Archiv

Doppelte Staatsbürgerschaft
"Alltagstauglichkeit abwarten"

Für die Betroffenen sei der Kompromiss der Großen Koalition zum Doppelpass "besser als nichts", sagte die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) im DLF. Trotzdem wollen die Länder Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, und Schleswig-Holstein an ihrer Bundesratsinitiative zur Abschaffung der Optionspflicht festhalten.

Bilkay Öney im Gespräch mit Silvia Engels |
    Die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) gestikuliert am 09.07.2013 in Stuttgart (Baden-Württemberg) während einer Pressekonferenz im Landtag.
    Die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) gestikuliert am 09.07.2013 (dpa/picture-alliance/Marijan Murat)
    Silvia Engels: Der Kompromiss steht, aber kaum einer scheint ihn zu mögen. Das ist die Zwischenbilanz nach der Einigung in der Großen Koalition auf die Neuregelung der doppelten Staatsbürgerschaft. Bislang mussten sich hier geborene Kinder von Einwanderern bis zu ihrem 23. Geburtstag für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. Nun können sie zwei Pässe behalten, wenn sie bis zum 21. Geburtstag mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt haben oder sechs Jahre hier zur Schule gegangen sind. Die Türkische Gemeinde reagierte enttäuscht. Auch einige SPD-Ländervertreter üben Kritik.
    - Am Telefon ist Bilkay Öney von der SPD. In der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg ist sie Integrationsministerin. Guten Morgen, Frau Öney!
    Bilkay Öney: Guten Morgen!
    Engels: Wie sehen Sie diesen Kompromiss zum Doppelpass?
    Öney: Ja, also, es ist ja kein Geheimnis, dass wir uns für eine vollständige Abschaffung der Optionspflicht eingesetzt haben. Und deshalb haben wir auch eine Bundesratsinitiative zusammen mit Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein auf den Weg gebracht. Und unsere Bundesratsinitiative sieht eine pragmatische Lösung vor, also eine andere als die, die hier jetzt offenbar vorliegt. Und der jetzt gefundene Kompromiss muss aus meiner Sicht noch zeigen und beweisen, dass er den betroffenen Behörden tatsächlich Erleichterung gegenüber dem Status quo bringt. Und sollte das so sein, ist die jetzt gefundene Regel immer noch besser als das, was der Bundesinnenminister anfangs vorgelegt hätte. Dann wäre das nämlich auch ein Erfolg oder ein kleiner Erfolg der Bundesratsinitiative oder des Drucks, der von der SPD auch ausgeübt wurde.
    Engels: Sie haben es angesprochen, die Bundesratsinitiative aus Ihrem Bundesland, auch aus Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz – sähe eine pragmatische Lösung vor – das heißt aber nichts anderes, als dass eigentlich die Optionspflicht wegfiele, heißt, eigentlich könnten alle Kinder mit Migrationshintergrund, die hier geboren sind, doppelte Staatsangehörigkeiten haben. Halten Sie daran fest?
    Öney: Ja, natürlich. Am Ziel halten wir fest. Im Moment haben wir keine Mehrheit, aber am Ziel und auch am Ziel der generellen Hinnahme der Mehrstaatlichkeit halten wir fest. Die Grünen, aber natürlich auch die SPD. Und bei der jetzigen Lösung ist ja das Problem, also, es wird gesagt, dass die Beweislast umgekehrt wird – wie das funktionieren soll, wissen wir im Moment nicht, weil es bleibt ja beim Amtsermittlungsgrundsatz. Das heißt, die Behörde hat regelmäßig alle Erkenntnisse oder Kenntnisse zu berücksichtigen. Und das wird dann schwierig, wenn eine Behörde darauf besteht, da alle Unterlagen zu bekommen. Die betroffene Person muss das einreichen. Und der Kontrollaufwand würde dann in dem Fall weiterhin hoch bleiben. Und deswegen bevorzugen wir eine einfachere, pragmatischere und auch sehr viel unbürokratischere Lösung. Schade finde ich ja auch, dass es jetzt kein einfaches Verfahren zur Wiedererlangung des deutschen Passes gibt. Wir hatten das vorgeschlagen in der Bundesratsinitiative. Und ungeklärt ist auch was mit denen passiert, die ihren Pass bisher verloren haben. Da hätten wir uns auch eine Übergangsfrist von drei Jahren gewünscht, aber all das ist, glaube ich, in dem neuen Entwurf jetzt auch nicht drin.
