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Doppelte Machtstrukturen zwingen zur Wahlverschiebung

Eigentlich sollten im September in Afghanistan sowohl das Parlament wie auch der Präsident neu gewählt werden. In der vergangenen Woche wurden diese Wahlen verschoben und getrennt: Nun soll am 9. Oktober der Präsident, im Frühjahr dann das Parlament gewählt werden. Gründe für die Verschiebung der Wahlen sind auf der einen Seite ungelöste Sicherheitsfragen, auf der anderen eine vor allem im Süden des Landes schleppend verlaufende Wählerregistrierung.

Von Volker Arnold und Ali Sadrzadeh |
    Die NATO hat - zuletzt auf ihrer Gipfelkonferenz in Istanbul – ihren Einsatz in Afghanistan zur Nagelprobe für ihre Fähigkeit gemacht, zerfallene Staaten wieder aufzubauen. Allerdings muss hat sie mit den inneren Strukturen in Afghanistan leben. Da gibt es zwar in allen Provinzen zivile Gouverneure. Aber die eigentliche Macht halten Warlords in Händen, die über Privatarmeen verfügen. Da wird eine afghanische Armee aufgebaut, die der Zentralregierung in Kabul untersteht. Aber dieser stehen die Armeen der Warlords gegenüber.

    Ein afghanisches Sprichwort sagt: "Hinter jedem Berg ein König". Es gilt immer noch: Es gibt eine große Menge lokaler Machthaber in Afghanistan. Diese stehen bis heute in der Tradition einer oft militärisch ausgetragenen Opposition zur Zentralregierung in Kabul. So kommt Präsident Karsai an einigen der lokalen Machthaber nicht vorbei.

    Zu dieser Gruppe gehört Ismael Khan, der Herr über die westafghanische Provinz Herat. Herat ist typisch für die Vorstellung, die der Europäer vom Orient hat. In der verwinkelten Altstadt wird in unzähligen Werkstätten gehämmert und gebastelt. Malerische Basare prägen die Stadt ebenso wie heftiges Treiben auf den Straßen. Eine Flut von Autos passiert jeden Tag die nahe iranische Grenze und landet erst mal auf dem Zollhof vor der Stadt. Dieser Zollhof ist Ismael Khans Haupteinnahmequelle. Wer einen LKW oder Bus nach Afghanistan einführt, zahlt 500 US-Dollar Zoll. Wer einen - zumeist kaum noch fahrtüchtigen - PKW einführt – und das sind die meisten - zahlt gut 200 US-Dollar mehr. Der höhere Preis wird damit begründet, dass Pkws einen geringeren gesellschaftlichen Nutzen haben. Von hier aus nehmen viele ihren Weg in alle Teile Afghanistans, wenn Ismael Khan die Gebühren eingestrichen hat. Gerüchte besagen, dass er diese Gelder auf sein Privatkonto in Dubai schafft.

    Persönlich wirkt er allerdings nicht wie ein Kleptokrat. Der 57jährige ist eine fast schon biblische Erscheinung mit langem weißen Bart, einem Turban und weißen Gewändern. Er spielt viele Rollen, z.B. die des treusorgenden Landesvaters. Herat ist wiederaufgebaut und großzügig mit Parks durchzogen, die Schulen sind voll, an der Universität studieren auch viele junge Frauen, die Kranken werden versorgt, die Presse darf Kritik üben. Polizei und Miliz sorgen für Sicherheit.

    Ismael Khan ist ständig präsent. Mal hält er an der Universität eine politische Grundsatzrede, in der er sich kritisch mit den ausländischen Besatzern und Wiederaufbau-Organisationen auseinandersetzt, wobei er auch mit Seitenhieben in Richtung Kabul nicht spart. Mal besucht er die Dörfer seiner Provinz und lässt sich im Gespräch mit den Dorfältesten filmen.

    Mal gibt er sich als Mullah, als Führer der islamischen Revolution, von der er viel und gern redet. Sein Bild von dieser Revolution unterscheidet sich allerdings erheblich vom iranischen Vorbild. Überall in den Strassen kann man persische Popmusik ohne religiösen Bezug kaufen, was jenseits der Grenze undenkbar ist. In den Cafés kann man sich indische Hindipop-Videos mit leichtgeschürzten Mädchen ansehen, die für afghanische Verhältnisse schon fast pornografisch sind.

