"Während die Zuschauer die Olympiasieger gefeiert haben, haben wir wie verrückt deren Urinproben ausgetauscht."
So beschreibt Gregori Rodtschenkow, der Ex-Leiter des Moskauer Anti-Doping-Labors in der New York Times, wie es in seinem Labor 2014 während der Olympischen Winterspiele in Sotschi zugegangen sei. In dem Artikel ist ein Foto zu sehen, das zeigen soll, durch welche kleine, unauffällige Klappe in Fußhöhe Nacht für Nacht die belasteten Urinproben in einen nur karg beleuchteten Nebenraum durchgereicht und gegen ältere, saubere Proben ausgetauscht worden sein sollen.
Zugleich habe er den Athleten einen Cocktail an drei verschiedenen Anabolika-Substanzen gemischt, die sie nach genauer Anleitung einnehmen sollten, erzählt Rodtschenkow. Und: der russische Geheimdienst sei voll involviert gewesen.
"Überraschende Dimension"
"Diese Dimension ist in der Tat für mich auch überraschend. Was wir jetzt hören, dass trotz all der Weiterentwicklungen in der Dopingbekämpfung über Jahrzehnte hinweg quasi jetzt noch in der Jetztzeit ein solches System möglich ist, etabliert worden ist. Wenn die Vorwürfe stimmen, und das auch noch mit Unterstützung des Geheimdienstes, das schlägt dem Fass den Boden aus",
zeigt sich selbst ARD-Doping-Experte Hajo Seppelt perplex. Mit seiner ARD-Dokumentation im Dezember 2014 hat alles begonnen. Genauer gesagt: mit den Aussagen der beiden Whistleblower Julia und Witali Stepanow, ihren Handyaufnahmen und anderen Belegen für zentral gesteuertes Doping in der russischen Leichtathletik. Danach hat die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA ermittelt, dem russischen Anti-Doping-Labor im November 2015 die Zulassung entzogen. Dessen Leiter Gregori Rodtschenkow musste gehen, floh in die USA.
Bisher nur ein Leichtathletik-Skandal
Bis dahin war es nur ein Skandal in der russischen Leichtathletik, das Internationale Olympische Komitee IOC mischte sich nicht ein, der Welt-Leichtathletikverband IAAF reagierte zögerlich, suspendierte die russischen Athleten schließlich vorläufig, eine Entscheidung über ihre Olympiateilnahme in Rio sollte später erfolgen, abhängig davon, ob der russische Verband Fortschritte macht im Anti-Doping-Kampf. IAAF-Präsident Sebastian Coe, enger Vertrauter von IOC-Chef Thomas Bach, stellte im März fest, diese Fortschritte seien erkennbar:
"Progress has been made"
Kurz zuvor waren innerhalb von zwei Wochen zwei ehemalige Geschäftsführer der Russischen Anti-Doping-Agentur RUSADA verstorben, der gerade zurückgetretene Nikita Kamajew starb vermutlich an Herzversagen, gab die Agentur bekannt.
Russlands Sportminister Witali Mutko räumte in einem jetzt veröffentlichten Interview mit der ARD-Sportschau zwar Dopingfälle auch bei Olympiasiegern ein, aber:
"Was das Doping betrifft, den menschlichen Faktor, die Korruption, den Missbrauch, das gibt es in Russland, klar. So wie es all das auch in Deutschland oder in anderen Ländern gibt."
Das Interview wurde vor zwei Wochen aufgenommen, darin sagte Mutko auch:
"Ich will Ihnen sagen, dass ich weiß, dass es im russischen Sport ein Dopingproblem gibt. Das bestreitet keiner. Als wir uns auf Sotschi vorbereitet haben, da haben wir den Skisport revolutioniert, wir wussten, dass wir in der Heimat keine falschen Siege wollten."