Wen ein tragischer oder sonst wie unerfreulicher Umstand hinderte, Donaldist zu werden, nähert sich am besten unserem Gegenstand vom Gesichtspunkt der Wissenschaftssatire. Man nehme eine These, behandle sie als unfehlbar gesetztes Dogma und leite daraus alles Weitere höchst präzise nach streng wissenschaftlicher Logik und mit dem State of Art der Erkenntnistheorie ab. Die These lautet: Entenhausen existiert, wie es der geniale Zeichner Carl Barks und die kongeniale Texterin Dr. Erika Fuchs übermittelt haben. Damit ist auch geklärt, dass der Blickpunkt Wissenschaftssatire eine Krückenannahme bedeutet, denn, wie gesagt, Entenhausen existiert. Das Buch, das es hier vorzustellen gilt, trägt den Titel "Entenhausen, die ganze Wahrheit" und stammt von Patrick Bahners, lange Feuilletonchef der FAZ, jetzt ihr Kulturkorrespondent in New York und führender Donaldist der zweiten Generation.
Bahners verfügt über einen ebenso eleganten wie präzisen Stil, seine Ironie ist hintergründig, der Text voller Anspielungen und feingesponnener Andeutungen. Gewiss ein anspruchsvoller Text und damit gerade für die gebildeten Stände hochvergnüglich zu lesen. Zur Präzision seiner Begriffsbildung gehört beispielsweise der Hinweis, der Donaldismus, verstanden als Lehrgebäude, müsste korrekt Donaldistik heißen.
Im 1. Kapitel nennt er respektvoll die Riesen der Gründerväter, auf deren Schultern wir stehen: Boemund von Hunoldstein, Hartmut Hänsel, Ernst Horst, Volker Gerhard, Andreas Platthaus, Thomas Plum, Walter Abriel, Jürgen Wollina. Es können hier nicht alle aufgeführt werden. Inzwischen überragt Bahners aber jeden.
Das 2. Kapitel widmet Bahners berechtigt D.O.N.A.L.D.-Gründer Hans von Storch. Storchens berühmteste Erkenntnis, nämlich seine Fassung des 2. Hauptsatzes der Thermodynamik, wonach sich die Schnipsel eines zerrissenen Dokumentes in einem Strudel unter den Augen von Gustav Gans von selbst wieder zu einer Schatzkarte zusammenfügen, wird gebührend gewürdigt. Bedeutend aber auch Bahners Kritik am Storchschen Modell von zwei Paralleluniversen, dem Entenhausens und dem unserem. Bahners zieht offenbar die Vorstellung von zwei Emanationen derselben Welt vor. Obwohl er in den folgenden Kapiteln einen platonischen Verweis hat, rekurriert er hier nicht auf das Höhlengleichnis. Danach wäre unsere Welt die der Schatten, die der lichtvollen Existenz Entenhausen. Der Experte erkennt also: Bahners bereitet einen Paradigmenwechsel der Donaldistik vor. Erst auf Seite 168 nutzt er den Begriff und schreibt: "Es macht die Dialektik des wissenschaftlichen Fortschritts aus, dass der Paradigmenwechsel gleichzeitig Verunsicherung erzeugt und Sicherheit verspricht." Dort im 6. Kapitel geht es um die erstaunliche Mobilität der Entenhausener Region, die offenbar zeitweise Oberfranken in der direkten Nachbarschaft hat. Bahners deutet an, möglicherweise wären die Enten gar nicht so mobil, wohl aber eine Art Kontinentalverschiebung.
Bahners hat aber auch noch einen anderen Grund zur Vorsicht. Im Gegensatz zur Entenwelt verblödet die andere zusehends. Donaldisten nutzten in der Regel das dreigliedrige Schulsystem und so verstanden sie ohne Weiteres bei einer Lesung Bahners die Pointe Dagoberts, der Vergils "Maxime amor vincit omnia" als Autoaufschrift in "Mammon omnia vincet" veränderte. Freilich bemerkte so mancher erst beim Schriftbild den Gag hinter dem Gag, die Wandlung der Konjugation: Vincit, das Präsenz steht für die Allzeitlichkeit der Effizienz Amors. Vincet, das Futur für die vorwärtsgerichtete Dynamik des Kapitals. Entsprechend Anstoß nimmt Bahners an der in Entenhausen festgestellten "perduftia spiriti", schließlich kennt jeder Kirchenbesucher den Begriff "spiritus sancti" und wird damit regelmäßig daran erinnert, dass der Geist der U-Deklination angehört. Bahners mutmaßt wohl zu Recht, das Föderatenlatein, der falsche Genitiv weise bewusst auf die "perduftia" einer korrekten Grammatik hin.