    Ismael Khan werden oft seine engen Beziehungen zum Iran vorgeworfen. Tatsächlich gibt es enge Verbindungen zwischen Herat und dem Iran. Der Strom kommt von dort, Iraner bauen die Straße zur persischen Grenze, iranische Soldaten spüren hier nach Opiumschmugglern. Trotzdem ist Ismael Khan keine Marionette der iranischen Mullahs. Er verfolgt seine eigenen Ziele, will Herat als möglichst unabhängiges Kraftzentrum in Westafghanistan erhalten. Deshalb wehrt er sich auch gegen die Ausweitung des ISAF-Mandats auf seine Provinz. Nur zivile Helfer aus dem Westen sind in Herat präsent.

    Im Namen Gottes. Dafür habe ich mehrere Argumente. Ein Grundsatz, dem ich mich verpflichtet fühle und mit dem ich dauerhafte Stabilität in Afghanistan erreichen will, ist, dass die Afghanen selbst über ihre Sicherheit entscheiden sollen. Ich gebe zu, in der jetzigen Situation ist dies schwierig, aber in einigen Gebieten können die Afghanen selbst für ihre Sicherheit sorgen. Außerdem verschlingen die ISAF-Truppen viel Geld. Hinzu kommt, dass das ISAF-Mandat provisorisch ist, sie werden irgendwann das Land verlassen müssen.

    In anderen Bereichen ist Ismael Khan kein Liberaler. Das zeigt vor allem die Rechtssprechung in seiner Provinz.

    Ein anderes Mal gibt Ismael Khan die Rolle des Partisanengenerals. Militärisch ist er von allen so genannten Warlords der stärkste. Die Zahl von Schützen- und Kampfpanzern vor seinem Palast ist eindrucksvoll. Die Zahl seiner Miliz-Truppen steht den derzeit etwa 10.000 Mann der neuen ANA, der afghanischen nationalen Armee, nicht nach. Ismael Khan sieht sich in der Tradition jener Fürsten, die jahrhundertelang in Herat ohne Rücksicht auf andere geherrscht haben.

    Dass Ismael Khan sich in absehbarer Zeit entwaffnen lässt, darf bezweifelt werden. Er stellt gern sein gutes Verhältnis zu Präsident Hamid Karzai heraus. In den Amtsstuben hängen Bilder, die Karzai und Ismael Khan einträchtig nebeneinander zeigen. Aber zugleich macht Ismael kein Geheimnis aus seinem Misstrauen anderen Regierungsmitgliedern gegenüber. Er selbst erzählt gern, dass ihm Hamid Karzai einige wichtige Ministerposten in seinem Kabinett angeboten hat. Er habe sie aber ausgeschlagen, damit er mit ganzer Kraft für das Wohl seiner Provinz und deren Bewohner arbeiten könne. Dass nun auch Truppen der ANA und sogar amerikanische Soldaten in Herat stehen, nimmt er nur zähneknirschend hin. Aber er betont, dass er es nicht auf eine Kraftprobe ankommen lassen will. Er spricht sich für die anstehende Präsidentenwahl aus. Er kritisiert sogar die schleppende Registrierung der Wähler. Und er betont, dass er für die Bildung einer nationalen Armee sei. Dort aber sollten seine Mujaheddin integriert werden.

    So wie man über die Nationale Armee diskutiert, kann es dazu kommen, dass diejenigen, die für die Freiheit des Landes gekämpft haben, zu kurz kommen oder einfach beiseite geschoben werden. Z.B. ein Mudjahed, der 20 Jahre lang gekämpft hat, also ein Mensch, der mit zwanzig oder 25 in den Krieg gezogen ist und jetzt 45 oder 50 Jahre alt ist. Diese Leute können keine andere Arbeit mehr leisten. Ein solcher Mensch kann auch keine schwere Arbeit mehr übernehmen. Aber einen solchen Menschen darf man nicht einfach beiseite schieben, ohne sie lässt sich auch dieses Land nicht aufbauen.

    Die Staatengemeinschaft hat mit der afghanischen Regierung ein Programm zur Integration der Milizionäre in das Zivilleben ausgearbeitet. Voraussetzung für das Greifen dieses Programms eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage in Afghanistan. In den von der NATO eingerichteten Wiederaufbauteams in den Provinzen wird dieses Programm aktiv unterstützt. Aber die Verbesserung der Wirtschaftslage lässt auf sich warten.

    Dass Ismael Khan seine Kämpfer in die afghanische Nationalarmee integrieren will, wird von manchen als Indiz gesehen, dass er auf eine ihm ergebene Truppe im Bedarfsfall zurückgreifen kann. Dem wird entgegengehalten, dass Hamid Karzai heute eine stärkere Stellung im Land habe als vor einem Jahr. Grund dafür ist nicht zuletzt die Berliner Konferenz im März mit den dort erreichten Zusagen für das Land. Es gilt aber weiterhin: Kabul kann wichtige innerafghanische Entscheidungen nicht ohne und schon gar nicht gegen Ismael Khan treffen.

