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Dominique Manotti: "Kesseltreiben"
Im Schattenreich der Korruption

Dunkle Machenschaften von Managern, Politikern und Geheimdiensten: In Dominique Manottis "Kesseltreiben" geht es um die Übernahme eines französischen Unternehmens durch einen US-Konzern unter zweifelhaften Umständen - und mit vielen Leichen. Der Wirtschaftskrimi verarbeitet dabei klug die sogenannte Alstom-Affäre.

Von Dina Netz |
    Eine Mann im Anzug telefoniert vor einer Betonwand und wirft dabei einen Schatten.
    Spannend und erschreckend zugleich: Das korrupte Netzwerk im Krimi "Kesseltreiben" hat eine reale Vorlage (imago / Thomas Trutschel)
    Dominique Manotti hat sich mit einem Vorsatz zu ihrem Roman juristisch abgesichert.
    "Dieser Roman ist frei (sehr frei) inspiriert von der 'Alstom-Affäre', der Übernahme des französischen Unternehmens Alstom Energie durch den amerikanischen Konzern General Electric 2013 - 2015."
    Das muss Manotti schreiben, natürlich, aber ganz so frei inspiriert ist "Kesseltreiben" wohl nicht. Das französische Unternehmen, das im Roman unter dubiosen Umständen von einem amerikanischen Großkonzern übernommen wird, heißt "Orstam", beinahe ein Anagramm von Alstom. Der deutsche Verlag Ariadne listet zudem im Epilog allerlei Links zu Berichten über die reale Vorlage auf.
    Die Frage, wieviel Wahrheit in "Kesseltreiben" steckt, ist zwar nicht wichtig für die interessantere Frage, ob Manotti einen spannenden Wirtschaftsthriller geschrieben hat - denn das hat sie. Dass die skrupellosen Machenschaften auf den höchsten Ebenen von Politik und Unternehmen so oder ähnlich stattgefunden haben, macht das Geschilderte allerdings noch erschreckender.
    Internationales Netzwerk des Verbrechens
    Damit auch durchschnittlich in wirtschaftlichen Belangen informierte Leser irgendetwas von den geschickten Winkelzügen der globalen Konzernwelt verstehen, hat Manotti einen Kniff angewandt: Sie hat eine Ermittlerin gewählt, die selbst keine Ahnung von der Materie hat, weil sie gerade erst in der Nachrichtendienstsektion "Wirtschaftliche Sicherheit" angefangen hat. Eingeweihte Manotti-Leser kennen Commandante Noria Ghozali aus früheren Büchern. Nachdem sie ihre Vorgesetzten darüber in Kenntnis gesetzt hat, dass ihr Bruder sich dem IS angeschlossen hat, ist sie strafversetzt worden, arbeitet sich nun mühsam und mit Hilfe zweier fähiger Mitarbeiter in die Wirtschaftskriminalität ein. Und die Leser mit ihr, denn auf den ersten 100 Seiten breitet Manotti die Fäden eines schwer zu entwirrenden internationalen Verbrechensgeflechtes aus. Die Zusammenhänge zwischen dem verhafteten Pariser Manager, dem Klein-Mafioso aus Montreal und dem Wasserträger der Direktion von Orstam erschließen sich erst später, da muss man genau so durchhalten wie die Ermittler, die zu Beginn selbst nicht erfassen, in welch ein Wespennest sie gestochen haben. Das ist übrigens auch eine leichte Schwäche des Romans: Die Figuren reflektieren immer wieder ihr eigenes Tun, was wohl der Orientierung der Leser in dem komplexen Plot dienen soll, aber ziemlich oft wirkt, als stünden die Figuren neben sich.
    Wirtschaft, Politik und Polizei mauern
    Nach diesem komplizierten Prolog setzt die Ermittlungsarbeit ein, die sich als zäh erweist: Orstam ist keine kleine Klitsche, sondern größter französischer Hersteller von Turbinen und Kraftwerken. Die Firma selbst mauert, mit Unterstützung nicht nur der französischen Politik. Auch die Polizei spielt offenbar nur allzu gern das Korruptionsspiel mit, bei dem für jeden Beteiligten etwas abfällt. Noria Ghozali wendet sich im Laufe der Ermittlungen zum Beispiel an ihren früheren Arbeitgeber, den zentralen Inlandsnachrichtendienst DCRI.
    "Der Capitaine, der sie empfängt, ist eisig. Als sie ihm mitteilt, dass sie mit der Festnahme und Inhaftierung von Lamblin, einem leitenden Angestellten von Orstam, in den USA befasst ist, und ihn fragt, ob er als nicht geheim klassifiziertes Material zu dem Fall hat, begnügt er sich damit, ihr mit einem schmalen Lächeln zu antworten:
    'Die Amerikaner sind heutzutage nicht unsere Hauptsorge. Und wir teilen unsere Erkenntnisse zu diesem Thema genauso wenig wie zu jedem anderen.'
