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Dopingvorwürfe gegen Russland
"Ich bin nicht für eine Sperre ganzer Nationen"

Doping im Sport sei grundsätzlich zu ächten, sagte der sportpolitische Sprecher der Linken im Bundestag, André Hahn, im DLF zu Vorwürfen gegen russische Sportler. Er halte aber nichts davon, ganze Nationen oder Sportverbände von Olympia auszuschließen.

André Hahn im Gespräch mit Christine Heuer  |
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    Christine Heuer: Zweifel an russischen Sportlern gibt es ja schon lange. Der gesamte Leichtathletik-Verband des Landes ist zurzeit suspendiert. Mitte des Monats soll darüber entschieden werden, ob die russischen Leichtathleten bei den Olympischen Sommerspielen in Rio überhaupt antreten dürfen. Jetzt hat sich der ehemalige Chef des russischen Doping-Kontrolllabors zu Wort gemeldet, und was er sagt, das hat es wirklich in sich. Bei den Olympischen Winterspielen in Sotschie sind demnach die russischen Sportler systematisch gedopt worden, und dieses Doping wurde dann systematisch verschleiert.
    Am Telefon ist der sportpolitische Sprecher der Linken im Deutschen Bundestag, André Hahn. Guten Tag, Herr Hahn.
    André Hahn: Ja, schönen guten Tag.
    Heuer: Russlands Wintersportler randvoll mit leistungssteigernden Substanzen. Hat Sie diese Meldung heute noch überraschen können?
    Hahn: Man hat ja schon viele derartige Vorwürfe oder auch bestätigte Dopingskandale zur Kenntnis nehmen müssen. Wenn die Dinge so sich zugetragen haben, dann ist es natürlich eine völlig neue Dimension, dass dort eine ganze Mannschaft in Größenordnungen gedopt gewesen sein soll. Das ist völlig klar, dass das aufgeklärt werden muss. Da ist die WADA auch gefordert. Doping im Sport ist grundsätzlich zu ächten und Athleten, die gedopt haben, sind nach den geltenden Regeln zu sperren und Wiederholungstäter im Zweifel auch dauerhaft.
    Allerdings eine Einschränkung möchte ich machen. Ich persönlich halte nichts davon, dass man ganze Nationen oder Sportverbände von Olympia ausschließt. Das träfe dann auch völlig unbescholtene saubere Sportler, und das ist aus meiner Sicht nicht akzeptabel.
    Heuer: Wären Sie zum Beispiel auch schon dagegen, alle russischen Leichtathleten jetzt von Rio auszuschließen? Das würden Sie für einen Fehler halten?
    Hahn: Ich halte das gegenüber den Sportlern, die nicht dopen, die sauberen Sport betreiben - und die gibt es auch in Russland mit Sicherheit -, nicht für gerechtfertigt. Es muss eine personelle Einzelfallentscheidung geben und man kann die Kontrolldichte verstärken in einzelnen Sportarten. Ich finde es auch völlig richtig, dass vorübergehend die Dopingproben von russischen Athleten oder auch von kenianischen nicht in den eigenen Prüflaboren kontrolliert und geprüft werden, sondern dass das durch externe Prüflabore passiert. Das sind alles völlig richtige Maßnahmen. Aber alle Sportler zu bestrafen, hielte ich persönlich für falsch.
    "Man muss auch in den Laboren kontrollieren"
    Heuer: Ist das nicht sowieso ein Fehler, Sportler durch eigene staatliche Prüflabore kontrollieren zu lassen? Wer da betrügen will, der kann das ja dann machen.
    Hahn: Nun finden ja auch Wettkampfkontrollen statt und es sind ja fast bei jeder Olympiade oder bei Weltmeisterschaften auch in der Leichtathletik Dopingfälle bekannt geworden trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, trotz Manipulationen, und ich finde das auch richtig, dass das aufgedeckt wird. Insofern werden ja eigentlich die Labore zertifiziert. Sie werden ja geprüft. Dann müsste man auch allen anderen Laboren misstrauen. Ich war kürzlich in Südafrika und habe mir das dortige Dopinglabor angeguckt, wo die Proben kontrolliert werden. Da sind sehr große Experten auch tätig.
