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Doping
"Russische Athleten dürften eigentlich nicht in Rio starten"

Nach Ansicht des Präsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbands, Clemens Prokop, sollten russische Athleten nicht bei den Olympischen Spielen in Rio starten dürfen. In Russland werde Doping offensichtlich systematisch betrieben. "Ein Wettbewerb macht aber nur Sinn, wenn fair miteinander umgegangen wird", sagte Prokop im DLF.

Clemens Prokop im Gespräch mit Christine Heuer |
    Porträtbild von Clemens Prokop
    Der Präsident des Leichtathletik-Verbandes, Clemens Prokop, 2015 in Berlin während einer Pressekonferenz. (picture alliance / dpa/ Sören Stache)
    Die Berichte über systematisches Doping in Russland hält der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands, Clemens Prokop, für glaubwürdig. Die Schilderungen seien nachvollziehbar. Nun habe der Schutz der fairen Sportler Vorrang, betonte Prokop. Die Olympischen Spiele lebten davon, dass die Welt sich treffe zum fairen sportlichen Wettbewerb. Deshalb plädierte er für den Ausschluss aller russischer Athleten von den Olympischen Spielen, selbst wenn diese Entscheidung möglicherweise zulasten einzelner nicht gedopter Sportler gehe. Ohnehin halte er es für sehr schwer, sich in einem von Doping durchsetzten System zu behaupten, so Prokop.
    Vom Internationalen Olympischen Komitee erwarte er nun deutliche Anstrengungen, die Dopingvorwürfe aufzuklären.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Dass der Weltsport mindestens einen großen Abgrund kennt, den des Dopings, ist seit Langem klar. Wenige Wochen vor den Olympischen Sommerspielen in Rio wird aber immer offensichtlicher, wie tief er ist. Im Mittelpunkt ganz aktuell sind Nachkontrollen der Spiele von Peking 2008 und erneut schon wieder und immer noch Russland.
    Am Telefon ist Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletikverbandes. Guten Morgen, Herr Prokop.
    Clemens Prokop: Guten Morgen.
    Heuer: Es geht ja jetzt um die Frage, ob die russischen Sportler für Rio, für die Olympischen Sommerspiele dort gesperrt werden. Sind Sie dafür oder dagegen, ja oder nein?
    Prokop: Die Frage ist nicht ganz so einfach zu beantworten.
    Heuer: Das hatte ich gehofft, dass das so ist.
    Prokop: Nein. Aber ich denke, wir kriegen aus Moskau immer mehr Mosaiksteinchen oder aus Russland immer mehr Mosaiksteinchen, die zusammengesetzt ein Bild geben, dass dort offensichtlich Doping systematisch betrieben worden ist, dass Doping nicht die Entscheidung von Einzelnen war, sondern wirklich komplett das System von Doping verseucht ist. Und dann ist eigentlich die Antwort doch klar, nämlich die russischen Athleten dürften eigentlich nicht in Rio starten.
    "Entscheidend ist, dass die Fairness gewinnt"
    Heuer: Ja, ist eine klare Antwort. Bedeutet auch, wenn es so kommt, ein Konkurrent weniger für Deutschland. Schöner Nebeneffekt, oder?
    Prokop: Ich glaube, darauf kommt es nun gar nicht an. Im Gegenteil: Das ist eigentlich ein Nachteil, weil Olympische Spiele leben ja davon, dass die Welt sich wirklich trifft zum fairen sportlichen Wettbewerb. Das Entscheidende ist aber, dass so ein Wettbewerb nur Sinn macht, wenn wirklich fair miteinander umgegangen wird, und wenn ein Teil davon hier mit unlauteren Mitteln arbeitet, dann ist dieses nicht mehr gegeben und dann, denke ich, steht die Fairness im Vordergrund und dann ein Konkurrent weniger, aber entscheidend ist, dass die Fairness gewinnt.
    Heuer: Muss man denn aber gleich alle russischen Sportler sperren, Herr Prokop? Eigentlich ist die Sippenhaft ja abgeschafft.
