Christoph Heinemann: Das Bundeskabinett hat die Klausurtagung zum Ausbau des Mobilfunknetzes und der Digitalstruktur fortgesetzt. Angesichts von Vorbehalten mancher Bürgerinnen und Bürger gegen den Bau neuer Mobilfunkmasten, will die Bundesregierung mit einer Kommunikationsinitiative für mehr Verständnis und Akzeptanz werben. Menschen sorgen sich wegen der zusätzlichen Strahlenbelastung durch elektromagnetische Felder. Und die Regierung will richtig Geld in die Hand nehmen.
Wenn es um die Verfügbarkeit des Internets und des schnellen Netzzugangs geht, ist sich die Bundesregierung durchaus nicht einig. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek war sich jüngst sicher: "Das ist jetzt auf jeden Fall notwendig, weil 5G ist nicht an jeder Milchkanne notwendig. Das ist auch wahr."
Kanzleramtsminister Helge Braun berichtigte heute Früh: "Auch der Landwirt auf seinem Acker wird über unsere Förderprogramme die Möglichkeit bekommen, ein 5G-Betriebsnetz aufzubauen. Dann kann man wirklich von flächendeckendem Mobilfunk sprechen."
Heinemann: Am Telefon ist jetzt Anke Domscheit-Berg, die Obfrau der Bundestagsfraktion "Die Linke" im Ausschuss Digitale Agenda, Wahlkreis Brandenburg-Havel-Potsdam-Teltow. Guten Tag!
Anke Domscheit-Berg: Guten Tag, Herr Heinemann.
Heinemann: Frau Domscheit-Berg, wie halten Sie es mit Acker und Milchkanne?
Domscheit-Berg: Ich finde, dass man heutzutage, gerade wenn wir im Grundgesetz ja stehen haben, dass es eine Angleichung der Lebensverhältnisse von Stadt und Land geben kann, und wir in einer digitalen Gesellschaft leben, es überhaupt gar keine Frage mehr sein kann, dass man ein vernünftiges Netz einfach überall braucht. Andere Länder zeigen ja auch, dass das keine Hexenkunst erfordert und technisch auch möglich ist. Nur wir kriegen es irgendwie nicht gebacken, und das ist eine Kombination aus Markt- und Politikversagen, die wir seit etlichen Jahren in Deutschland haben.
"Wir brauchen es nicht auf dem Papier gelöst, sondern in der Praxis"
Heinemann: Können Sie das genauer beschreiben?
Domscheit-Berg: Zum einen: Allein der Umstand, dass wir im Herbst 2019 zum ersten Mal überhaupt eine Mobilfunkstrategie vorliegen haben, spricht ja schon für sich. Es gab einfach gar keine vorher.
Ein Thema hat die zitierte Margit Stumpp ja auch schon angesprochen, dass es immer noch (und auch jetzt nach den neuen Beschlüssen nicht) kein verpflichtendes, wenigstens regionales Roaming gibt in den Gebieten, die schlecht versorgt sind. Und im Vortext kam ja auch, dass bei der Versteigerung der 5G-Lizenzen Autobahnen, Bundesstraßen, Landstraßen, Staatsstraßen und Bahnlinien mit Netz versorgt werden sollen. Was dann nicht mit erwähnt wurde – deswegen mache ich das jetzt gerade mal – ist, dass sich die Unternehmen das gegenseitig anrechnen dürfen. Nicht jedes Telekom-Unternehmen muss jede der Straßen versorgen, sondern es reicht, wenn das eine Unternehmen die eine Straße macht, das andere die andere, das eine die eine Bahnlinie, das andere die andere. Aber für mich als Kunde ist es doch ein echtes Problem, wenn ich dann das falsche Handy habe. Ich kann mir doch nicht – es haben vier Unternehmen Lizenzen ersteigert – vier verschiedene Handy-Verträge zulegen, nur dass ich dann überall Netz habe. Das heißt, irgendwann legt uns ganz stolz die Bundesregierung eine grün ausgemalte Karte von Deutschland vor und sagt, jetzt haben wir keine Funklöcher mehr an Straßen und Bahnlinien, aber für den Mensch, der umherfährt, ist es immer noch ein riesiges Funkloch-Netz, und das kann nicht die Art sein, wie wir das Problem lösen. Wir brauchen es nicht auf dem Papier gelöst, sondern in der Praxis.
