessandro" nur der erste Akt existiert, der Rest sei verloren gegangen. Ich suchte den Besitzer der einzigen erhaltenen Originalhandschrift in Mailand auf, ein Privatmann, und machte mir eine Fotokopie. Aus meiner Idee, das Original von der Universität Berkeley in Kalifornien, wo ich unterrichte, aufkaufen zu lassen, wurde nichts: der Mailänder starb und seitdem gilt das Original des ersten Aktes als verloren."

    Zum Glück besitzt Curtis seine Fotokopie, und mit ihr ging er auf die Suche nach den fehlenden Akten:

    "Es war eine wunderbare Überraschung, dass ich den zweiten und dritten Akt in England fand, in der Adelsresidenz Belton House. Ich vermute, dass die dort von mir entdeckten Akte durch Händel an den Besitzer von Belton House gelangten."

    "Tolomeo e Alessandro" ist sicherlich eines der melodienreichsten Werke von Domenico Scarlatti. Besonders faszinierend sind die langsamen Arien, die immer ein wenig an Händel erinnern und dessen dramatische Dichte besitzen. Scarlatti, das beweist die in Asciano wiederaufgeführte komplette Oper, steht in nichts Händel nach. Unter der Leitung von Curtis sangen unter anderen drei der derzeit besten Interpreten für die Opern Händels und der italienischen Schule der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts: die schwedische Mezzosopranistin Ann Hallenberg als Tolomeo, die junge Sopranistin Klara Ek, eine stimmliche Entdeckung aus Dänemark, sowie die kraftvolle italienische Mezzosopranistin Roberta Invernizzi. Dazu die leidenschaftliche Interpretation von Curtis, der das Schnelle und Langsame, das Dunkle und Helle, die Trauer und die Freude der Komposition Scarlattis auf ergreifende Weise hervorhob.

    Eine Aufführung, die im Rahmen eines neuen, kleinen und sehr feinen Festivals stattfand. Bruce Kennedy, der weltweit angesehene Cemballobauer, gründete in Montisi, nicht weit von Asciano entfernt, die "Piccolo Accademia di Montisi":

    "Ich empfand das Bedürfnis, meine musikalische Welt, die des Clavicembalos, zum Zentrum einer Akademie und eines Festivals zu machen. Dank reicher amerikanischer Freunde gründete ich die Akademie, die 50 Nachwuchs-Cemballisten die Möglichkeit gibt, bei freier Kost und Logis, Masterkurse bei einigen der besten Cemballisten zu besuchen."

    Neben Alan Curtis unterrichten an der "Piccola Accademia di Montisi" Gustav Leonhard, Mahan Esfahani, Mitglieder des Capriccio Stravagante und Skip Sempé. Sie alle geben auch Konzerte an idyllischen Orten: in uralten Kirchen und malerischen Burgen. Bleibt zu wünschen, dass Bruce Kennedy im nächsten Jahr ein wenig Werbung für sein Festival macht - das in diesem Jahr nur von eingeweihten Freunden barocker Musik frequentiert wurde, die durch Mund-zu-Mund-Propaganda von dem Festival, das gestern Abend zu Ende ging, erfahren hatten.