    Prokop: Das ist richtig. Nur auf der anderen Seite: Wie will man denn noch überhaupt beurteilen können, wer sich lauter verhält und wer es nicht tut? Wenn ein System nicht mehr besteht, wenn ein System offensichtlich von Doping durchsetzt ist, dann gibt es keine klaren Kriterien mehr, so eine Feststellung zu treffen, und ich glaube auch, dass es überhaupt sehr schwer sein wird, in so einem System ohne Doping sich behaupten zu können. Deshalb glaube ich am Ende, dass wirklich das Prinzip, die fairen Sportler müssen geschützt werden, Vorrang hat vor möglicherweise im Einzelfall auch mal einer ungerechten Entscheidung zu Lasten eines dann vielleicht doch sauberen Athleten in Russland.
    Heuer: Sie sind ganz sicher, dass es in Russland Staatsdoping gibt. Das hört man aus jeder Ihrer Antworten heraus. Was macht Sie da eigentlich so sicher?
    Prokop: Nun, wir haben ja eine Reihe von Informationen erhalten. Es begann ja in der Leichtathletik eigentlich mit den Aussagen des Ehepaares Stepanowa. Jetzt haben wir mit dem ehemaligen Leiter des Moskauer Dopinglabors sehr detaillierte und aufgrund dessen für mich auch sehr glaubwürdige Aussagen. Wir haben in der ARD Berichte gesehen über weitere Skandale, die sich auf diesem Feld tummeln. Für mich zusammengesetzt ergibt sich schon sehr nachvollziehbar, dass hier Doping mit System betrieben wurde.
    Heuer: Aber zum Beispiel im Fall der russischen Wintersportler, der letzte Woche viel von sich hat reden lassen, da gibt es ja nur Zeugenaussagen. Wie wollen Sie denn da nachweisen, dass es ein Staatsdoping gegeben hat? Das ist doch gar nicht mehr möglich.
    Prokop: Dass es im Einzelfall sehr schwierig wird, ist ja klar. Aber ich muss noch mal sagen: Die Aussagen derjenigen, die hier berichten, wie es in dem System zuging - es sind ja Insider aus dem System, es sind ja nicht Leute, die vom Westen quasi irgendwo hier auf Besuch in Russland waren, sondern es sind Leute, die jahrelang hier im Umgang mit den Athleten beschäftigt waren, im Umgang mit den Dopinglabors. Deshalb glaube ich einfach, dass deren Schilderungen, wie das System abläuft, nachvollziehbar und deswegen auch glaubwürdig sind.
    "Wie können wir unsere sauberen Athleten schützen"
    Heuer: Sie sind aber doch selbst Jurist. Sie sind, glaube ich, Richter von Beruf, wenn ich richtig liege?
    Prokop: Richtig.
    Heuer: Gilt da nicht in dubio pro reo auch für Russland vielleicht in diesem Fall?
    Prokop: In dubio pro reo ist natürlich ein Prinzip aus dem Strafrecht. Aber hier geht es ja eigentlich um eine andere Angelegenheit. Hier geht es ja darum: Wie können wir unsere sauberen Athleten schützen. Und ich denke, können wir wirklich in den Wettbewerb unsere Athleten schicken, wenn wir davon ausgehen müssen aufgrund der Aussagen und Indizien, die einfach vorliegen, dass hier einfach ein Teil von Athleten nicht mit gleichen Chancen und gleichen Bedingungen in den Wettkampf geht wie unsere Athleten zum Beispiel.
    Heuer: Der IOC-Präsident Thomas Bach, der hat sich in der Vergangenheit ziemlich zurückgehalten, was das Thema angeht. Gestern hat er aber eine Null-Toleranz-Grenze gegen Doping angekündigt. Nehmen Sie ihm das ab, meint er das ernst?
    Prokop: Die null Toleranz wird vom IOC-Präsidenten eigentlich immer angekündigt. Die Frage ist, ob die Dinge dann auch umgesetzt werden, und hier, glaube ich, gilt der Spruch der Bibel: An den Taten sollt ihr sie messen. Deshalb denke ich, soll das IOC nun uns zeigen, wie radikal es diesen Verdachtsmomenten nachgeht, was unternommen wird, und dann, glaube ich, können wir abschließend hier den Stab brechen.
    Heuer: Thomas Bach ist nur dann ein guter IOC-Präsident, wenn er die Russen von Rio ausschließt?
    Prokop: Nein. Das wäre, glaube ich, etwas zu kurz gesprungen. Entscheidend ist, welche Anstrengungen nun das IOC tatsächlich unternimmt, zusammen mit der WADA, um diese Verdachtsmomente aufzuklären, um wirklich lückenlos uns darzustellen, ob diese Vorwürfe stimmen oder nicht.