    In Russland hat das nicht funktioniert und derjenige, der jetzt öffentlich die Vorgänge von Sotschie so dargestellt hat, war ja selbst darin verstrickt, und genau das darf nicht passieren. Ich finde, da muss es Überlegungen geben, Proben auch zum Teil zentral zu prüfen. Bloß es muss ja eine Zeit eingehalten werden zwischen der Entnahme der Probe und der Kontrolle dann und der Analyse, und deshalb ist es richtig, dass es weltweit Labore gibt und nicht nur ein einziges irgendwo. Aber Sie müssen natürlich auch in diesen Laboren kontrollieren, und in Russland hat man das offenbar nicht gemacht.
    Heuer: Herr Hahn, lassen Sie mich eine Frage zwischendurch stellen. Die russischen Wintersportler dementieren. Wir hören jetzt Aussagen von dem Spin Doctor dieses Dopingbetrugs. Hegen Sie überhaupt irgendeinen Zweifel daran, dass das stimmt, oder gehen Sie davon aus, habe ich gerade bei Ihnen ein bisschen herausgehört, na ja, wird schon was dran sein?
    Hahn: Die Vergangenheit hat ja gezeigt, dass an diesen Vorwürfen mehr als nur ein bisschen dran ist, sondern dass sie sich weitgehend auch bestätigt haben. Ich kann jetzt nicht beurteilen, dazu kenne ich auch die Aussagen des ehemaligen Leiters dort zu wenig, ob da auch Verärgerung im Spiel ist, dass er dort entlassen worden ist. Das kann ich alles nicht wirklich beurteilen. Aber ich denke schon, dass er natürlich große Kenntnisse hat über das, was da abgelaufen ist, und das jetzt offenlegt. Hier muss die Prüfung stattfinden der WADA und Sportler, die gedopt haben, sind zu sperren. Da gibt es überhaupt keine Diskussion.
    Heuer: Vom IOC und seinem deutschen Chef, da hört man ja nicht so viel in all diesen Angelegenheiten. Was möchten Sie eigentlich in dieser Situation jetzt - Sie haben gesagt, das ist ein Skandal, wenn er stimmt, völlig neuer Dimension - von Thomas Bach hören?
    Hahn: Ich erwarte, dass er seinen Einfluss, den er ja auch hat, auf die Mitgliedsländer im IOC nutzt, um klare Ansagen auch zu machen, und er hat auch die Möglichkeit, dort die Ländervertreter zu sich zu holen. Es muss ein klares Zeichen gesetzt werden, dass das IOC das nicht tatenlos hinnimmt. Da erwarte ich auch von Thomas Bach klare Positionierung. Wie gesagt: Ich bin nicht für eine Sperre ganzer Nationen. Boykotte sind immer problematisch. Sie treffen oft auch die falschen. Aber die Sportler, die gedopt haben, sind zu bestrafen und ich bin dafür, dass man auch Regelungen schafft für Whistleblower, für Insider, die aussagen, die dann möglicherweise auch straffrei gestellt werden, wenn es um juristische Verfahren geht.
    Man braucht die Insider-Informationen, um Dopingstrukturen aufzudecken, die beteiligten Ärzte, die Trainer. Das alles muss aufgedeckt werden und ich halte es für dringend erforderlich, dass man dort tätig wird. Deshalb haben wir ja auch in Deutschland jetzt ein Anti-Doping-Gesetz verabschiedet im letzten Jahr, wonach nun auch staatsanwaltschaftlich ermittelt werden kann und wo auch Freiheitsstrafen drohen, wenn man dopt. Ich denke, hier müssen auch die rechtlichen Rahmenbedingungen verschärft werden in den Ländern, wo das gegenwärtig noch nicht der Fall ist.
    "Durchgriffsmöglichkeiten sind tatsächlich gering"
    Heuer: Das klare Zeichen, das Sie von Thomas Bach, vom IOC-Chef fordern, wie konkret stellen Sie sich das denn vor? Soll der Sagen, Doping im Sport, das geht gar nicht, oder was soll er sagen?