    Rashid Dostum, der Usbekengeneral, hat schon eine schwere Niederlage gegen Karzai hinnehmen müssen. Dostum wollte den amtierenden Gouverneur seiner Provinz Fariab absetzen, weil dieser sich nur noch von Kabul Weisungen erteilen lassen wollte. Karsai setzte darauf hin seine Soldaten in Marsch und wies Dostum in seine Schranken. Vorerst jedenfalls. Dostum ist der Typ lokaler Machthaber, der mit Sicherheit am ehesten die Bezeichnung "Warlord" verdient. Seine Milizen verwickeln sowohl die Truppen seiner Nachbarn – also Ismael Khan im Südwesten und Ata Mohammad im Osten – wie auch die Soldaten der ANA öfter in Scharmützel.

    Karsai wollte Dostum einbinden. Er machte ihn offiziell zu seinem Militärberater. Damit ist er Mitglied der Regierung in Kabul. Aber Dostum ist ein gutes Beispiel dafür, dass die Entwaffnung der Milizen nicht so einfach gelingen wird. Seine Weigerung, seine Truppe zu demilitarisieren, liefert seinen Nachbarn Gründe, die Entwaffnung ihrer Milizen abzulehnen. Jeder der Warlords sagt eine Entwaffnung seiner Milizen zu, wenn auch der Nachbar-Warlord die seinen entwaffnet. So bietet die Weigerung eines militärisch starken Kollegen die Begründung dafür, dass auch die anderen ihre Milizen nicht auflösen. So bleibt die Sicherheitslage zu fragil, um Wahlen durchzuführen.

    Die von der NATO in Istanbul zugesagte Hilfe bleibt überschaubar: Die zusagte Aufstockung der ISAF wurde dadurch relativiert, dass die Truppe, die die Wahlzeit absichern sollte, in den Entsendeländern bleiben und nur im Bedarfsfall nach Afghanistan verlegt werden soll. Zudem hat noch kein Land erklärt, sich an dieser Truppe zu beteiligen.

    Dostum, der Quertreiber, hat trotz seines Kabuler Amtes keine breite Hausmacht. Manche halten ihn daher eher für ungefährlich. Das sieht bei Dostums Hauptrivalen Atta Mohammad anders aus. Er residiert in Mazar-i-Sharif, der Hauptstadt der Nordprovinz Balkh, auf die auch Dostum Ansprüche erhebt. Mazar-i-Sharif ist weit kleiner als Herat, hat etwa 250.000 Einwohner. Es ist eher eine schmuddelige Industriestadt, wenn auch ohne Industrie. Die Straßen sind nicht runderneuert wie in Herat. Auch die Gärten und Parks fehlen. Man spürt die Nähe zur ehemaligen Sowjetunion, schon allein, wenn man sich die Typen der Autos ansieht: Alte Wolgas, Moskwitsch und Ladas. Statt des Lastwagens benutzt man noch häufig den guten alten Pferdekarren. Oft wird das Pferd auch durch zwei Männer ersetzt, die erstaunliche Lasten ziehen. Auch hier sieht man keine Ruinen mehr, es wird viel gebaut. Nur in den Gassen sieht man an den Lehmmauern der Häuser viele Einschusslöcher von Maschinenpistolen, die noch davon zeugen, das die Stadt Furchtbares erlebt hat.

    1997 haben 5.000 Taliban die Stadt eingenommen und daraufhin den Fehler gemacht, die in Mazari lebenden schiitischen Hazaras zur Abgabe ihrer Waffen aufzufordern. Die ahnten Schlimmes, töteten im Labyrinth der Gassen 1.500 der Taliban, nahmen 3.000 gefangen und brachten sie wenig später ebenfalls um. Im Jahr darauf kehrten die Taliban zurück und rächten sich furchtbar. Mazar-i-Sharif heißt auf deutsch "Heiliges Grab".

    Dieses Grab wird als letzte Ruhestätte des höchsten Heiligen der Schiiten, Ali, verehrt. Der liegt zwar im irakischen Nadschaf, was die wenigsten bestreiten. Aber irgendwie ist die Legende entstanden, Ali habe sich nach seinem Tod auf Wanderschaft begeben und hier seine endgültigen Ruhe gefunden.