Interessant auch, was Bahners nicht behandelt. Seit Max Weber wissen wir: Das schnöde Schicksal der Moderne lautet Entzauberung. Entenhausen aber verzaubert. Und zaubert natürlich auch. Im Buch bezieht Bahners sich nur auf die biedere Hexe Hedwig, allenfalls beschränkte Halloweenklasse. Aber: Warum geht Bahners um die Superjethexe Gundel Gaukeley herum wie die Katze um den heißen Brei, sprich "Vesuvlava"? Weil ihre virtuose, so übersinnliche wie sinnliche Beherrschung der "mascara" begründete Zweifel an der These aufkommen lässt, es gebe in Entenhausen keinen Sex? Wohl weniger. Aber Dagobert ruft gegen die kesse Italienerin nach Polizei und Justiz. Hexenprozesse vertrügen sich nun schlecht mit dem Grundmotto: Entenhausen – Vorbild und Mahnung. Da ist noch viel Exegese zu leisten.
Es böte sich Gesellschaftskritik an: Nach der Gefährdung des Kapitals durch die gewerkschaftlich organisierten Panzerknacker, Arbeiter der Faust, nun die Bedrohung durch das skrupellose Management der Illusion – zeitgemäß wäre es und auch der Frauenquote dienlich.
Kaum ein Wort Bahners über die Geschichte des deutschen Donaldismus. Das ist auch nicht sein Thema. Doch der Blick auf die Metaebene fördert Einsichten auf den Gegenstand selbst. Da ist dringend ein neues Werk Bahners zu erwarten. Beispielsweise traten Gründungsvater Hans von Storch und Genossen anfangs kampfgruppenartig auf, zogen gegen Vulgär- und Kommerzdonaldismus zu Felde. So gegen den Taschenverlag, der Neudrucke teuer verkaufte.
Ehapa kam wohl nur deswegen glimpflich davon, weil Entdeckung und Beschäftigung von Erika Fuchs Genesis–Rang verliehen. Heute gehören die Donaldisten zu den Besserverdienenden, finden, nicht bezahlen heißt das Problem.
Von Storch wetterte im HD 2 dagegen, als Diplommeteorloge von Leuten angeschrieben zu werden, die ihrem Namen ein Diplompsychologe oder Studienrat voranstellten. Das ist 68er pur, ungeachtet der Titelsucht in Entenhausen.
Vor allem gälte der Blick der ungeheuren Verfassungskrise der Donald, dem Kampf um den Paragrafen 6.8 der Satzung, der festlegte, Ziel sei es, eine Schwanzfeder Donalds zu erhaschen. Die Debatte war bitter, schließlich siegten die Anhänger der Vergeistigung, ließen den Paragrafen streichen und ersparten so nebenbei der Institution die heikle Phase des Parousieverzuges. Donaldismus auch ohne Donald - ein musterhaftes Lehrbeispiel für die Genese von Institutionen.
Der Rezensent lernte als vorpubertärer Schülerheiminsasse im bayrisch besetzten Schwaben Donald als Schulpolizist kennen und war fasziniert, weniger von der autoritären Schulorganisation in Entenhausen als von deren schlittenfähigem Ambiente. Das Heft wurde unter dem Tisch gelesen. Noch hatte die unsägliche, staatskompatible Einfalt des Klugschwätzers Mickey den Schundheftverdacht des Disneydruckwerkes nicht beseitigt. Die tiefe Ironie des großen bösen Wolfes mit dem braven Kleinen für eine Gesellschaft, in der gerade die arrivierte Generation entnazifiziert wurde, hatte eh keiner bemerkt.
Heute liest der Rezensent als Großvater dem Nachwuchs seine Lieblingsweihnachtsgeschichte vor, die am Ende Tick, Trick und Track 15 Metallbaukästen einbringt und Donald vier Autos. Und betont dabei Donalds Sentenz: Ich halte es nicht für richtig, Kindern Wünsche so ohne Weiteres zu erfüllen. Ein Fall für die neue Bindestrichsoziologie des Lebenslaufs.
Als jemanden, der sich stolz zur Gruppe der 47 ersten Donaldisten zählen kann, als Patrick Bahners gerade erst begann, wie der Stern von Bethlehem über Entenhausen aufzugehen, sei mir die Bemerkung erlaubt, die ganze Wahrheit über diesen Ort, gewiss, aber im Sinne des kritischen Rationalismus, dass letztlich alles nur falsifizierbar ist und neue Einsichten wie Morgensonne am Horizont verheißen bleiben. Man weiß so wenig. Sagt nicht Karl Popper, sondern Donald.