Doping in Deutschland Was vom dunklen Kapitel der Freiburger Sportmedizin bleibt
Die Doping-Vergangenheit der Freiburger Sportmedizin wurde nie ganz aufgeklärt - auch nicht von der Evaluierungskommission, der die Mafia-Expertin Letizia Paoli vorstand. Paoli beleuchtet jetzt mit Kollegen die jahrzehntelangen Missstände in Freiburg im Buch "Doping für Deutschland".
Letizia Paoli und Hellmut Mahler im Gespräch mit Marina Schweizer |
Über vier Jahrzehnte haben Sportmediziner der Universität Freiburg Spitzensportler und Spitzensportlerinnen aus mehreren Disziplinen gedopt. Sie waren mitverantwortlich für Weltrekorde, Medaillen und viele Spitzenleistungen, die ohne Dopingmaßnahmen wohl nicht denkbar gewesen wären. Das Ende kam erst 2007 als der belgischen Radsport-Masseur Jeff d'Hont erstmals über die Dopingpraktiken beim Team Telekom und die Rolle von Sportmedizinern des Freiburger Universitätsklinikums berichtete. In der Freiburger Sportmedizin geht es um kofferweise Anabolika und andere Dopingmittel, um Todesfälle unter Sportlern und vor allem eines: den großen Vorwurf des Schweigens.
Was ich mit der Arbeit für die Evaluierungskommission entdeckt habe, hat mich immer wieder an die berüchtigten italienischen Verhältnisse erinnert.
Kriminologin und Mafia-Expertin Letizia Paoli
Im Deutschlandfunk Sportgespräch erzählen zwei langjährige Mitglieder der Freiburger Evaluierungskommission von ihren Erkenntnissen, den Hürden bei der Aufarbeitung und sie formulieren ihre Schlüsse, die aus ihrer Sicht für das System deutscher Sport gezogen werden müssten. Ihr Buch zu ihrer langjährigen Arbeit ist gerade erschienen.
"Diese Praxis wurde von der Universität Freiburg, von organisierten Sportverbänden und auch der Politik viel zu lange toleriert. Was ich mit der Arbeit für die Evaluierungskommission entdeckt habe, hat mich immer wieder an die berüchtigten italienischen Verhältnisse erinnert", sagte die Kriminologin und Mafia-Expertin Letizia Paoli im Sportgespräch. Die Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin wurde 2007 ins Leben gerufen, zwei Jahre später übernahm Letizia Paoli den Vorsitz. Interne Streitigkeiten, unvorhersehbare Ereignisse und Steine, die den Aufklärern und Aufklärerinnen immer wieder von Außen in den Weg gelegt wurden, führten dazu, dass die Kommission die Unabhängigkeit ihrer Arbeit nicht mehr gewährleistet sah. 2016 traten die letzten sechs in der Kommission verbliebenen Mitglieder unter dem Vorsitz von Paoli unter Protest zurück, ohne einen Abschlussbericht vorzulegen. Im Mai 2022 legen sie gemeinsam das Buch "Doping für Deutschland" vor. Es fasst die Erkenntnisse über die Freiburger Sportmedizin zusammen und beinhaltet auch Appelle an das System Sport.
Wie viele Athleten und Athletinnen die Dienste der Freiburger Mediziner in Anspruch nahmen, ist bis heute nicht ganz geklärt. Die Kriminologin Letizia Paoli, die seit Jahren zu organisierter Kriminalität, illegalen Drogen, Doping und der damit verbundenen Kontrollpolitik forscht und an der Universität Leuven lehrt, geht davon aus, dass "die große Mehrheit der westdeutschen Kaderathleten regelmäßig nach Freiburg gekommen ist".
Professor Klümper war derjenige, der hauptsächlich behandelt und auch Rezepte ausgestellt hat.
Hellmut Mahler, ehemalige stellvertretender Leiter der Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin
Paoli geht von ungefähr 80 Prozent des gesamten westdeutschen Athleten-Kaders aus. "Einige von ihnen wurden auch direkt von Professor Klümper gedopt und kamen regelmäßig zur Untersuchung in die Abteilung Sportmedizin. Es ist undenkbar, dass Professor Keul und seine Mitarbeiter nicht gesehen haben, was für eine Wirkung Anabolika - gerade bei Frauen - haben. Es ist ein Skandal, dass sie nichts unternommen haben", sagte die ehemalige Vorsitzende der Evaluierungskommission Freiburger Sportmedizin im Deutschlandfunk Sportgespräch.
Der Sportmediziner Armin Klümper gilt neben dem langjährigen Chefarzt des deutschen Olympiateams Joseph Keul als zweiter Strippenzieher in der Freiburger Doping-Zentrale. Der ehemalige stellvertretende Kommissionsleiter Hellmut Mahler spricht von "einer Art Arbeitsteilung" der beiden Sportmediziner: "Professor Keul hat überwiegend die Sportler begutachtet und untersucht. Nach dem Motto: Ist ihre Leber noch gut und vertragen sie das, was sie bekommen. Professor Klümper war derjenige, der hauptsächlich behandelt und auch Rezepte ausgestellt hat", sagt Mahler. Er ist Sachverständiger für Betäubungsmitteluntersuchungen und Toxikologie beim LKA Düsseldorf und war als einziges Mitglied der Freiburger Dopingkommission von Anfang bis Ende dabei.
