Natürlich trinkt auch Chris Hittinger gerne Bier. Am liebsten Märzenbiere, eine besonders vollmundige Version des Lagers. Doch für den Genetiker von der Universität Wisconsin ist Bier auch aus wissenschaftlicher Sicht interessant. Er beschäftigt sich mit den Hefen, die beim Brauen seines Lieblingsgetränks unverzichtbar sind.
"Lagerhefen sind Kreuzungen aus Saccharomyces Cerevisiae, der typischen Bäckerefe, die bei Raumtemperatur aktiv ist und seit Jahrtausenden zum Backen und Brauen verwendet wurde, und Saccharomyces eubayanus, einer Hefe-Art, die an Kälte angepasst ist und es möglich macht, Bier bei niedrigeren Temperaturen zu brauen."
Von Bäcker- zum Braumeister
Bis zur Entstehung der Lagerhefe gab es vor allem dunkle, obergärige Biere, die dem heutigen Altbier ähneln. Gebraut wurde mit der klassischen Bäckerhefe bei Zimmertemperatur. Das untergärige Lagerbier entsteht dagegen bei kälteren Temperaturen. Es ist heller, frischer im Geschmack und lässt sich besser lagern. Obwohl heute rund 95 Prozent aller gebrauten Biere Lagerbiere sind, glaubt Chris Hittinger, dass die Entstehung der Lagerhefen ein zufälliges Ereignis war:
"Es passierte, bevor die Leute überhaupt wussten, dass Mikroorganismen für die Gärung zuständig sind. Sie begannen, bei kälteren Temperaturen zu brauen, ohne dass ihnen klar war, dass sie Bedingungen schufen, die die Verbindung von zwei genetisch sehr unterschiedlichen Hefe-Arten begünstigten. Eine der beiden, Saccharomyces cerevisiae, war schon sehr gut für das Brauen angepasst und konnte zum Beispiel besonders effektiv Malzzucker zu Alkohol umsetzen. Die zweite Hefe-Art war dagegen an kalte Temperaturen gewöhnt. So entstand die Lagerhefe."
Kreuzung zweier Stämme
Die Lagerhefe ist ein Hybrid und besitzt noch immer ein komplettes Genom von beiden Elternstämmen. Chris Hittinger und sein Team wollten wissen, wie sich die nach der Kreuzung weiter verändert haben. Ähnlich wie bei wilden Tieren oder Pflanzen, die zu Haustieren und Nutzpflanzen werden, passten sich auch die Hefe und ihre Gene den neuen Anforderungen an. Die Wissenschaftler verglichen das Erbgut des Hybrids mit der genetischen Information der beiden Elternstämme konnten so den Prozess der Domestizierung nachvollziehen.
"Wir haben gesehen, dass diese Kreuzung bei mindestens zwei unabhängigen Gelegenheiten stattfand. Und obwohl es damit unterschiedliche Ausgangspunkte gibt, sind die evolutionären Prozesse danach sehr ähnlich und vor allem viel schneller abgelaufen."
Zielgerichtete Evolution
Die Evolution der Lagerhefe verlief durch die Bedingungen im Braukeller also zielgerichtet. Besonders deutlich zu sehen waren die Veränderungen in dem Genom, das von Saccharomyces eubaynaus stammt. Der Elternstamm kommt wild vor allem in Südamerika vor und war bisher nicht zum Brauen verwendet worden war. Deshalb gab es besonders viele Anpassungsschritte in kurzer Zeit. Einige davon konnten die Wissenschaftler direkt mit den Anforderungen an die Brauhefe in Verbindung bringen.
"Viele der betroffenen Gene hemmen ursprünglich die Umsetzung von Zucker zu Alkohol, zum Beispiel durch die Aktivierung der Alkoholdehydrogenase. Dieses Enzym baut eigentlich Alkohol ab, statt ihn durch Gärung herzustellen. Solche Gene abzuschalten, war für eine Brauhefe sicher von Vorteil."
Die Domestizierung lässt sich also im Erbgut der Lagerhefe gut nachvollziehen. Chris Hittinger und seine Kollegen wollen außerdem untersuchen, wie sich die genetischen Veränderungen auf die funktionellen Eigenschaften der Hefe ausgewirkt haben, um die Evolution im Braukessel noch besser zu verstehen.