Sie sind kurz und kompakt, stecken voller überraschender harmonischer Wendungen und bieten darüber hinaus reichlich Möglichkeiten für virtuose Brillanz: Domenico Scarlattis Sonaten erfreuen sich in der Pianistenzunft großer Beliebtheit - ob als effektvoll raffinierte Zugabe oder als Schwerpunkt eines Soloprogramms. Scarlatti, wie Johann Sebastian Bach 1685 geboren, begann erst im Alter von 53 Jahren mit der Veröffentlichung seiner Sonaten: "Leser, seist du nun Dilettant oder Berufsmusiker, erwarte in diesen Kompositionen keine profunde Gelehrsamkeit, sondern eher ein heiteres sinnreiches Spiel mit der Kunst, das dich der Meisterschaft des Cembalospiels näher bringen soll", schrieb Scarlatti im Vorwort zu seinen ersten in London veröffentlichen "Essercizi per Gravicembalo"; "vielleicht gefallen sie dir; dann werde ich mich nur um so glücklicher schätzen, anderen Weisungen zu folgen, um dich mit einem leichteren und abwechslungsreicheren Stil zu erfreuen. Zeige dich nunmehr eher menschlich als kritisch und vermehre dadurch dein Vergnügen."
Raffiniertes Unterrichtsmaterial
Diese erste Sammlung von 30 Sonaten widmete Scarlatti 1738 dem portugiesischen König Johann V., der seinen ehemaligen Hofkomponisten zuvor in den Ritterstand erhoben hatte. Allerdings lebte Scarlatti zu diesem Zeitpunkt im Nachbarland Spanien und wirkte als Musiklehrer und Cembalist der Monarchin Maria Barbara am königlichen Hof. Vermutlich hat er die insgesamt über 550 Sonaten sowohl als Unterrichtsmaterial wie auch zur Unterhaltung für seine Dienstherrin komponiert; neben überaus schlichten Stücken finden sich etliche, die ein hohes fingertechnisches Können erfordern.
Über 550 Sonaten fürs Klavier
Wer eine CD mit Scarlatti-Sonaten einspielen will, steht regelmäßig vor der Qual der Wahl: Denn der Komponist hat über 550 Werke davon geschrieben. Zur Vorgehensweise bei der Auswahl von Sonaten für ihre Scarlatti-Einspielung schreibt Claire Huangci im Booklet der CD: "Wer Scarlatti-Sonaten im Studio einspielt oder im Konzertsaal vorträgt, trifft seine Auswahl oft aufgrund persönlicher Vorlieben und allgemeiner Themen. Für ein Recital sucht man meist eine Zusammenstellung, die klanglich zusammenpasst und Abwechslung zwischen schnelleren und langsameren Stücken bietet." Von solchen Überlegungen ausgehend, stellt die junge Pianistin sich die Frage, ob es möglich sei, einzelne Sonaten wie Sätze zu gruppieren und daraus größere musikalische Formen entstehen zu lassen; "Mehr noch, was, wenn ich die Stücke so präsentieren könnte, dass das Publikum die Brücke, die Scarlatti vom Barock zur Klassik schlug, deutlich erkennen würde?
Drei Suiten, fünf Sonaten
Claire Huangcis neu eingespielte Doppel-CD beinhaltet insgesamt 39 Sonaten von Scarlatti; davon arrangierte sie 38 zu drei Suiten und fünf mehrsätzigen Sonaten. Die so zusammengestellten Werke weisen durchaus interessante Parallelen sowohl zu Johann Sebastian Bachs Cembalo-Partiten oder französischen Suiten auf und erinnern ebenso an die frühklassischen Sonaten etwa von Carl Philipp Emanuel Bach oder des frühen Joseph Haydn.
Ob Scarlatti selbst seine Sonaten tatsächlich nur als Einzelstücke gesehen hat, ist nicht bekannt; von ihnen hat sich offensichtlich kein Originalmanuskript erhalten. Allerdings zeigen die Abschriften, dass schon zu seiner Zeit gerne eine langsame und eine schnelle Sonate miteinander kombiniert worden sind. Unterschiedliche Geschwindigkeiten finden sich manchmal auch in einer einzigen Sonate, beispielsweise der in C-Dur, die im Kirkpatrick-Verzeichnis die Nummer 513 trägt. Ob nun zusammengestellt als barocke Suite oder als frühklassische Sonate oder einfach nur in der Originalgestalt: Domenico Scarlattis Sonaten sind an sich schon kleine mal tiefgründige, mal verspielt virtuose Meisterwerke. Wenn sie dann noch mit so viel Verve und Fingerspitzengefühl interpretiert werden wie von Claire Huangci, dann wird das Zuhören so richtig zum Genuss.
Sonaten für Klavier von Domenico Scarlatti mit Claire Huangci, Klavier
Berlin Classics 0300603BC
Berlin Classics 0300603BC