Klümper - "der Top-Doper des deutschen Sports"
Keul sei vorsichtig gewesen. Für die "schmutzige Arbeit" sei Klümper verantwortlich gewesen; er habe viele Sportler gedopt. "Häufig hat er einen unverantwortbaren medizinischen Cocktail vorbereitet und an Athleten und andere Patienten gegeben", sagte Letizia Paoli. Berühmt war sein "Klümper Cocktail", den sich westdeutsche Sportler in den 70er- und 80er-Jahren regelmäßig abholten.
Professor Armin Klümper verfügte nach Angaben der beiden Autoren über ein feines diagnostisches Gespür und erkannte die Probleme der Sportler und Sportlerinnen sehr schnell. Und: Er gab ihnen auch Tipps fürs Training. "Deswegen war er sehr beliebt - aber auch sehr unverantwortlich in seiner Praxis, was viel zu lange geduldet wurde, auch von Keul", sagte Paoli. Anhand von 60 Akten-Ordnern, welche lange als verschollen galten und dann in einer Außenstelle der Staatsanwaltschaft Freiburg gefunden wurden, konnte die Kommission im Fall von Armin Klümper systematisches Doping beim Bund Deutscher Radfahrer nachweisen.
Die Mauer des Schweigens über Klümpers Handeln in Sport und Politik ist stabil.
Zitat aus dem Buch "Doping für Deutschland"
Die Kommission legte anhand der Akten ebenfalls dar, was für ein großes Netz "von Fans und Beschützern" der als Wunderheiler geltende Armin Klümper hatte. Deshalb wurde nach Ansicht der beiden Kommissions-Vorsitzenden auch lange nichts gegen ihn unternommen.
Promibonus für Klümper
Klümper habe nicht nur renommierte Sportler behandelt, die mit einflussreichen Trainern oder Verbänden verbunden waren, sondern auch prominente Patienten. "Solche Prominenz führt dazu, wenn man sie tatsächlich richtig diagnostiziert und ihnen dann Medikamente verabreicht, die ihre Schmerzen nehmen, dass man da eine gewisse Protektion empfindet, die man einem solchen Guru entgegenbringen müsste", sagt der LKA-Sachverständige Hellmut Mahler. Er schließt mit Blick auf seine Arbeit in der Kommission nicht einmal Dichthalten von Strafverfolgunsbehörden aus.
Der Kampf der politischen Systeme
Ein weiterer Faktor war aus Sicht der beiden Kommissionsmitglieder die Politik. Hellmut Mahler nennt es "gewolltes systemisches Versagen". Bis heute diene der Sport als Ersatz für die Auseinandersetzung zwischen politischen Systemen. In der DDR spielte er eine große Rolle - und auch in anderen nationalistisch denkenden Nationen ist das noch so. Er hält es für einen großen Fehler des Westens und der Demokratien, sich auf dieses Spiel einzulassen. Die Freiburger Doping-Praktiken seien auch ein nationales Anliegen gewesen - bis heute noch.
"Da ist sehr viel Macht im Spiel und eine Universität darf sich dieser Macht nicht unterwerfen. Auf gar keinen Fall", sagte Mahler. Doch das sei der Universität Freiburg nicht gelungen. "Es geht um Strukturen, die unsägliches zustande gebracht haben und die sich als hinderlich erwiesen haben, bei einer echten Aufklärung", sagte Mahler und fügte an: "Meines Wissens sind diese Strukturen nicht geändert worden."
Politik sei von Medaillen besessen gewesen - vor der Wiedervereinigung aber auch noch danach. Die Kriminologin Paoli erinnert im Sportgespräch daran, dass der einstige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) noch 2015 ein Drittel mehr Medaillen im Spitzensport forderte.
Kritik am Leistungsgedanken des IOC
Auch beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) würden "die Dinge falsch laufen", kritisiert Paoli. Das Motto des IOC sei: schneller, höher, stärker, gemeinsam. „Das Motto steht für ein einseitiges, leistungsorientiertes Verständnis von sportlichen Tätigkeiten.“
Das IOC selbst sei damit ein Haupttreiber der verbotenen, leistungssteigernden Maßnahmen. "Sie denken nur an die Maximierung der Leistung. Diese Philosophie beeinflusst auch die Arbeit der nationalen Sportverbände und der nationalen Politik. Sie sehen immer noch eine möglichst erfolgreiche Teilnahme an den Olympischen Spielen als ein legitim deklariertes Ziel zur finanziellen Unterstützung des Sports", kritisiert Paoli weiter. "Sie denken nicht an die Umstände, an den Druck den sie dann an ihre Athletinnen und Athleten weitergeben."