    Prokop: Kaum Vertrauen in den WADA-Chef
    Heuer: Nun hat aber der WADA-Chef Craig Reedy in Moskau in Sachen Leichtathletik einen geradezu devoten Brief an die russische Seite geschrieben. Ist dieser Mann wirklich unabhängig? Können Sie in den genauso große oder kleine Hoffnungen setzen wie in Thomas Bach?
    Prokop: In den Präsidenten der WADA bin ich nicht so ganz zuversichtlich und hier setze ich nicht so viel Vertrauen in ihn. Ich finde manche Äußerungen von ihm sehr merkwürdig und wenig vertrauensbildend. Ich hoffe da mehr auf das IOC.
    Heuer: Und das will was heißen.
    Prokop: Ja, das ist richtig. Aber wie gesagt: Thomas Bach hat gestern angekündigt, dass das IOC diese Sache stringent verfolgen will, und ich denke noch mal, dann müssen sie sich auch an den Taten messen lassen.
    Heuer: Jetzt sprechen wir die ganze Zeit über die Russen, Herr Prokop. Es gibt ja auch genug Anlass dazu. Sind die deutschen Sportler sicher nicht gedopt?
    Prokop: Das kann kein Mensch sagen. Was wir sagen können ist, dass wir ein sehr dichtes Kontrollnetz haben, dass wir im deutschen Sport in der Leichtathletik zum Beispiel sogar das dichteste Kontrollnetz aller Sportarten haben und dass damit ein Vertrauenstatbestand gerechtfertigt ist, der zunächst mal die Aussage, denke ich, rechtfertigt, solange niemand überführt ist, hat er das Recht, als unschuldig oder als fair zu gelten. Das, glaube ich, unterscheidet uns ganz wesentlich von manchem anderen Land.
    Heuer: Für die deutschen Leichtathleten, die Sie ja vertreten, da würden Sie schon die Hand ins Feuer legen?
    Prokop: Die Hand würde ich für niemanden ins Feuer legen. Aber, ich kann nur sagen, wir machen alles Menschenmögliche, um die Hemmschwelle zu dopen so hoch anzusetzen, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass jemand dann doch dopt. Aber eine Garantie kann niemand dafür abgeben.
    "Ich lege für niemanden die Hand ins Feuer"
    Heuer: Machen wir das mal konkret. Was ist zum Beispiel mit Robert Harting? Der wirft seit zwei Jahren den Diskus weiter als die gesamte Weltelite. Ist so was überhaupt möglich?
    Prokop: Ja. Robert Harting verfügt über ein ganz ungewöhnliches Talent, über ganz ungewöhnliche körperliche Voraussetzungen, die ihn geradezu fürs Diskuswerfen prädestinieren, und wir haben ja wirklich traditionell ausgezeichnete Trainer, die weltweit höchstes Ansehen genießen. Und natürlich hat Robert Harting auch ideale Trainingsbedingungen. In der Zusammensetzung ist er einfach in der Welt momentan führend. Ich glaube, das kann man relativ logisch aus vielen Parametern hier ableiten.
    Heuer: Für den zum Beispiel legen Sie die Hand ins Feuer?
    Prokop: Nein. Noch mal generell: Ich lege für niemanden die Hand ins Feuer, weil ich so nahe an keinem Athleten dran bin, dass ich ihn von früh morgens bis abends wirklich unter Kontrolle hätte und wüsste, was er macht. Deshalb: Ich kann es nicht definitiv sagen, aber ich kann nur noch mal sagen, unsere Kontrollmaßnahmen sind sehr hoch, so hoch, dass ich jedem Athleten das Vertrauen schenke, dass er keine illegalen Mittel nimmt.
    Heuer: Herr Prokop, mit Russland haben wir begonnen, mit Russland möchte ich schließen. Ihre Meinung habe ich zu dem Thema schon abgefragt, ob die Russen nämlich nach Rio reisen sollen. Jetzt frage ich Sie nach Ihrer Prognose. Werden russische Sportler in Rio de Janeiro antreten oder nicht?
    Prokop: Es ist immer schwer, Spekulationen zu treffen, aber ganz persönlich glaube ich nach dem Verlauf, wie es momentan mit immer wieder neuen Informationen aus Russland verläuft, dass russische Leichtathleten in Rio nicht am Start sein werden.
    Heuer: Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletikverbandes. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.
    Prokop: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.