Die Situation in einer Klinik in einem Armenviertel der Hauptstadt Kenias macht die doppelte Krise deutlich. Auf den schlichten Holzbänken und Plastikstühlen sitzen nur wenige Menschen, die darauf warten, ihre Medikamente zu bekommen. Dabei sollte im Wartebereich der Tuberkuloseabteilung des Baraka Medical Centres in Mathare, einem der größten Slums Nairobis, eigentlich deutlich mehr los sein, erklärt Ärztin Maureen Njoki Githuka: "Normalerweise haben wir pro Quartal zwischen hundert und zweihundert neue Patienten. Aber im letzten Quartal waren es nur 60."
Maureen Njoki Githuka arbeitet in Nairobi für die Hilfsorganisation "German Doctors". Sie weiß, dass alles nicht daran liegt, dass die Tuberkulose durch Corona auf wundersame Weise verschwunden ist. Sie kommen nur einfach nicht in das Gesundheitszentrum - mit schwerwiegenden Folgen: "Zum einen können diese Patienten nicht geheilt werden. Aber das bedeutet auch, dass diese Personen die Tuberkulose weiterverbreiten. Das beginnt in ihrer Familie. Dort sind besonders die unter Fünfjährigen besonders gefährdet."
Gefahr von Resistenzen durch Behandlungsabbrüche
Denn dadurch, dass durch den Lockdown die oft großen Familien den ganzen Tag in ihren engen Hütten zusammenbleiben müssen, wird die Übertragungsgefahr noch größer, als sie es ohnehin schon ist. Auch Tuberkulose-Patienten, die bereits in Behandlung waren, kamen während des Lockdowns nicht mehr, um sich ihre Medikamente zu holen. Das ist gefährlich. Denn wenn die Behandlung abgebrochen wird, bilden sich Resistenzen. Die Krankheit kann dann nicht mehr mit den gängigen Antibiotika geheilt werden.
Ärztin Maureen Njoki Githuka und ihr Team haben versucht, die Menschen dann zuhause zu finden: "Wir haben dafür gesorgt, dass die Sozialarbeiter die Patieten erst telefonisch aufspürten und dann besuchten. Sie brachten ihnen die Medikamente nach Hause, denn wir mussten unbedingt sicherstellen, dass sie ihre Medikamente bekommen."
Dass sich durch die Lockdowns weltweit im großen Stil eine multiresistente Tuberkulose ausbreiten würde, war auch die große Sorge von Eliud Wandwalo vom Global Fund, einer internationalen Organisation zur Finanzierung der Bekämpfung von Tuberkulose, Aids und Malaria: "Zu Beginn der Pandemie haben wir gemeinsam mit der WHO und anderen Partnern Leitfäden entwickelt, wie man die Medikamentengabe an die Situation anpassen kann. Dass die Patienten eine größere Menge Medikamente mit nach Hause bekommen. Und dass die Einnahme digital, per Video, überwacht wird. Wir glauben, dass das geholfen hat, denn viele Länder haben sich an diesen Leitfaden gehalten."
Corona befeuert Tuberkulose
Inzwischen ist Eliud Wandawalo zuversichtlich, dass dadurch die Zahl der Patienten, die ihre Behandlung abgebrochen haben, überschaubar geblieben ist. Die Verbreitung multiresistenter Tuberkulose ist nicht mehr seine größte Sorge. Dennoch: "Tuberkulose ist eine Armutserkrankung und die Pandemie hat viele Menschen tiefer in Armut gebracht. Das könnte der Auslöser dafür sein, dass mehr Menschen an Tuberkulose erkranken."
Corona hat in vielen Ländern eine schwere Wirtschaftskrise verursacht. Vor allem Tagelöhner, die Tag für Tag Geld für ihr tägliches Essen verdienen müssen, hungern, denn es gibt einfach nicht mehr genügend Jobs.
Arzt und Tuberkolose-Experte Eliud Wandwalo ordnet ein: "Weltweit gibt es knapp zwei Milliarden Menschen, die das Tuberkelbakterium in sich tragen. Es hat keine Auswirkungen auf sie, denn es schlummert. Doch wenn sich ihr Immunsystem verschlechtert, kann die Krankheit ausbrechen." Normalerweise erkranken jedes Jahr rund zehn Millionen Menschen an Tuberkulose. Durch den um sich greifenden Hunger könnten es in nächster Zukunft deutlich mehr sein.
Unterernährung als Gefahr
Zurück im Baraka Medical Centre in Nairobi. Krankenpflegerin Esther Njeri untersucht ein 16 Monate altes Baby. Die Kleine ist stark unterernährt. Ihre Mutter ist verzweifelt: "Ich kann mir nur eine Mahlzeit pro Tag leisten und konnte für mein Kind nur noch Porridge kochen. Sie verlor Gewicht, übergab sich, hustete und hatte Fieber. Mir war klar, das etwas mit ihr nicht stimmt." Die "German Doctors" stellten Tuberkulose fest – vermutlich dadurch ausgelöst, dass die Mutter ihr Kind nicht mehr richtig ernähren konnte.
Krankenpflegerin Njeri versucht, der Mutter so gut es geht zu helfen: "Ich habe sie gefragt, wie es mit den Medikamenten läuft und sie sagt, dass sie die dem Baby zwei mal täglich gibt. Aber die Kleine übergibt sich oft und das beunruhigt sie. Vermutlich ist das eine Nebenwirkung der Medikamente. Ich habe sie darin bestärkt, die trotzdem weiter zu verabreichen und sie ist bereit, das zu tun." Jetzt wird das Baby mühsam wieder aufgepäppelt. Denn mitten in der Pandemie es ist wichtiger denn je, dass sich das Tuberkelbazillus nicht weiter verbreitet.