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"Donald Tusk weinte ganz spontan"

Polen - nach dem Tod des Staatspräsidenten Lech Kaczynski ein Land in Trauer. Adam Krzeminski, Kommentator beim polnischen Wochenmagazin Polityka, warnt vor Verschwörungstheorien im Zusammenhang mit dem Absturz.

Adam Krzeminski im Gespräch mit Anne Raith |
    Anne Raith: Aus Brüssel berichtete Volker Finthammer über das schwierige Verhältnis Lech Kaczynskis zur Europäischen Union. Niemals zuvor seien in Europa so viele demokratisch gewählte Persönlichkeiten auf einmal ums Leben gekommen bei einem Flugzeugunglück, wir haben es eben gehört. Was dieser Verlust für ein Land bedeutet, ein Land, in dem im Herbst Präsidentschaftswahlen stattfinden sollten, bei denen eine Weile nicht klar war, ob Lech Kaczynski überhaupt wieder kandidieren würde - darüber habe ich kurz vor der Sendung mit dem polnischen Journalisten Adam Krzeminski gesprochen, er ist Kommentator beim Wochenmagazin Polityka. Zunächst jedoch habe ich ihn gefragt, wie die Polen auf die Nachricht vom Tod ihres Präsidenten reagiert haben:

    Adam Krzeminski: Die Oppositionspolitiker, der Ministerpräsident Donald Tusk, weinte ganz spontan. Er lag politisch immer wieder in Konflikt mit dem Präsidenten, aber er war auch fassungslos. Die Regierung hat sofort eine Regierungssitzung angeordnet, und es gibt sehr unterschiedliche Stimmungen: von ganz rechts, von Personen, die sagen, es gäbe fast so etwas wie ein Fluch, der über Polen lastet, bis hin zu ganz Besonnenen, die sagen, es ist eben ein Unfall gewesen. Man muss natürlich genau prüfen, wer daran schuld war. Man darf daraus keine Verschwörungstheorien entwickeln.

    Raith: Wie wird denn in der polnischen Bevölkerung getrauert, in Warschau etwa?

    Krzeminski: Zuerst ist natürlich die offizielle Trauer angesagt, und zweitens gibt es auch spontane Solidaritäts- und Traueräußerungen der Warschauer. Es werden Kerzen angezündet vor dem Präsidialpalast in der Warschauer Prachtstraße Krakowskie Przedmiescie, Blumen niedergelegt, aber es gibt auch in zahlreichen Kirchen Trauermessen. Und in Krakau schlug man die älteste und größte Glocke des Landes, die nur an größten Feiertagen und Trauertagen geschlagen wird. Also man sieht daran, dass es natürlich eine außergewöhnliche Stimmung im Lande ist. Wie die politischen, die innenpolitischen Konsequenzen dieses Erdbebens sein werden, das kann man heute natürlich nicht abschätzen.

    Raith: Wer übernimmt denn nun die Führung im Land? Neben dem Staatspräsidenten sind ja – Sie haben es angesprochen – auch viele weitere bedeutende Persönlichkeiten des politischen Lebens umgekommen.

    Krzeminski: Ich glaube, der Sejm-Marschall ist heute das Staatsoberhaupt im Lande, das heißt der Vorsitzende des Parlaments. Er ist in dieser Maschine nicht gewesen, er ist auch der Kandidat der regierenden Partei für das Amt des Staatspräsidenten. Und er sollte ein Duell im Wahlkampf mit Lech Kaczynski austragen. Also er ist nominell jetzt das Staatsoberhaupt.

    Raith: Sie sprechen es an: Im Herbst sollte in Polen ohnehin ein neuer Präsident gewählt werden, der Termin wird nun unter Umständen vorverlegt. Wer tritt denn nun an, wer wird die Lücke füllen?

    Krzeminski: Es ist unklar, wer die Oppositionspartei, also die Partei der Brüder Kaczynski, vertreten sollte. Es gibt Spekulationen darüber, ob der frühere Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski, also der Bruder von Lech Kaczynski, antreten wird, aber das sind alles Spekulationen. Es gibt dazu keine Verlautbarungen, keine Erklärungen, es ist alles zu früh dafür.

    Raith: Ist denn nach diesem Unglück überhaupt an eine Art Wahlkampf zu denken?

    Krzeminski: Es werden emotionelle Positionen vorgetragen, aber einen richtigen Kampf, Wahlkampf, einen schmutzigen Wahlkampf, kann ich mir kaum vorstellen, zumal das nicht im Naturell des Kandidaten der Bürgerplattform, Bronislaw Komorowski, liegt. Wir müssen abwarten, wer kandidieren wird von der Recht- und Gerechtigkeit-Partei, der Partei der Brüder Kaczynski.

    Raith: Lech Kaczynski hat Polen lange Jahre geprägt als Politiker, war aber ein umstrittener Politiker. Was wird von ihm in Erinnerung bleiben?

    Krzeminski: Also er war ein nationalkonservativer Politiker, es bleibt eine Erinnerung an einen oppositionellen Politiker, der mit der Solidarnosc eng verbunden war, einen der misstrauisch gegenüber der allzu oberflächlichen – wie er meinte – Versöhnung mit den Nachbarn war. Das galt den Deutschen, das galt auch den Russen. Es wird wahrscheinlich auch sein Engagement für Georgien und für die Ukraine bleiben, aber sonst war er, besonders in der letzten Zeit, tatsächlich, wie Sie gesagt haben, umstritten, und seine Umfragewerte waren nicht sonderlich gut. Man hat lange darüber nachgedacht, welche Chancen hat er, wiedergewählt zu werden, aber das alles ist heute natürlich vor dem Hintergrund der Katastrophe kein Thema.