"Zu hören, was sie durchgemacht haben, wie ihr Leben sich dramatisch verändert hat, dass sie Teenager waren als es passierte und dass es ein staatliches Programm war. Meine Hoffnung ist, klar zu machen, die Dinge die passiert sind, sind nicht vergessen".
Auch gegen das Vergessen hat Cornelia Reichhelm ihre ganz persönliche Dopinggeschichte aufgeschrieben. Als 13-Jährige begann sie mit dem Rudern, aus Spaß am Sport und der Bewegung. Aber schon da in der Kinder- und Jugendsportschule traf sie der geheime Staatsplan 14.25 mit aller Wucht: Kinderdoping mit Anabolika.
"Wenn ich an diesen Missbrauch denke, wird mir schon wieder ganz schlecht. Ich hab so gern Sport getrieben, war aufgeschlossen, ein junges Mädchen. Wie können die das mit Kindern tun? Wie können die sowas tun. Das fällt mir schwer, das zu begreifen".
Die Folgen des Kinderdopings wurden ihr erst vor etwa zehn Jahren klar, als sie Ihre Krankenakte las. Da hatte sie schwarz auf weiß die Ursache ihres heutigen Leidens – schwerste Bandscheibenschäden, eine stark veränderte Wirbelsäule:
"Zwischenzeitlich hat sich auch herausgestellt, dass das Herz betroffen ist; aufgrund des massiven Anabolikamissbrauchs sind selbst nach 30 Jahren noch Verdickungen an der Herzwand zu sehen, die Herzklappen schließen nicht ordentlich. Ich hatte unzählige Operationen an den Krampfadern, weil das Binde- und Stützgewebe geschädigt wurde durch Anabolika. Inwieweit Psychopharmaka eine Rolle gespielt haben, weiß ich nicht, aber ich weiß, dass ich sehr, sehr traurig bin".
Die 51-Jährige erzählt ihre bewegende Geschichte im Stützkorsett mit einer Halskrause. Die ehemals erfolgreiche Handelsvertreterin ist voll arbeitsunfähig geschrieben:
"Und dann dachte ich, gehst Du zum Rententräger, ich musste was kriegen. Ich hab nicht die sogenannte Vorerfüllungszeit bei der Rentenkasse, also kriege ich keinen Cent. Ich lebe von meinen Ersparnissen, ich habe mein Haus verkauft und zum Schluss noch die Lebensversicherung, die ich jetzt gerade aufbrauche".
Seit Jahren streitet Cornelia Reichhelm für eine Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz. So wie viele andere anerkannte Dopingopfer. Erst am vergangenen Mittwoch wies das Sozialgericht in Frankfurt/Oder die Klage von Gerd Jacobs ab. Der ehemalige Kugelstoßer ist schwer herzkrank. Einen Zusammenhang zwischen seiner angeborenen Schädigung und der Verschlimmerung der Krankheit durch Doping-Missbrauch hatte der Richter nicht gesehen. So der Anwalt von Jakobs.
Fälle wie dieser sind aktueller denn je. Immer mehr Opfer des staatlichen Zwangsdopings in der DDR melden sich bei der Beratungsstelle der Dopingopferhilfe in Berlin. 700 waren es innerhalb eines Jahres. Das berichtet die Vorsitzende der Dopingopferhilfe Ines Geipel. Die Sprinterin ist selbst Dopingopfer. Durch eine vorgeschobene Blinddarm-Operation sollte sie an der geplanten Flucht bei einem internationalen Wettkampf gehindert werden. Bei dieser Operation wurden Organe in ihrem Bauch zerstört. Jahrelang litt sie unter heftigsten Schmerzen. Die Professorin zieht die Verbindung zwischen den Dopingopfern und der Gegenwart des Sports:
"Wenn wir die Athleten schützen wollen, wenn wir die Talente schützen wollen, dann gehört diese Geschädigten-Geschichte zum Sport. Wir brauchen eine Lösung. Wir haben keinerlei Zeit mehr, die Athleten sterben".
So wie der Gewichtheber Gerd Bonk. Zweiter der Olympischen Spiele 1976 in Montreal. Der einst stärkste Mann der Welt hatte die höchsten Anabolika-Dosierungen von allen bekommen. Die Folge laut Doping Opfer Hilfeverein: kaputte Nieren, schwere Organschäden, Rollstuhl. Seit Ende September lag er im Koma. Am 20. Oktober ist das Dopingopfer Gerd Bonk gestorben.
Es sind auch Geschichten wie diese, die den amerikanischen Anti-Doping-Experten Travis Tygart auf den Plan rufen:
"Es ist leicht, zu sagen vergesst die Vergangenheit. Wir machen unseren Job als Nationale Anti Doping Agenturen nicht, wenn wir uns nicht mit der Vergangenheit befassen. Und dass wir die Lektionen implementieren, die die Vergangenheit uns lehrt".
Der US-Amerikaner hat den Dopingopfern zugehört und ist damit viel weiter, als die Verantwortlichen in Deutschland. So versucht die Doping Opfer Hilfe seit vielen Wochen, ein Gespräch mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) zu bekommen. Ohne Erfolg, erläutert Ines Geipel:
"Bisher gibt es keinen Termin mit dem DOSB, es gab einen sehr persönlichen direkten Brief an den Bundespräsidenten Herrn Gauck, in diesem Jahr, im Jahre 25 Jahre Mauerfall, vielleicht eine Gruppe von Geschädigten mal ins Bellevue einzuladen; es wäre ja eine Symbolgeste gewesen, aber eben auch ne konkrete für die Betroffenen, aber es gibt keine Zeit. Es gab einen persönlichen und offenen Brief an die Bundeskanzlerin, auch hier "no answer".
Ines Geipel und die bisher bekannten 700 Doping-Opfer stehen vor verschlossenen Türen. Mit ihrer Geschichte und mit ihrem Anliegen. Sie wollen, dass jemand Verantwortung übernimmt für die Folgen des staatlichen Zwangsdopings der DDR und sie wollen eine staatliche Unterstützung.
"Wir werden keine Schäden verwalten. Wir brauchen eine Lösung für das, was wir an Schadensbilanz in einer Tradition des deutschen Sports haben, Und diese Tradition – sie ist nicht zu Ende".