Der italienische Tennis-Profi Jannik Sinner ist seit Mitte Juni Weltranglisten-Erster. Jetzt wurde aber bekannt, dass er im März zweimal positiv auf eine verbotene Substanz getestet wurde - zunächst beim ATP-Turnier in Indian Wells und dann kurz darauf erneut. Obwohl in seinen Urinproben das verbotene anabole Stereoid Clostebol gefunden wurde, ist er nicht gesperrt worden.
Warum wurde Sinner nicht gesperrt?
Was ist Clostebol?
Gab es noch ähnliche Fälle mit Clostebol?
Welche Reaktionen gibt es auf den Fall?
Wie geht es weiter?
Was ist Clostebol?
Gab es noch ähnliche Fälle mit Clostebol?
Welche Reaktionen gibt es auf den Fall?
Wie geht es weiter?
Warum wurde Sinner nicht gesperrt?
Nach den positiven Proben hat sich die Internationale Tennis Integrity Agency (ITIA) um den Fall gekümmert. Die ITIA ist eine vom Tennis-Profi-Weltverband, den Spielergewerkschaften und Turnierveranstaltern berufene Organisation. Sie ist auch für die Überwachung der Anti-Doping-Regeln im Tennissport zuständig.
Laut der ITIA habe man im April nach dem positiven Befund eine vorläufige Sperre verhängt - so wie es auch der Welt-Anti-Doping-Code vorschreibt. Sinner hat daraufhin Berufung eingelegt und dargelegt, dass das Clostebol unabsichtlich in seinen Körper gekommen ist.
Sein Physiotherapeut habe sich am Finger geschnitten und die Wunde mit einem Clostebol-haltigen Spray, mit dem Arzneimittel Trofodermin, versorgt. Danach hätte er Sinner ohne Handschuhe massiert. Dabei sei es zur Kontamination gekommen. Es gibt Aufnahmen vom Turnier in Indian Wells, die auch zeigen, dass der Physiotherapeut eine bandagierte Hand hatte.
Die Ermittler der ITIA glaubten Sinner, seine vorläufige Sperre wurde innerhalb kurzer Zeit aufgehoben, ohne, dass die positiven Tests öffentlich bekannt wurden.
Um die Fakten zu prüfen, gab die Agentur den Fall außerdem an die als unabhängig deklarierte, privatwirtschaftliche Schlichtungsstelle "Sports Resolutions" weiter. Diese Stelle kam dann im August zu dem Ergebnis, dass die Begründung von Sinner glaubwürdig ist. Er darf damit weiter an Tennis-Turnieren teilnehmen.
Was ist Clostebol?
Clostebol gehört zu den anabolen Steroiden. Es ermöglicht einen gemäßigten Muskelaufbau ohne bekannte Nebenwirkungen, lässt sich aber relativ einfach im Körper nachweisen. Die Substanz ist in keiner Konzentration im Körper eines Profi-Athleten erlaubt, unabhängig davon, ob die festgestellte Konzentration eine leistungssteigernde Wirkung haben könnte oder nicht.
Neben der bekannten Wirkung des Muskelaufbaus unterstützen Steroide auch die Regeneration, und zwar schon in geringen Konzentrationen, so der Phamakologe und Doping-Experte Fritz Sörgel gegenüber dem Hessischen Rundfunk. "Viele der Dopingfälle, die wir in den letzten Jahrzehnten gesehen haben, gehen aus meiner Sicht darauf zurück, die Regeneration zu fördern."
Ein mögliches Szenario wäre: Physiotherapeuten tragen Wundspray, Cremes und Gels, die Clostebol enthalten, auf die Haut der Athlet*innen auf und massieren die Flüssigkeit ein. "Wenn sie jetzt ein Anabolikum wie das Clostebol haben, das in der Lage ist, die Regeneration zu fördern, dann ist es ein ideales Dopingmittel, weil sie es leicht verabreichen können per Spray und dann gleichmäßig über die Haut einmassieren."
Deshalb fände Sörgel wichtig, dass mehr in den Blick genommen werde, welche regenerative Wirkung auch schon kleine Mengen von Anabolika haben können und wie wichtig sie damit für den Leistungssport werden.
Eine italienische Studie aus dem Jahr 2020 kam, in Zusammenarbeit mit dem italienischen Anti-Doping-Labor, allerdings auch zu dem Ergebnis, dass sich Clostebol über Hautkontakt überträgt. Untersucht wurde konkret das Mittel Trofodermin, das Wundspray von Sinners Physiotherapeuten.
Das Ergebnis lautete, dass sich das Mittel auch durch Hautkontakt wie Händeschütteln oder physiotherapeutische Anwendungen übertragen kann und bei der zweiten Person zu einem positiven Doping-Befund führt. Dies könnte die Kontaminations-Hypothese von Sinner stützen.
Gab es noch ähnliche Fälle mit Clostebol?
In der jüngeren Vergangenheit sind mehrere ähnliche Clostebol-Fälle im Profi-Sport aufgetaucht. Auffällig ist, dass sie sich alle entweder bei italienischen Athleten oder in Italien zugetragen haben. Das Arzeimittel Trofodermin, das Clostebol enthält, ist in Italien rezeptfrei und in Apotheken frei verkäuflich.