Heinemann: Wer ist schuld an den Mängeln, die Sie gerade beschrieben haben?
Domscheit-Berg: Es ist, wie schon gesagt, ein Marktversagen und ein Politikversagen. Man hat falsche Kriterien schon seit einigen Versteigerungen zum Beispiel festgeschrieben als verbindlich für die Netzbetreiber, zum Beispiel, dass man nach wie vor von Haushalten statt von Fläche redet. Auch die 98 Prozent, die bei der Versteigerung reingeschrieben worden sind, oder jetzt die 99, auf die man sich geeinigt hat, 99 Prozent der Haushalte, das sind immer noch fast eine Million Menschen. Die verteilen sich dann auf sehr kleine Dörfer und das heißt, solche Gegenden sind dann auch weiterhin offline.
Sanktionsmöglichkeiten sind zu klein. Die Datenlage ist zu schlecht. Und dann fängt es auch an damit, dass wir ganz falsche Kategorien haben, was den Anspruch angeht. Da höre ich dann sehr oft von Ministern, die sich hinstellen, oder auch von Kanzlerin Merkel, sie wollen eine Gigabit-Gesellschaft. Aber wir haben eine: Aktuell wendet die Bundesnetzagentur für den Universaldienst, für Telefonie und für Internetanschlüsse, eine Interpretation des sogenannten funktionalen Internetanschlusses an, der 20 Jahre veraltet ist, nämlich 56 Kilobit Geschwindigkeit. Da braucht man – ich habe es gestern mal ausgerechnet – fürs "Heute"-Journal zwei Stunden und 40 Minuten, um sich ein "Heute"-Journal im Internet anzugucken. Das ist nicht funktional und solange wir solche Kriterien noch haben, kann man nicht erwarten, dass sich in der Praxis sehr viel ändert.
Was jetzt tatsächlich verbessert werden soll ist, dass die Genehmigungen schneller erteilt werden. Im Moment muss man im Durchschnitt 18 Monate warten, um einen Funkmast aufzustellen. Wenn das schneller ginge, auch digitalisiert wird als Prozess, ist das absolut zu begrüßen. Aber viele andere Dinge fehlen einfach nach wie vor. Man möchte jetzt eine Milliarde investieren, aber die kommt aus dem Sondervermögen für digitale Infrastruktur, das schon zweimal ausgegeben ist. Das ist für digitale Bildung vorgesehen, das ist für den Glasfaserausbau vorgesehen, zwei Megaprojekte, wo wir Jahre hinterherhinken, und jetzt soll das gleiche Geld auch noch für was drittes reichen, nämlich den Mobilfunk. Ich sehe das nicht.
"Die Art von Aufteilung ist nicht gut"
Heinemann: Greifen wir einzelne Teile noch mal auf. Ich habe gerade versucht, das "Heute"-Journal mal auf die "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk umzurechnen, bin allerdings an der Rechnung bisher gescheitert. Ich versuche es weiter. – Sie sprachen eben von Sanktionsmöglichkeiten. Was befürworten Sie?
Domscheit-Berg: Na ja. Was wir zum Beispiel ja auch im Glasfaserumfeld, aber auch im Mobilfunkumfeld haben. Wir haben diese Unsitte des "bis zur Geschwindigkeit". Man kriegt so kleine Flyer ins Haus geschickt: "Schließen Sie mit uns einen Vertrag ab". Und dann steht da drin: "Bis zu so und so viel Megabit". In Wirklichkeit hat man die aber nicht und in anderen Bereichen des normalen Lebens kennt man das gar nicht. Ich gehe doch nicht zum Bäcker und sage, ich hätte gerne ein bis zu ein Kilo Brot, und dann kriege ich mal 200 Gramm und mal ein halbes Kilo, aber ich zahle jedes Mal das Gleiche. Dass das möglich ist und dass nicht mal ein zweistelliger Prozentbereich der Nutzer*innen in Deutschland die "bis zu Geschwindigkeit" kriegt – es sind wirklich irgendwas wie, ich glaube, fünf Prozent oder so, die kriegen die versprochene Geschwindigkeit -, so was muss sanktioniert werden, das muss hoch sanktioniert werden. Da wird gerade auch an Stellschrauben gedreht, aber erstens auch erst jetzt und zweitens immer noch nicht genug, und das hat man sich quasi jahrelang mit angeguckt.
