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"Donnerstags bei Kanakis"
Schuld und Anstand im Nachkriegs-Österreich

Dieser Roman entstand aus einer Enttäuschung: Elisabeth de Waal, geborene Ephrussi, hatte nach dem Krieg wie so viele jüdische Heimkehrer erleben müssen, dass in ihrer Heimatstadt Wien keiner auf sie gewartet hatte. Im Gegenteil.

Von Beatrix Novy |
    Das Cafe Griensteidl in Wien: In dem legendären Wiener Kaffeehaus trafen sich um 1890 die Dichter Arthur Schnitzler und Hugo von Hofmannsthal, der Kulturkritiker Karl Kraus, der Architekt Adolf Loos und der Revolutionär Leo Trotzki.
    Kaffeehaus Griensteidl: Ein Tatort des Wiener fin de siècle (picture-alliance/ dpa)
    Zehn Jahre lang musste sie in einem Klima von Desinteresse und Ablehnung um das noch auffindbare Eigentum der Familie kämpfen. Die Familie, das waren immerhin die Ephrussis: Angehörige der gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen Geldelite, die ihre Paläste an der neu angelegten Ringstraße bauten und, im Gegensatz zu heutigen Superreichen, dort auch lebten.
    Mit Gastlichkeit und Kunstsinn hatten sie das Geistesleben gefördert und sich um das Wiener fin de siècle verdient gemacht. Aber das interessierte nach dem Anschluss von 1938 an Hitlerdeutschland niemanden mehr, wenn so eine Familie jüdisch war und nur wenig mehr als das nackte Leben in die Emigration retten konnte. Wie die Ephrussis.
    Elisabeth de Waal starb in England. Erst in ihrem Nachlass fand ihr Enkel Edmund de Waal das Romanmanuskript. In seiner großen Ephrussi-Familiengeschichte "Der Hase mit den Bernsteinaugen" erwähnt er den Fund auf Seite 274:
    "Elisabeth verfasste einen Roman über ihre Reise. Er ist unveröffentlicht. Und nicht zu veröffentlichen, denke ich, als ich das Typoskript durchsehe."
    Denn dies sei keine angenehme Lektüre, befand de Waal damals. Zudem hatte er seinen Bestsellererfolg "Der Hase mit den Bernsteinaugen" erst noch vor sich. Der war die Voraussetzung dafür, dass "Donnerstags bei Kanakis" nun doch erschienen ist.
    "Elisabeth tritt darin als fiktiver jüdischer Professor Kuno Adler auf, der nach dem Anschluss zum ersten Mal aus Amerika nach Wien zurückkehrt", schreibt Edmund de Waal im Vorwort zur deutschen Ausgabe. Tatsächlich hat Elisabeth de Waal ihr inneres Heimkehr- und Entfremdungserlebnis auf mehrere Personen aufgespalten. Da ist Theophil Kanakis, der Titelheld: Kein Verfolgter, sondern ein reicher Remigrant aus der alteingesessenen Wiener griechischen Gemeinde, er will es sich mit seinem vielen Geld in der alten Heimat gut gehen lassen.
    Da ist Resi, die in den USA aufgewachsene Tochter einer österreichischen Adligen. Und da ist Kuno Adler, der jüdische Wissenschaftler, der Arbeit und Ehefrau in New York verlässt, erstens, weil er seine Heimat immer noch liebt, zweitens, um den Wienern die Zumutung seiner Rückkehr nicht zu ersparen. Und in der Tat ist man in seinem Institut über sein Auftauchen gar nicht erfreut. Der alte Arbeitsplatz, auf den er gesetzlichen Anspruch hätte, ist ja nun leider, leider, wie ihm wienerisch-höflich bedeutet wird, von einem anderen besetzt. Adler muckt nicht auf, er richtet sich in einem toten Winkel des Instituts ein, unter den Augen des Nachfolgers, der mit seiner Nazi-Gesinnung nicht lange hinterm Berg hält.
    "Warum also, warum um Himmels willen, sind Sie zurückgekommen, Professor Adler?"
    Kuno Adler steht für die jüdischen Heimkehrer, die auch nach dem Holocaust dem habituellen österreichischen Antisemitismus wieder begegneten. Die sich auch von alten Freunden anhören mussten, wie schwer es die Daheimgebliebenen im Krieg getroffen hatte - was sich in der angeblichen Opfernation Österreich bis in die 80er-Jahre hinein kaum ändern sollte.
    Den verbreiteten schulterzuckenden Zynismus erlebt auch Theophil Kanakis: In einer raffiniert eingefädelten Wendung verbindet Elisabeth de Waal diesen fiktiven Helden mit ihrem realen Familienschicksal: Verschollene Bilder aus dem Palais ihrer Eltern lässt sie im üppig ausgestatteten Büro eines Geschäftsmanns namens Traumüller auftauchen. Zwei Porträts, die Kanakis, der vor dem Krieg im Palais Ephrussi verkehrte, sofort erkennt. Traumüller rechtfertigt sich hastig:
    "Sie haben eigentlich einem Herrn gehört, der sicher mit Ihrer Familie bekannt war, Baron E. Möglicherweise haben Sie sie in seinem Haus gesehen. Baron E. ist leider im Ausland gestorben, in England, glaube ich."
    Traumüller hat, selbstverständlich, Bilder und Einrichtung im Auktionshaus brav erworben.
    "Alles ganz offen, offiziell und legal, sehen Sie."
    Dieser Traumüller wird Kanakis die zauberhafte Villa vermitteln, die er für die Verwirklichung eines Traums braucht: mit seinem Reichtum einen sorgsam gemischten Kreis interessanter, angesehener, schräger Leute an sich zu ziehen. Eben "Donnerstags bei Kanakis". Zu dieser lebenshungrigen Nachkriegs-Jeunesse dorée stößt irgendwann auch die schöne Halbamerikanerin Resi, ein rätselhaft zielloses Geschöpf ohne intellektuelle Ambitionen - eigentlich schwer zu glauben, dass die Autorin ihr eigene Züge mitgegeben hat, wie ihr Enkel Edmund de Waal im Vorwort behauptet.
    Eindeutig ist nur Elisabeth de Waals nostalgische Sympathie für das breit geschilderte Milieu der österreichischen Loden-Aristokratie, dem Resi angehört und das irgendwie an die Trapp-Familie erinnert. Allerdings, deren Bodenständigkeit fehlt Resi - was ihr schließlich zum Verhängnis wird.
    Elisabeth de Waal lässt ihr Figurenpersonal aufeinandertreffen und verwickelt es nach und nach in ein Gewirr aus Schuld und Unschuld, Dekadenz, Anstand, Gleichgültigkeit und Ignoranz; transparent konstruiert, unkompliziert erzählt, wenn auch nicht unambitioniert - aber es bleibt bei einigen sprachlich intensiven Glanzlichtern. "Donnerstags bei Kanakis" ist kein großer Roman, und das wusste die kritische und belesene Elisabeth de Waal auch selbst. Aber ein Buch muss keine literarische Sensation sein, um mit der atmosphärisch authentischen Sicht auf ein Zeitgeschehen, das noch keineswegs ganz vergangen ist, zu fesseln. Und Edmund de Waal hat recht daran getan, es zu veröffentlichen.
    Elisabeth de Waal: "Donnerstags bei Kanakis". Zsolnay 2014. ISBN 0 783552 056725. 9,90 Euro.