Im Oktober 2016 wurde die norwegische Langlauf-Olympiasiegerin Therese Johaug positiv auf Clostebol getestet. Sie wurde 18 Monate lang gesperrt. Ihre Begründung, wie das Clostebol in ihren Körper gekommen sei, ähnelt der von Sinner:
Während eines Höhentrainingslagers mit dem Nationalteam im italienischen Ort Livigno habe sie einen Sonnenbrand auf den Lippen gehabt. Ihr Teamarzt hätte ihr daraufhin die Creme Trofodermin zum Auftragen gegeben. Die hätte er in einer italienischen Apotheke gekauft und dabei nicht bemerkt, dass sie das verbotene Clostebol enthält.
Allerdings ist auf der Verpackung von Trofodermin sichtbar ein Doping-Warnzeichen. Auf der Verpackung steht außerdem, dass Clostebol enthalten ist und auf dem Beipackzettel wird sogar vor positiven Dopingproben gewarnt.
Eine Sperre wegen Clostebol hat auch der Basketballspieler Riccardo Moraschini im Oktober 2021 bekommen: Er wurde ein Jahr gesperrt, weil in seinem Körper das Steroid nachgewiesen worden war. Seine Begründung, wie es dazu kam: Seine Verlobte hatte sich beim Kochen in den Finger geschnitten, ein Wundspray, das Clostebol enthält, aufgetragen, ihn dann aber später auch mit dem verletzten Finger berührt.
Keine Sperre hingegen erhielt der italienische Tennis-Spieler Marco Bortolotti. Wie Sinner gab er an, es habe an einer Handverletzung seines Physiotherapeuten gelegen. Durch die Wundbehandlung mit einem Clostebol-haltigen Mittel und dem anschließenden Kontakt sei das Steroid in seinen Körper gekommen.
Welche Reaktionen gibt es auf den Fall?
Aus der aktiven Tennisszene haben sich bisher nur wenige Spieler zum Fall geäußert. Der kanadische Profi Denis Shapovalov äußert sein Unverständnis für das Vorgehen der Anti-Doping-Behörden. Auf der Plattform X schrieb er lapidar: "Unterschiedliche Regeln für unterschiedliche Spieler".
Noch stärker fällt die Kritik von Nicholas Kyrgios aus. Die Entscheidung sei "lächerlich, egal, ob es unabsichtlich oder absichtlich passiert sei. Wenn du zweimal auf ein verbotenes Mittel getestet wirst, solltest du zwei Jahre raus sein."
Für Anti-Doping-Experten wirft außerdem der Ablauf nach Sinners positiven Proben Fragen auf. Denn wenn es im Sport eine positive Dopingprobe gibt, sind am weiteren Prozess eigentlich die Nationalen Anti-Doping-Agenturen und der entsprechende Sportverband beteiligt. Im Tennis existiert aber durch die IATA eine weitere Einrichtung, die sich federführend um Doping-Verfahren kümmert. Der Fall Sinner sei daher außerhalb des regulären Verfahrens abgelaufen, so Fritz Sörgel gegenüber dem HR.
"Was wirklich für mich schockierend war, ist, dass in dem Dokument der ITIA, das Sinner freigesprochen hat, das da die Italienische Anti-Doping-Agentur gar nicht vorkommt. Die waren völlig aus dem Spiel und das ist natürlich nicht akzeptabel."
Auch, dass von März bis jetzt nichts über die positiven Befunde von Sinner veröffentlicht wurden, entspricht laut ARD-Dopingexperte Hajo Seppelt nicht dem WADA-Code. Die ITIA berufe sich auf ihre eigenen Regeln, so Seppelt.
Auf der anderen Seite sei der Fall nicht so einfach, wie es erst den Anschein habe, sagte Seppelt im ARD-Mittagsmagazin. "Wenn die Wahrscheinlichkeit höher ist, dass es sich hier nicht um absichtliches Doping gehandelt hat, dann ist es nach den Regeln auch korrekt, dass Athleten nicht belangt werden."
Er schließt nicht aus, dass der Fall am Ende vor dem internationalen Sportgerichtshof CAS geklärt werden wird.
Wie geht es weiter?
Sinner bereitet sich gerade auf die US Open vor, die am Montag beginnen. Er hoffe, diese unglückliche Zeit hinter sich zulassen, so Sinner in einem Statement.
Obwohl er freigesprochen wurde und weiterspielen darf, hat der positive Test beim ATP-Turnier in Indian Wells trotzdem Folgen: Das Preisgeld und die Punkte von diesem Turnier werden ihm aberkannt. Sinner hatte das Halbfinale erreicht.
Zudem hat sich die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA jetzt in den Fall eingeschaltet und will die Entscheidungen überprüfen. Man behalte sich das Recht vor, gegebenenfalls Berufung beim CAS einzulegen. Auch die italienische Anti-Doping-Agentur kann noch Berufung einlegen.
Quellen: MDR / sportschau / Sport1 / FAZ / ARD
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