Man guckt sich auch gleichzeitig an, dass ein Unternehmen wie die Telekom die Hände ringt und sagt, es ist alles so teuer und sie können auf keinen Fall die weißen Flecken versorgen. Die machen seit 2014 jedes Jahr mehr als zwei Milliarden Reingewinn, in manchen Jahren sogar dreieinhalb Milliarden Reingewinn. Das ist doch ein Haufen Geld. Da gleichzeitig zu erzählen, es tut uns leid, wir können da keinen Funkmast in die weißen Flecken stecken, das soll dort jetzt mit Staatsgeld passieren, finde ich, ehrlich gesagt, richtig unanständig. Und auch wenn ich als linke Politikerin ja durchaus dafür bin, dass so was, solche Infrastrukturen zur Daseinsvorsorge gehören und auch vom Staat aufgestellt werden dürfen, kann es doch nicht sein, dass ich die Profite den Unternehmen überlasse und alles, was Verluste schreibt, macht dann der Staat. Die Art von Aufteilung ist nicht gut.
Heinemann: Sollte die Politik den Privatunternehmen dann Zielvorgaben setzen?
Domscheit-Berg: Ja! Sie macht ja auch welche, aber sie macht sie nicht hoch genug und nicht klug genug. Die Zielvorgabe, bis 2022 die Autobahnen zu versorgen, aber dann dürfen die sich das gegenseitig anrechnen, aber die Nutzer nicht gegenseitig nutzen, das ist zwar ein Ziel, aber ein schlechtes Ziel und es ist unklug formuliert.
Heinemann: Ein weiteres Problem ist die Akzeptanz beziehungsweise auch die schwerfällige Bürokratie. Wie kann man Genehmigungsverfahren abkürzen?
Domscheit-Berg: Zum einen möchte man da digitalisieren, dass bestimmte Prozesse nicht einfach ewig lange Papierwege gehen, zumal in der Regel etliche verschiedene Behörden und Institutionen beteiligt sind.
Alles, was mit E-Government zu tun hat, ist sinnvoll
Heinemann: Und das befürworten Sie?
Domscheit-Berg: Das befürworte ich, weil alles, was mit E-Government zu tun hat und Prozesse beschleunigt, einfach mal gut und sinnvoll ist. 18 Monate auf eine Genehmigung warten, das geht gar nicht. Das sind anderthalb Jahre länger Funkloch, die nicht sein müssen. Da ist viel Potenzial und ich finde es sehr gut, dass man das macht. Aber ehrlich gesagt: Auch für E-Government, wenn man das benutzen will, braucht man ja Netz und da braucht man Glasfaser. Da fassen sich verschiedene Probleme an der Hand und man muss sie gemeinsam lösen, und auch das ist längst überfällig.
Heinemann: Und man braucht vor allen Dingen die Bürgerinnen und Bürger. Wie kann man die überzeugen?
Domscheit-Berg: Ich finde gut, dass man mehr Aufklärung machen möchte. Da sind nämlich viele Verschwörungstheorien und gefährliche Stories im Umlauf, die sich in der Form eigentlich bisher nicht belegen lassen. Ich finde es aber richtig, dass man es nicht nur bei Aufklärung belässt, sondern dass man auch sagt, wir brauchen mehr Forschung für das Thema, wir brauchen aktuelle, gut belegbare Beweise dafür, dass es nicht gesundheitsgefährdend ist, und wo sich herausstellen sollte, dass es Gesundheitsgefährdungen gibt, da müssen entsprechende Vorkehrungen getroffen werden. Denn natürlich dürfen solche Technologien auf keinen Fall zu Lasten der Gesundheit gehen. Das ist völlig klar.