    Hierher pilgern Gläubige und schreien am Zaun vor dem Schrein Ali ihre Bitten und Klagen entgegen. Viele Bettler erinnern die Gläubigen laut an ihre Fürsorgepflicht – kein Ort der stillen Einkehr. In Mazar-i-Sharif regiert nicht nur ein Warlord: Da ist zunächst Ata Mohammad, der seine Residenz direkt in der Stadt hat, seit der zweite, Rashid Dostum, vor ein paar Jahren aus Mazari vertrieben wurde und nun weiter westlich in Shebargan herrscht. Aber Dostums Bild ist noch an etlichen Gebäuden präsent. Der dritte ist Ustad Mohaghegh, der im Süden der Stadt das Sagen hat.

    Vielleicht hätte sich Dostum in Mazari schon wieder breitgemacht, aber er wird abgeschreckt durch die Präsenz US-amerikanischer und britischer Soldaten. Ata Mohamad hat natürlich auch eine Miliz und eine Leibwache, aber er ist schon rein äußerlich ein ganz anderer Typ als Ismael Khan. Bei ihm erinnert nichts an Abraham. Mit seinem schwarzen Anzug, der roten Krawatte, dem kurz gehaltenen Vollbart sieht er eher aus wie ein italienischer Anwalt. Ata Mohammad ist gerade mal 40 Jahre alt. Ein typischer Pandschiri – so heißen die Reste der ehemaligen Nordallianz, die sich auf den "Löwen des Pandschirtals", auf Ahmad Schah Massud, berufen.

    Als Pandschiris gelten auch wichtige Teile der Zentralregierung in Kabul, der Innen-, der Außen- und der Verteidigungsminister beispielsweise. Noch im vergangenen Jahr wurde die Pandschiri-Fraktion von Experten als eine potentielle Gegenmacht zu Hamid Karzai eingeschätzt. Dies scheint inzwischen vorbei. Daher ist eine gewisse Loyalität zur Regierung Karzai auch bei Ata Mohammad nicht verwunderlich.

    Ich war bei den Konferenzen in Bonn und Berlin dabei und habe bis jetzt die Regierung voll unterstützt. Ich habe die Bildung der provisorischen Regierung mit herbeigeführt. Ich war selbst Mitglied der Loya Djirga, wo ich mich für die Stärkung der Regierung in Kabul eingesetzt habe, nachdem ich gesehen habe, dass es notwendig war, vorgestern gegen die Russen und gestern gegen die Taliban zu kämpfen und es heute notwendig ist, die Übergangsregierung in Kabul zu unterstützen. Denn wir müssen endlich eine Ordnung in diesem Land haben und der Gesellschaft eine gesetzliche Grundlage geben, damit unser Bevölkerung mit sich selbst und mit der Welt in Frieden leben kann. Daher sah ich es als notwendig an, alle Waffen, über die ich verfügte, in einem Lager zu deponieren und der Zentralregierung zu übergeben und das war eine Strategie. Im Vergleich mit allen anderen in Afghanistan bin ich der Einzige, der konsequent seine schweren Waffen und Panzer, die mit dem selbstlosen Einsatz der Jugend angeschafft worden waren, ohne wenn und aber der Zentralregierung übergeben hat.

    So sucht man in Mazar-i-Sharif Schützenpanzer und Kampfpanzer vergeblich. Aber Ata Mohammad ist auch kein Friedensengel. Betrachten wir eine von ihm einberufene Versammlung von Würdenträgern, also Clanchefs, Mullahs, Vertreter verschiedener Organisationen. Darunter sind auch Frauen. Die mächtigeren unter ihnen kommen mit zwei oder drei Leibwachen. Ata Mohammad inszeniert seinen Auftritt. Er fährt als letzter in einem gepanzerten Geländewagen vor, im Schlepptau zwei Pickups mit seiner Leibgarde, z.T. schwer bewaffnet mit Bazuka und Maschinengewehr, die routiniert die neuralgischen Punkte im Hof besetzen. Die Versammlung ist so etwas wie ein Krisengipfel. Ein Ereignis vom Vortag nutzt Ata Mohammad, die Notwendigkeit eines Befreiungsschlages in Mazari zu begründen. Am Abend hat ein mit einem Messer bewaffneter Mann die Polizeikommandantur gestürmt und drei Polizisten getötet. Ata Mohammad bittet nun die Versammlung um grünes Licht für eine Säuberung der Stadt von bewaffneten Elementen, die von außerhalb kommen. Auch wenn er den Namen nicht nennt, ist klar, dass er Dostums Leute meint.