    'Nicht mal, wenn eine Abteilung der Police Nationale den Antrag stellt?'
    'Nicht mal dann. Die Gesamtheit unserer Informationen ist als ›geheim‹ klassifiziert. Sollten Sie denn unsere Betriebsvorschriften schon vergessen haben, Commandant Ghozali?'"
    Jeder ist der Wolf des anderen
    Dominique Manottis Stärken sind ein immer bis ins letzte Detail plausibler Plot und eine große Nähe zu ihrem Personal, das sie niemals als Rädchen für das Funktionieren der Geschichte missbrauchen würde. Mit wenigen Sätzen skizziert Manotti die Figuren so, dass man sie quasi vor sich sieht.
    "Fünfundzwanzigjähriger Franzose, unauffälliges Äußeres, Amateursportler, Auftreten eines wohlerzogenen Bankangestellten, auf dem Gesicht ein dünner Firnis Allgemeinbildung, er gibt das sehr glaubwürdige Bild eines Durchschnittstouristen ab und passiert problemlos die Grenzkontrollen."
    Für die in die große Verbrechens-Maschinerie verwickelten Akteure wählt Manotti allerlei Bilder aus der Tierwelt, was absolut plausibel ist - denn mehr sind sie nicht, es gilt das Recht des Stärkeren, und Jeder ist der Wolf des anderen, wie eine der zukünftigen Leichen luzide erkennt.
    "Verletzte Tiere kuriert man nicht, man erschießt sie."
    Manotti geht in "Kesseltreiben" das Wagnis ein, der Privatperson Noria Ghozali Raum zu geben, was in den meisten Krimis eher lästig ist und von der Handlung ablenkt. In "Kesseltreiben" hat das aber durchaus einen Mehrwert, denn man erfährt dadurch einiges über die Diskriminierung selbst bestens assimilierter Migrantinnen in Frankreichs Polizei und Gesellschaft. Manotti lässt Ghozali zudem privat zufällig auf Hinweise zum Fall stoßen, so dass dieser Seitenstrang gerechtfertigt ist.
    Selbstironisch - aber voller produktiver Wut
    "Kesseltreiben" ist routiniert gebaut, die Leichen sind dramaturgisch klug verteilt, die Sprache ist klar und schnörkellos, ganz im Dienste des Plots. Iris Konopik behält in ihrer Übersetzung den sachlich-unterschnittenen Tonfall bei - über die eine oder andere etwas altmodische Formulierung liest man hinweg.
    "Kesseltreiben" wirkt wie ein Alterswerk insofern, als dass Manotti zwei ihrer etablierten Ermittler zusammenführt, denn auch der pensionierte Théo Daquin taucht wieder auf. Außerdem ist der Roman viel selbstironischer als frühere Bücher. Dass die Franzosen den Machenschaften von amerikanischen Konzernen, Geheimdiensten und Politikern hoffnungslos unterlegen sind, kommentiert ein US-Banker zum Beispiel so:
    "Das sind Frenchies, also nicht die Fixesten."
    Außerdem - und auch das ist unterhaltsam - lässt Manotti ihre Figuren Krimis lesen und über Fernsehkrimis diskutieren. Noria Ghozali verbringt jede freie Minute bei einem amerikanischen film noir im Kino. Am Schluss kehrt Ghozali nach 25 Jahren der Polizei den Rücken und wird - Beraterin beim Film. Das ist nicht nur lustig ausgedacht, sondern auch folgerichtig: So wie Manotti die Verflechtungen zwischen französischer Wirtschaft, Politik und Polizei beschreibt, bleibt einer aufrichtigen Wirtschaftsermittlerin gar nichts anderes übrig, als den Job an den Nagel zu hängen.
    Jedoch: Dominique Manotti hat mit Mitte 70, bei aller Selbstironie, nichts von ihrer Wut verloren. Die Machenschaften von Managern, Politikern und Geheimdiensten, amerikanischen wie französischen, die sich gegenseitig die Taschen füllen und für die Menschen bloß Statisten sind, treiben die Autorin ganz offensichtlich zur Weißglut. Und Wut, die nicht in Polit-Populismus oder Globalisierungs-Bashing mündet, sondern in einen so gut recherchierten und klug gebauten Roman, ist eine produktive Wut.
    Dominique Manotti: "Kesseltreiben". Aus dem Französischen von Iris Konopik.
    Ariadne im Argument Verlag, Hamburg, 400 Seiten, 20 Euro.