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Donny McCaslin Quartett
Post-Bop, Prä-Bowie (1/2)

Als ihn David Bowie 2015 zum musikalischen Partner auf seinem letzten Album "Blackstar" machte, gehörte Donny McCaslin längst zu den großen Tenorsaxofonisten des zeitgenössischen Jazz. Sein Klubkonzert in München 2010 beweist eindrucksvoll, warum.

Am Mikrofon: Odilo Clausnitzer |
    Im Gegenlicht eines Bühnenscheinwerfers spielt ein bärtiger Mann mittleren Alters Tenorsaxofon.
    Auf seinem Album "Blow" von 2018 experimentiert Donny McCaslin mit eigenen Popsongs. (Imago / Pluquet / Alpaca / Andia)
    Donny McCaslin steht für einen kraftvollen, rhythmisch artikulierten, dabei stark motivisch durchformten Improvisationsstil. Er begann als Mitglied in der Gruppe des Vibrafonisten Gary Burton, später ersetzte er Michael Brecker in der Fusion-Band Steps Ahead. Als Sideman spielte McCaslin mit dem Pianisten Danilo Perez, dem Trompeter Dave Douglas und gehört seit Anfang der 2000er-Jahre fest zum Maria Schneider Orchestra. Sein Debüt als Leader gab er 1998, vergleichsweise spät, mit 32 Jahren. Mit der Platte "Perpetual Motion", veröffentlicht 2011, schlug er eine seither weiterverfolgte elektronische Richtung ein. Doch beim Konzert in München zeigte er sich noch in akustischem Gewand, als Meister eines mitreißenden Post Bop voll ausladender Spannungsbögen.
    Donny McCaslin, Tenorsaxofon
    Uri Caine, Piano
    Scott Colley, Kontrabass
    Antonio Sanchez, Schlagzeug
    Aufnahme vom 14.11.2010 aus der "Unterfahrt", München
    Interview mit Donny McCaslin
    Sie haben einen sehr persönlich ausgeprägten Saxofonstil. Können Sie uns ein wenig erklären, wie Sie den entwickelt haben?
    "Ich hatte mich bewusst mit genau dieser Frage beschäftigt: Wie kann ich meine eigene Stimme finden? Es gibt so viele tolle Saxofonisten, Du kannst Dich auf diese ganze Tradition beziehen und sie weiterführen. Ich habe mich auf meine Intuition besonnen. Genauer gesagt, darauf, was mich an Musik angezogen und interessiert hat, wenn sie gehört habe. Zum Beispiel habe ich Thelonious Monks Spiel geliebt, das Individuelle daran. Ich weiß, wie tief er sich mit der Musikgeschichte auseinander gesetzt hat, aber er hatte einfach so eine ausgeprägt individuelle Art. Das lag teilweise an seinem Gebrauch großer Intervalle. Ich dachte mir: Ich liebe das! Kann ich vielleicht so etwas auch auf dem Saxofon machen? So habe ich angefangen, das zu üben. Das war in meinen frühen 20ern. Ich kann mich erinnern, wie jemand mir dann mal so etwas sagte wie: "Ich merke, wie Du dieses Intervall-Ding versuchst, aber das funktioniert nicht wirklich!". Aber ich dachte, ich muss einfach dran bleiben und habe das weiter verfolgt. Ein anderes Beispiel war Volksmusik. Afrikanische Rhythmen. Ein großer Einfluss war für mich auch die Beschäftigung mit Afro-kubanischer Musik. Dann habe ich viel argentinische Volksmusik gespielt, dann afro-peruanische Musik und brasilianische Musik. Ich habe versucht, den Umgang mit Rhythmen darin zu verinnerlichen. Ich war lange sozusagen auf solchen Seitenwegen unterwegs, um meine musikalischen Fertigkeiten zu vergrößern, aber auch einfach, weil es mich fasziniert und instinktiv angezogen hat."
    Die markanteste Eigenart Ihres Stil ist vielleicht Ihr Umgang mit thematischer Improvisation. Statt austauschbare Licks und Skalen zu spielen, gehen Sie lieber von kleinen Motiven aus und entwickeln die konsequent weiter.
    "Es gibt so viele Licks! Die habe ich natürlich auch eine zeitlang geübt. Aber ich habe mich immer wieder gefragt: Was ist eigentlich der Kern dessen, was ich hören und spielen möchte? Was ist es? Etwas harmonisch sehr Ausgefuchstes vielleicht? Und letztlich war meine Antwort: Alles, was ich spiele, braucht diese starke rhythmische Basis, und außerdem eine Art von melodischer Richtung und Entwicklung. Sonny Rollins hat das für mich verkörpert. Er hat die einfachste Idee genommen und entwickelt, entwickelt, entwickelt. Das hat mich gepackt. Das hat sich für mich mehr nach echter Improvisation angefühlt als das, was ich mir davor überlegt hatte. Also überahm ich diese Idee und kombinierte sie mit einem starken rhythmischen Unterbau. Das hat mir geholfen, als Spieler mehr im Moment zu bleiben und nicht über die 10 Licks nachzudenken, die ich mal geübt hatte. Oder über diese oder jene harmonische Idee. Stattdessen versuche ich, mitten im Fluss der Improvisation eine Idee zu entfalten und damit im Moment zu bleiben. Kurz gesagt, ich wollte eine Art Bewusstseinsstrom haben beim Improvisieren, aber mit dem Unterbau einer starken melodischen Entwicklung und einer starken Rhythmussprache."
    Sie haben mal gesagt, gedanklich würden Sie sich beim Saxofonspielen gerne in die Rolle des Schlagzeugers versetzen. Was ist die Idee dahinter?
    "Als ich in Danilo Perez' Band spielte, sprachen wir über verschiedene Improvisationskonzepte. Er sagte mir damals: Probier' mal aus, Dir vorzustellen, Du wärest der Flötist im Orchester! Oder der Pianist! Oder dies oder das! Ich stellte mir dann vor, wie es wäre, wenn ich der Schlagzeuger wäre, jedenfalls manchmal. Das eröffnet plötzlich so viel Raum für Interaktion in der Band. Plötzlich bin ich mit dem Schlagzeuger verbunden. Die Schlagzeuger hören das sofort und steigen sofort darauf ein, nach dem Motto: "Ah, okay! Du hörst mir zu, und Du willst mit mir ins Gespräch kommen? Schön! Du sprichst meine Sprache! Fantastisch!" Und das sind die Momente, nach denen ich als Improvisator strebe, wenn etwas Unerwartetes passiert. Ein großes Beispiel dafür ist für mich Miles Davis' "Live At The Plugged Nickel". Das hat mich einfach verzaubert. Mit anderen so in Beziehung zu treten beim Spielen, das bereitet das Tableau für solche Momente. Statt dass die anderen einfach die Begleitspur für ein Saxofonsolo sind, das ich mir mit einer Millionen Sachen vorher ausgearbeitet habe. Das ist die Idee dahinter. Und ich genieße das sehr, diese Möglichkeit des musikalischen Geprächs."
    Teil 2 am 13. Juli 2021 in "Jazz Live"
    Den vollständigen ersten Teil des Konzertes hören Sie hier:
    Konzert Donny McCaslin Quartet in München, 14.11.2010 Teil 1