    Er bezeichnet Dostum als Opiumdealer aus der Nachbarprovinz. Kein Zweifel: Dostum ist einerseits ein Mann, der stur und oft auch gewaltsam seine eigenen Interessen verfolgt. Er gilt nicht zu Unrecht als käuflich und gar als Schlächter. Auf der anderen Seite ist er aber auch jemand, der in seinem Gebiet bemüht ist, den Einfluss der Geistlichkeit zurückzudrängen und Anschluss an die Moderne zu finden. Er ist bei weitem der unabhängigste.

    Ata Mohammad wiederum, der eher den Eindruck eines aufgeschlossenen und weltoffenen Mannes macht, stützt seine Macht auch und vor allem auf die Geistlichkeit. Die Mullahs, auf die er baut, beschwören wortreich den rasanten Sittenverfall in der islamischen Welt. Sie monieren z.B., dass in Mazari schon Frauen mit nackten Armen gesichtet wurden. Ata Mohammad hört sich das gottergeben an, obwohl er eigentlich der Intellektuelle unter all den sogenannten Warlords ist. Deswegen sieht er im Gegensatz zu Dostum auch klar, dass sich die Zeit der selbstherrlichen Warlords dem Ende zuneigt.

    Die Zeit, in der wir Waffen brauchten, ist vorbei, d. h. die Zeit, in der man gegen die Russen kämpfen musste und auch die Zeit des Widerstandes gegen die Taliban und Al Quaida ist vorbei.

    Auch er bekennt sich vorbehaltlos zur anstehenden Präsidentenwahl, aber ist zur Person Karsais distanziert.

    Das muss sich erweisen. Wenn einflussreiche Leute bereit sind, in diese Richtung zu arbeiten und Karsai zu wählen, dann werde auch ich ihn unterstützen.

    In Kundus herrscht der erst 34jährige General Dawud. Auch er nimmt für sich in Anspruch, neben seiner eher überschaubaren Miliz etliche Tausend Kämpfer mobilisieren zu können. In Kundus ist die Bundeswehr mit etwa 200 Soldaten stationiert. Sie sind nur tagsüber zu sehen, wenn sie Patrouille fahren. Dann verschwinden sie in ihren Kasernen. Ihre Anwesenheit wirkte so lange beruhigend, bis im Juni die ersten Anschläge auf chinesische Straßenbauarbeiter und auf ein Fahrzeug des deutschen Wiederaufbauteams dieses Bild trübten. Auch Dawud, wahrscheinlich ebenfalls ein den Pandschiris nahestehender Mann und ein Bewunderer Ata Mohammads, gibt sich als loyaler Parteigänger der Regierung.

    Obwohl einige in meiner Truppen Schwierigkeiten machten, wurde hier niemals gegen eine Anweisung aus Kabul verstoßen. Das ist meine persönliche Überzeugung. Ich glaube fest daran, dass Afghanistan jetzt die letzte Chance hat, die wir nutzen sollten, um eine allseits akzeptierte nationale Armee und eine starke Zentralregierung aufzubauen. Eine Zentrale, die in ganz Afghanistan akzeptiert wird. Geschieht das nicht, werden wir irgendwann unter ausländischen Flaggen leben müssen.

    Dawud ist ein weitsichtiger Mann. Als er vor drei Jahren in Kundus einrückte, verzichtete er auf eine Verfolgung der Parteigänger der Taliban. Selbst der zu den Taliban zählende damalige Bürgermeister lebt unbehelligt in der Stadt. Aber seit dem Anschlägen im Juni meint er, die Bundeswehr könne mit ihren Patrouillenfahrten im Schützenpanzer kaum so wirksam für Sicherheit sorgen wie er mit seinen Miliztruppen.

    Die Taktik der Terroristen scheint zu sein, im Vorfeld der Präsidentenwahlen vor allem Ausländer durch Angriffe zu verunsichern. General Dawud scheint trotzdem als Unterstützer für eine demokratische Zukunft Afghanistans.

    Ich habe mir vorgenommen, die Wahl der Afghanen tatkräftig zu unterstützen, damit jeder Mann und jede Frau den Präsidenten wählen kann. So werde ich dafür sorgen, dass zumindest hier im nördlichen Teil Afghanistans eine echte demokratische Wahl stattfindet. Das verspreche ich Ihnen und Ihren Hörern. Wer am besten diesem Land dienen kann, am ehrlichsten ist, sich tatsächlich um ganz Afghanistan kümmert, gute Beziehung zur Außenwelt unterhält, von der Mehrheit der Afghanen akzeptiert wird, ein solcher Mann soll gewählt werden.