    Hahn: Ich nehme ja an, das sagt er ohnehin. Es muss bloß mit Nachdruck erfolgen und es muss auch klar sein, dass das IOC das nicht duldet. Nur die Durchgriffsmöglichkeiten auf die Strukturen im Land, zum Beispiel auch auf die Gesetzgebung, die hat natürlich auch der IOC-Präsident nicht. Es gibt klare Regeln, es gibt den WADA-Code, und wer dagegen verstößt, kann entsprechende Sanktionen bekommen. Die Länder müssen die Umsetzung des entsprechenden WADA-Codes in nationales Recht machen. Die Durchgriffsmöglichkeiten sind tatsächlich gering. Aber ich finde es wichtig, dass er sich überhaupt klar positioniert und sich dazu äußert, und seine vornehme Zurückhaltung, die er an den Tag legt, die kann ich nicht verstehen.
    Heuer: Alle reden jetzt über Russland. Aber deutsche Wintersportler, Herr Hahn, die haben in Sotschie zum Teil besser abgeschnitten als die gedopten Russen. Was schließen Sie denn daraus?
    Hahn: Ich bin sehr vorsichtig, dort alle unter einen Generalverdacht zu stellen. Wir haben ja im Radsport gesehen, wie viele Sportler dort gedopt haben, Sonderregeln hatten, die Tour de France ist daran fast kaputt gegangen, das Fernsehen hat die Übertragung eingestellt, zeitweilig jedenfalls. Ich halte nichts von einem Generalverdacht. Aber es ist natürlich auch für Deutschland die Frage, wenn der Innenminister erklärt, wir sollen mit den gleichen Mitteln in der Sportförderung künftig ein Drittel mehr Medaillen holen, dann frage ich mich, wie das gemacht werden soll, wenn wir zugleich natürlich ein Anti-Doping-Gesetz beschließen. Da stimmt vieles nicht miteinander. Ich stelle die deutschen Athleten hier nicht unter Verdacht. Wir haben aber Fälle auch gesehen, auch schon in Deutschland in früheren Jahren, und die sind dann genauso zu verfolgen, wie das jetzt notwendig ist bei Athleten in Russland oder in Kenia.
    Heuer: Sie sind nicht ganz sicher, dass deutsche Wintersportler in Sotschie nicht gedopt haben?
    Hahn: Das vermag ich nicht zu beurteilen. Es hat Proben gegeben, es ist ja in Sotschie auch eine Biathletin mit Nahrungsergänzungsmitteln aufgefallen, die dann nach Hause fahren musste. Es hat dort Proben gegeben und solange es keine gegenteiligen Ergebnisse gibt, gehe ich von der Unschuldsvermutung aus. Die muss gelten. Und wenn etwas gefunden wird, dann sind die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen.
    Heuer: Herr Hahn, schauen Sie sich eigentlich noch Olympische Spiele oder andere große Ereignisse wirklich mit Vergnügen im Fernsehen an? Man hat ja so ein bisschen den Eindruck, da kann man genauso gut gleich ein Hormonkalb dazu essen.
    Hahn: Ich bin nach wie vor ein großer Sportfan, schaue mir auch Olympische Spiele an. Aber es ist schon manchmal ein bedrückendes Gefühl, wenn man beispielsweise einen 100 Meter Endlauf nimmt und der schnellste Mann oder die schnellste Frau der Welt dann gekürt wird und wir ja schon erlebt haben, zum Beispiel bei Ben Johnson, dass dann aus diesem Finale später mehr als zwei Drittel, die im Finale gestartet sind, als Dopingsünder ertappt worden sind. Das ist dann schon höchst fragwürdig. Dennoch darf man, finde ich, den Glauben an den sauberen Sport nicht verlieren und muss alles tun, damit sich das auch durchsetzt und dass Dopingsünder nicht am Ende die Gewinner sind.
    Heuer: André Hahn, der sportpolitische Sprecher der Linken im Bundestag. Danke fürs Gespräch, Herr Hahn.
    Hahn: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.