Heinemann: Frau Domscheit-Berg, bei Windkraftanlagen werden Anwohnerinnen und Anwohner teilweise finanziell an den Gewinnen beteiligt, wenn Anlagen in ihrer Nähe stehen. Wäre das ein Modell für Mobilfunkmasten?
Domscheit-Berg: Würde ich in der Form im Moment nicht sehen, nein.
Heinemann: Inwiefern nicht?
Domscheit-Berg: Wir haben im Moment schon einen sehr hohen Komplexitätsgrad damit, dass im Prinzip ja fast alles in privatwirtschaftlicher Hand ist. Jetzt soll es die staatliche Infrastrukturgesellschaft geben, die da Funkmasten im Niemandsland aufbaut, in Gegenden, wo sehr wenig Leute wohnen. Sonst würde sich es ja lohnen. Und dass das interessant sein soll für die Leute, sich daran zu beteiligen, kann ich nicht sehen, weil die müssen ja dann auch was reinstecken. Es ist ja nicht nur so, dass die was rauskriegen. Die sind ja dann auch Investoren. Da sind viele Fragen im Moment völlig ungeklärt. Zum Beispiel, wer eigentlich den Glasfaseranschluss an den Mast macht. Ohne Glasfaseranschluss ist der sinnlos. Aber ein Glasfaseranschluss kostet vielleicht mehr als der Mast selber mit der Technik.
Es ist die Wartungsfrage ungeklärt: Wer bezahlt es eigentlich? Es ist ungeklärt, welche Entgelte die Dienstebetreiber eigentlich bezahlen werden für die Nutzung des Mastes, und leider ist auch ungeklärt, ob sie dann überhaupt nutzen. Es gibt nämlich Kommunen, die auf eigene Kosten solche Masten schon aufgebaut haben, nur damit sie endlich aus dem Funkloch rauskommen, und kein einziger Anbieter nutzt diese Masten. Alles das kann man ja jetzt nicht den Anwohnern, vielleicht eines 200-Seelen-Dorfes den Leuten aufbürden und dann kommt am Ende keiner. Wo sollen da die Gewinne für sie herkommen? Die kommen ja auch nur von ihren eigenen Gebühren und das kann sich gar nicht rechnen.
"Was es braucht sind klare Sicherheitskriterien"
Heinemann: Stichwort Anbieterausrüster. Sollte der chinesische Ausrüster Huawei an der 5G-Netzentwicklung beteiligt werden? Sie wissen: es gibt Sicherheitsbedenken.
Domscheit-Berg: Ich weiß, die gibt es. Aber ich verstehe nicht wirklich, warum man das mit zweierlei Maß misst, denn nachweislich gibt es noch diese Art von Missbrauch durch Huawei nicht, was nicht heißt, dass der nicht existiert, aber er wurde nicht nachgewiesen. Nachgewiesen ist er für US-amerikanische Unternehmen. Seit Edward Snowden wissen wir das als Fakt, dass da massenhaft Daten abgeflossen sind und herumspioniert worden ist, ohne dass es Konsequenzen hatte und amerikanische Unternehmen ausgeschlossen worden sind.
Außerdem kann man das auch nicht für 5G allein regeln. Wenn man Huawei als einzelnes Unternehmen ausschließen wollen würde, muss das zwingend auch bedeuten, dass sie aus dem 4G-Netz ausgebaut werden, was ungefähr 50 Prozent der Netzkomponenten sind, unfassbar den Prozess des 5G-Ausbaus verlangsamen würde, weil das exakt die gleichen Leute sind, die das eine austauschen würden und das andere aufbauen würden. Und die anderen Komponenten kosten Pi mal Daumen 50 Prozent mehr. Das heißt, unser aller 4G- und 5G-Netz würde viel, viel teurer werden.
Was es braucht sind klare Sicherheitskriterien. Die hat man definiert. An denen müssen sich alle Unternehmen messen. Das ist auch gut so. Und ich glaube, damit sind wir auch auf der sicheren Seite.
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