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Dopingopfer
Der Schmerz bleibt bis heute

Sie wollte nur Sport machen, erfolgreich sein, die Beste. Doch die Jugend im Sportinternat wurde für Susann Scheller zur Hölle. Noch heute zahlt sie als Opfer des DDR-Staatsdopings einen hohen Preis. Die psychischen Probleme bekommt sie nur langsam in den Griff – gemeinsam mit ihren ehemaligen Teamkameradinnen.

Bianka Schreiber-Rietig |
    Die ehemalige rhythmische Sportgymnastin Susann Scheller steht vor einem Bücherregal.
    Die ehemalige rhythmische Sportgymnastin Susann Scheller leidet bis heute unter den Folgen des Dopings. (Deutschlandradio/Thomas Purschke)
    Susann Scheller hatte einen Traum: Sie wollte als rhythmische Sportgymnastin ganz nach oben. Doch das Leben im Sportinternat Halle und später in Leipzig wurde für sie zur Hölle. Vier Trainingseinheiten pro Tag, ungeheurer Druck, maßlose Überforderung und ein rücksichtsloses, unbarmherziges Erwachsenen-Regiment – das war ihr Alltag.
    Sie berichtet von regelmäßigen Blutwäschen, von fürchterlichen Schmerzen, von einem bunten Tabletten-Potpourri, das ihr als Vitamine verkauft wurde. Von Demütigungen und ständigem Hunger. Vom Gefühl, in Zeitlupe auf Watte zu gehen. Von unendlich langen Trainingstagen und der großen Müdigkeit.
    Lange unerkanntes Trauma
    Deshalb dachte sie darüber nach, sich selbst Pausen zu verschaffen - durch Verletzung: Sich den Arm brechen, schneiden oder Fieber vortäuschen, nur raus aus dem Hamsterrad. Wenn die heute 44-Jährige über die Zeit spricht, merkt man, wie nah diese Kindheit noch immer ist. Bewusst war ihr lange nicht, was ihr da im tiefsten Innern so zu schaffen machte.
    "Ich persönlich bin ja darauf gekommen, weil ich fast eine Woche eine Panikattacke hatte und mir jemand gesagt hat: Pass mal auf, Du bist posttraumatisch unterwegs. Und da hab ich gedacht: Oh Gott, wie jetzt? Ich war immer mal ein bisschen labil, hatte schon mal Depressionen, aber hab mich immer wieder rausgekämpft. Ich führe eigentlich ein normales Leben. Und trotzdem hatte ich Phasen im Leben, wo ich dachte: Was ist mir Dir? Eigentlich hast Du doch soviel Kraft."
    Knorpelschäden, Bandscheibenvorfälle sind körperliche Erinnerungen an ihren sportlichen Albtraum. Und ein lange unerkanntes Trauma macht sich als die andere schwere Last bemerkbar. Sie stellte sich ständig die Frage: "Warum bin ich posttraumatisch? Und kam dann drauf, dass es etwas mit Zinnowitz zu tun haben muss. Also zumindest mit der Sportkarriere als Kind."
    Vergangenheitsbewältigung mit Teamkameradinnen
    Scheller rief ihre ehemaligen Teamkolleginnen an und stellte fest: Den anderen ging es ähnlich. Die 20 Frauen waren sich schnell einig: Wir brauchen Hilfe. Die fanden sie beim Doping-Opfer-Hilfe-Verein und dessen Vorsitzender Ines Geipel. Zusammen versuchen die ehemaligen Athletinnen nun, ihre schmerzreiche Kindheit in der Sportschule aufzuarbeiten. Denn: Die eigene Vergangenheit besteht aus Puzzleteilen.
    "Auf jeden Fall war das befreiend. Also a) erst einmal zu hören, man ist nicht allein damit, dass es den anderen auch so geht, dass sie Erschöpfungszustände haben, obwohl wir eigentlich kräftig sind. Was man dann immer nicht sieht, sind die Einbrüche. Das geht immer lange gut, und dann kommt so ein Absturz. Das war für uns total erleichternd, dass man weiß, man ist nicht daran Schuld, dass man nicht immer 'funktioniert', in Anführungszeichen. Dieses Funktionieren hat man immer im Kopf."
    Sich gegenseitig stützen, für die anderen da sein, wenn es ihnen schlecht geht: Das tun die Frauen nun seit über einem Jahr, seit sie sich wiedergefunden haben. Die Gespräche werden nicht selten zu einer emotionalen Geisterbahnfahrt. Erinnerungen kommen hoch, wie der ewige Kampf mit dem Gewicht in der Jugend: Die Waage war damals neben den Betreuern der schlimmste Feind: Neben der Trainingsschinderei warteten Schwitzanzüge, Sauna oder Entwässerungstabletten auf sie: Denn jedes Gramm zu viel wurde sofort geahndet.
    Die Sport-Karriere ist längst vorbei, das Leiden bleibt
    Wie schwer es ist, gerade für Frauen über das Doping zu sprechen, wurde durch eine jüngst veröffentliche Doktorarbeit über Doping im Westen deutlich. Keine Frau hatte sich auf die Fragen des Autors zurückgemeldet und über Erfahrungen berichtet. Susann Scheller erklärt sich das so:
    "Ganz spontan saßen wir zu viert bei der DOH. Und da kamen uns schon komische Gedanken. Was weiß man denn, wenn wir tatsächlich Steroide bekommen haben, wie sich das auf unser Bewusstsein, die Körperempfindungen, das Frau-Sein, auswirkt. Und ich hab gedacht: Wenn Du es bekommen hast, dann hast Du es bekommen. Du fühlst dich als Frau, Du bist eine Frau. Das hat mit Dir nichts gemacht. Das könnte ich mir schon vorstellen, das da so eine Scham ist."
    Ihre Sport-Karriere hat die gelernte Krankenschwester, die nun Pädagogik studiert, mit 17 beendet. Vergessen? Unmöglich. Körper und Seele erinnern sie Tag für Tag daran.