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Doping
Ungewollt gedopt?

Wer positiv getestet wurde, ist schuldig, es sei denn, er kann den Nachweis seiner Unschuld erbringen. Eine neue Dokumentation der ARD-Dopingredaktion stellt diese jahrzehntelange Praxis aber nun infrage.

Von Peter Wozny |
Das Bild zeigt Material für Dopingkontrollen bei den Olympischen Jugend-Winterspielen im Januar 2020 in Lausanne.
Die ARD-Dopingredaktion und das Kölner Institut für Rechtsmedizin berichten, schon ein kurzer Hautkontakt könne zu positiven Dopingtests führen. (imago images / GEPA pictures)
Es ist das Knacken, auf das der ehemalige Diskuswerfer Robert Harting noch immer achtet, jedesmal, wenn er eine Flasche öffnet.
"Zck … Man hört immer das Knacken, sobald das Knacken nicht kommt. Flasche weg. Also alles … was offen ist, und nicht aus einem für einen erklärbar sterilen Umfeld kommt, nimmst du einfach nicht."
Die Angst, dass ihnen Dopingsubstanzen untergeschoben werden, begleitet viele Athleten. Dass sie begründet ist, verdeutlicht die ARD-Dokumentation "Schuldig – Wie Sportler ungewollt zu Dopern werden können."

Eine flüchtige Berührung reicht

Dass dazu bereits eine flüchtige Berührung ausreichen kann, zeigt ein Experiment am Institut für Rechtsmedizin der Universität Köln, das die ARD-Dopingredaktion mit der Kamera begleitet hat.
Zwölf Probanden bekamen geringe Mengen verschiedener Anabolika über die Haut verabreicht – durch kurze Berührungen an Hand, Nacken und Arm. Bei allen Probanden wiesen Urinproben danach auffällige Werte auf, wie der Leiter des Kölner Dopingkontrolllabors, Mario Thevis erklärt:
"Wenn die Proben von Athleten gestammt hätten, hätten wir Verdachtsmomente gehabt, denen wir nachgegangen wären, und hätten mit großer Wahrscheinlichkeit in zahlreichen der genommenen Proben einen positiven Befund erheben müssen. Dann hätten wir hier einen Verstoß gegen die Anti-Doping-Regeln, der auch entsprechend sanktioniert worden wäre."

Ein Handschlag, ein Schulterklopfen, eine Umarmung

Ein Handschlag, ein Schulterklopfen, eine Umarmung – Alltägliche Gesten im Wettkampf – eine potentielle Gefahr für Dopinganschläge – kinderleicht auszuführen.
In Deutschland wurden mögliche Dopinganschläge bereits vor über 20 Jahren diskutiert –a nhand des Falls Dieter Baumann. Der Langstreckenläufer – so fanden Ermittler heraus – nahm wahrscheinlich über kontaminierte Zahnpasta verbotene Substanzen auf. Höchstwahrscheinlich ein Anschlag. Gesperrt wurde Baumann trotzdem.
Die belgischen Judoka Charline van Snick erreichte dagegen einen Freispruch vom Vorwurf des Kokainmissbrauchs. Sie konnte den Nachweis erbringen, dass ihre Trinkflasche manipuliert wurde.

Gegen ihren Willen gedopt

Beim Schweizer Handballer Simon Getzmann führten verunreinigte Schmerztabletten zu einer positiven Dopingprobe. Ein Produktionsfehler, der erst nach einem langen und teuren Verfahren festgestellt wurde – das Getzmann selbst bezahlen musste.
"Mein Fall zeigt eigentlich: Man kann positiv sein, aber nicht dopen.
Das Kölner Experiment zeigt, dass es neben den bekannten möglicherweise noch viel mehr Fälle geben könnte, bei denen Sportler gegen ihren Willen gedopt und ohne die Chance einer Rechtfertigung schuldig gesprochen wurden.
Angesichts dieser Erkenntnisse hält die Rechtsprofessorin Angelika Nußberger die geltenden Regelungen, dass ein Sportler sanktioniert wird, der seine Unschuld nicht beweisen kann, für nicht mehr haltbar.
"Wenn es so extrem ist, dass es quasi nicht merkbar ist und als Sabotageakt möglich ist, dann würde das bedeuten, dass eine Menschenrechtsverletzung mit der Sanktion vorliegen würde. Man hat nicht die kleinste Chance, den Gegenbeweis zu führen. Die Folge wäre, dass dann die entsprechenden Regelungen geändert werden müssen."
Alle internationalen Sportorganisationen schwören jedoch auf das seit Jahrzehnten geltende Anti-Doping-Regelwerk. Auch wenn dadurch Jahr für Jahr möglicherweise eine ganze Reihe von Sportlern zu Unrecht sanktioniert werden.