Der Journalist Leon Mann hat im englischen Fußball etliche Interviews geführt und Dokumentationen gedreht. Immer wieder wurde er gefragt, in welchem Verein er selbst gespielt habe. Er glaubt, das liege an seiner Hautfarbe: "Als ich in der Schule war, wurde ich zum Sport animiert, weniger zum Bücherlesen. Zum Glück waren meine Eltern Lehrer und haben mir eine gute Bildung ermöglicht. Schwarze werden als Sportler wahrgenommen, nicht als Manager oder Journalisten. Wir müssen die Möglichkeiten erweitern, vor allem im Fußball. Fast dreißig Prozent der Spieler in englischen Vereinen sind schwarz, aber nicht mal ein Prozent der Vorstandsmitglieder. Weiße Männer führen die Geschäfte und Schwarze spielen."
Leon Mann hat für das Antidiskriminierungsnetzwerk "Kick it out" gearbeitet. Broschüren und Fotos mit Spielern: Er sah darin bald nur noch Symbolpolitik. Mit Aktivisten und Wissenschaftlern gründete Leon Mann 2014 eine Denkfabrik, den "Sports People’s Think Tank". Seitdem veröffentlichen sie jährlich einen Bericht über strukturellen Rassismus im englischen Profifußball. Was sie damit meinen? Von fast 500 Cheftrainern, Assistenten und Nachwuchsleitern sind lediglich 4,6 Prozent schwarz oder gehören einer anderen Minderheit an. In der gesamten Bevölkerung ist dieser Anteil dreimal so hoch.
Viele Vereine haben Angst vor positiver Diskriminierung
Leon Mann findet: "Wir brauchen direkte, dauerhafte Maßnahmen. Wir wollen keine Quoten für schwarze Trainer und Manager anordnen. Aber sie sollten zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werden. Viele Vereine haben Angst vor dieser, wie es oft heißt, positiven Diskriminierung. Sie halten das für eine unfaire Bevorzugung. Unfair? Dann müssen wir auch über den Jahrhunderte alten Rassismus in diesem Land sprechen. Die Leute sollten die Geschichte kennen, bevor sie Lösungen bewerten. Aber viele wollen nicht zurückschauen. Denn sie haben die Sorge, Privilegien zu verlieren."
Der Wohlstand Großbritanniens basiert auch auf der Sklaverei zwischen dem 17. und frühen 19. Jahrhundert. Das Vereinigte Königreich verschleppte mehr als eine halbe Million Menschen in seine Kolonien, insbesondere aus Afrika und der Karibik. Nach dem Zweien Weltkrieg kamen Hunderttausende freiwillig auf die Insel, vor allem aus Indien und Pakistan. Sie und ihre Nachfahren sind bis heute überdurchschnittlich oft von Armut und Arbeitslosigkeit bedroht. Außerdem werden sie für die gleichen Vergehen oft härter bestraft als Menschen ohne Einwandergeschichte.
"Es ist wichtig, dass der Fußball sich für diese Themen interessiert. Denn das Spiel soll für alle Beteiligten sicher sein", sagt Funke Awoderu. Sie ist im englischen Fußballverband FA verantwortlich für Gleichberechtigung. Mit Projekten und Fortbildungen geht sie dieses Thema an, und sieht eine Verbesserung: "Vor zehn, 15 oder 20 Jahren hatten wir ganz andere Probleme. Es gab im Fußball offenen Rassismus und Antisemitismus. Leider verändert sich das Bewusstsein erst nach Tragödien: 1993 wurde der schwarze Teenager Stephen Lawrence erstochen. In der Strafverfolgung wurden die rassistischen Motive zunächst klein geredet. Doch nach und nach wurden Gesetze verabschiedet. Im Fußball wurden Strafen für Schmähgesänge verschärft und Kampagnen für Vielfalt besser finanziert. Das Land ist aufgewacht."
Rooney Rule für den englischen Fußballverband
Gelöst waren die Probleme nicht. 2011 beleidigte John Terry seinen schwarzen Gegenspieler Anton Ferdinand, der Verband entzog Terry das Kapitänsamt des Nationalteams. 2017 wurde Frauen-Nationaltrainer Mark Sampson entlassen, er hatte schwarze Spielerinnen ausgegrenzt. Erst nach diesen Skandalen erlegte sich der Verband die "Rooney Rule" aus der amerikanischen Footballliga NFL auf. Diese Regel wurde nach dem Klubbesitzer Dan Rooney benannt. Und soll bei Auswahlverfahren für Trainer mindestens einen Kandidaten mit afrikanischen oder asiatischen Wurzeln garantieren.
Der Sportrechtsexperte Jeremi Duru hat bei der Einführung der Regel in der NFL mitgewirkt: "Wir haben eine Studie durchgeführt. Danach waren schwarze Cheftrainer nicht schlechter als weiße, aber sie wurden früher entlassen. Am Anfang nahmen die meisten Klubs die ,Rooney Rule’ nicht wirklich ernst. Dann wurde eine Geldstrafe für Missachtung eingeführt, schnell besserte sich die Lage. Nach wenigen Jahren gab es nicht mehr nur einen schwarzen Cheftrainer in der NFL, sondern neun. Nur so gibt es sichtbare Vorbilder für junge Schwarze."
Der englische Fußballverband hat sich für die "Rooney Rule" geöffnet, aber die milliardenschwere Premier League sträubt sich. Ob Aufsichtsräte, Stiftungen oder Führungsgremien von Medien - von verbindlichen Einstellungsquoten will der Fußball nichts wissen. Deshalb will der Aktivist Leon Mann weiter nahhaken: "Das sind große Organisationen mit Sitz in London. In dieser Stadt haben fast vierzig Prozent der Menschen eine Einwandererbiografie. Trotzdem sagen viele Unternehmen, sie fänden keine Kandidaten aus Minderheiten. Das ist Unsinn. Wo suchen sie denn? Wo schalten sie Anzeigen? Das sind doch die ewig gleichen Seilschaften. Und ohne Öffnung geht ihnen viel Potenzial und Kreativität verloren. Viele Schwarze sind sehr unglücklich, dass sie in ihren Klubs nicht repräsentiert werden."
In keinem Land Europas wird diese Debatte wohl so ausgiebig diskutiert wie in Großbritannien - für Leon Mann ist das ein schwacher Trost.