Anfang 2016 gewann das deutsche Handball-Nationalteam den EM-Titel. Wieder wurde dem Sport hierzulande eine Blüte vorausgesagt. Doch der Berliner Philosoph Wolfram Eilenberger wollte nicht so recht daran glauben. In seiner Kolumne für "Zeit Online" beschrieb er den Handball als konservatives Provinzvergnügen, in dem Menschen mit Migrationshintergrund keine Rolle spielen.
Eilenberger erhielt wütende Reaktionen. Sein Text sei eine Provokation gewesen, sagt er, vielleicht zu hart im Ton. Doch danach hätten Verbände und Vereine des Handballs intensiver über kulturelle Hintergründe nachgedacht: "Der Handball ist in vielen, vielen Ländern, aus denen wir eine migrationsintensive Zuwanderung haben, also die Türkei oder arabische Länder, kein Sport, der eine hohe Strahlkraft hätte", sagt Eilenberger. "Das heißt, er ist für die Familien selbst und für den kulturellen Hintergrund fast bedeutungslos. Das wirkt schon mal in die Familien und in die Entscheidungen, einen Sport zu betreiben - leistungsmäßig oder nicht - hinein."
Unbewusste Grenzziehungen
Eine von vielen Ursachen für die geringe Anzahl von Spielern mit Migrationshintergrund im Handball: Die Sportart ist traditionell eher in ländlichen Gebieten und mittelgroßen Städten verankert. Ob und welchen Einfluss das auf Migranten hat, haben Sportsoziologen untersucht. Klaus Cachay von der Universität Bielefeld und Carmen Borggrefe von der Universität Stuttgart haben in Stuttgart, Bielefeld, Minden und Göppingen Daten erhoben. Nach ihren Beobachtungen schließen Vereine Migranten nicht bewusst aus. Dennoch ziehen sie unbewusst Grenzen, indem sie Werte herausstellen, die als typisch Deutsch gelten: Bodenständigkeit, Ehrlichkeit, Authentizität.
Carmen Borggrefe: "Wenn Sie sich nur die Homepages anschauen, wer ist dort zu sehen. Wenn Sie da lauter blonde, autochthon aussehende Kinder dort haben. Dann haben Sie dort ungewollt ein Signal, das Sie aussenden. Das ist eine geschlossene Gruppe, die dort partizipiert. Wir hatten einen türkischstämmigen Spieler, 16 Jahre, der uns sagte: ,Ich spiele Handball, weil ich zu den Deutschen gehören möchte und ich mich von meiner türkischen Community abgrenzen will’. Das ist ein Extrembeispiel, aber in Abstufungen hatten wir andere Beispiele. Wir hatten viele türkischstämmige Spielerinnen und Spieler, die dann schon Grenzen auch innerhalb ihrer eigenen Community gezogen haben."
Keine Straßenspielkultur wie im Fußball
Der Handball wird fast ausschließlich in Hallen gespielt. Eine ungezwungene Straßenspielkultur wie im Fußball oder Basketball gibt es nicht. Zudem sind die Handballvereine sozial weniger durchmischt, sagt Klaus Cachay, selbst ehemaliger Handballer und Deutscher Meister mit Frisch Auf Göppingen Anfang der 1970er Jahre. In den Handballvereinen sei der Bildungsstand durchschnittlich höher als beispielsweise im Fußball.
Für eine gesellschaftliche Öffnung sollten die Vereine mehr auf Schulen zugehen, sagt Cachay: "Die Schule ist ein Raum des Vertrauens. Der Verein hat diesen Vertrauensvorschuss bei Familien mit Migrationshintergrund nicht. Und da haben wir natürlich herausgefunden, im Hinblick auf Handball, ist das eine Katastrophe. Handball findet in der Schule so gut wie gar nicht statt. Die Qualifizierung der Sportlehrer im Hinblick auf diese komplexe Sportart ist nicht genügend, um diese Sportart zu vermitteln. Und wenn es der Sportunterricht nicht leistet, dann muss ich natürlich versuchen, über AGs reinzukommen. Dort haben wir festgestellt: die AGs finden in der Regel kaum statt."
Die Forschungen von Klaus Cachay und Carmen Borggrefe sollen 2019 veröffentlicht werden. Darin werden auch zwei Vereine beschrieben, die überdurchschnittlich viele Migranten in ihren Reihen haben. Über Jahre waren dort engagierte Trainer und Betreuer auf unterschiedliche Milieus zugegangen. Eine ähnliche Offensive erwarten die Wissenschaftler vom Deutschen Handball-Bund. Es gebe zwar inzwischen etliche Broschüren und Programme zu Integration im Sport. Aber ohne verpflichtende Fortbildungen werden diese von den Vereinen selten wahrgenommen.
Bob Hanning: "Der Handball muss in die Schulen"
Bob Hanning, Vizepräsident beim DHB für Leistungssport, nimmt die Anregungen auf: "Wichtig ist auch, dass der Verband sich weiter entwickelt hat, und sich auch noch weiterentwickeln muss. Da ist viel in den Jahren, muss man auch ehrlich sagen, liegen geblieben. Aber da wird im Moment sehr, sehr hart gearbeitet in der Umstrukturierung des Verbandes Richtung Hauptamt, Richtung Vorstand. Es gibt jetzt einen neuen Vorstand für Mitgliederentwicklung, weil natürlich auch die Landesverbände erkannt haben, dass hier hart dran gearbeitet werden muss. Der Handball muss in die Schulen, muss in die Kindergärten, muss da die Kinder abholen."
Bob Hanning hat als Geschäftsführer des Bundesligisten Füchse Berlin etliche Projekte mit Bildungseinrichtungen angestoßen. Doch jenseits der Metropolen haben viele kleinere Handballvereine in den vergangenen zehn Jahren bis zu dreißig Prozent ihrer Mitglieder verloren. Ein Zugehen auf Menschen mit Einwandergeschichte wäre für sie nicht nur eine gesellschaftliche Aufgabe. Es könnte langfristig ihren Spielbetrieb sichern.