    Engels: Also ein schlechter Kompromiss aus Ihrer Sicht?
    Öney: Nein. Es kommt darauf an, was jetzt passiert. Es ist wichtig für die Betroffenen, die warten ja darauf, dass die Optionspflicht abgeschafft wird. Dass jetzt mit dem Entwurf die Behörden trotzdem Bürokratie haben, ist natürlich das Problem der Behörden. Für die Betroffenen ist es vermutlich immerhin besser als nichts.
    Engels: Sie haben es eben angesprochen, mit diesen Behörden, die jetzt nach wie vor mit im Rennen sind. Das bezieht sich ja darauf, dass möglicherweise Kinder mit Migrationshintergrund gezwungen sind, letztlich doch, dass sie ständig Belege einreichen, wann sie in Deutschland waren und wie lange; dass sie in Deutschland zur Schule gegangen sind. Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Torsten Albig, hat sich ja schon festgelegt. Er spricht von einem "integrationsfeindlichen Bürokratiemonster". Wieso lassen sie diese Regelungen besser dastehen?
    Öney: Nein, es geht nicht um Integration, aus folgendem Grund. Folgendes: Nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts war es so, dass Kinder, die in Deutschland auf die Welt kamen oder kommen, hier mit der Geburt den deutschen Pass bekommen, und auch den ausländischen Pass behalten dürfen, bis zum 21. oder zum 23. Lebensjahr, wo sie sich für einen Pass entschieden haben müssen, sonst fällt der deutsche Pass weg. Das hat also nichts mit Integration zu tun, weil die Kinder ja hier schon als Deutsche auf die Welt kommen. Bei der Streichung der Optionspflicht geht es nur darum, wie schaffen wir es, dass die Kinder den Pass oder einen Pass nicht abgeben müssen und beide Pässe behalten dürfen, weil das offenbar auch Wunsch von vielen ist –
    Engels: Und das möglichst unbürokratisch, wenn ich Sie recht verstehe?
    Öney: Genau. Und das möglichst unbürokratisch, was auch –
    Engels: Aber Herr Albig sagte, das reicht alles nicht.
    Öney: Ja. Ich teile im Ziel seine Einschätzung, dass wir uns weiterhin als SPD stark machen für eine generelle Hinnahme von Mehrstaatlichkeit, aber in diesem Kompromiss, wie ich sagte, wird die Beweislast umgekehrt. Es muss nur noch eine kleine Gruppe von Betroffenen Beweise erbringen, heißt es. Ob es tatsächlich so sein wird, wissen wir nicht. Deswegen sage ich, wir warten jetzt mal den Alltagstest ab. Und dann können wir uns natürlich – niemand hindert uns daran, uns weiterhin für eine generelle Hinnahme der Mehrstaatlichkeit einzusetzen. Aber dann müssen sich auch die politischen Mehrheitsverhältnisse ändern. Und deswegen sind natürlich alle Mitglieder aufgerufen, daran mitzuwirken.
    Engels: Das heißt aber, Sie wollen auf Alltagstauglichkeit prüfen, ziehen aber de facto Ihren Einsatz für die Länderinitiative zurück?
    Öney: Nein. Wir ziehen unsere Länderinitiative nicht zurück, sondern warten ab, was jetzt in Berlin passiert. Noch ist es ja ein Entwurf, der offiziell auch noch gar nicht vorliegt. Und das heißt, dass das Kabinett, das Bundeskabinett sich damit befassen muss und natürlich auch der Bundestag. Und all das warten wir ab und dann gucken wir mal, was mit unserer Initiative passiert. Und niemand hindert uns daran, zu einem späteren Zeitpunkt die Bundesratsinitiative noch mal zu stellen. Es hängt einfach an den politischen Mehrheiten. Und es gibt so einen schönen Spruch von Nietzsche. Nietzsche sagt: Viele verfolgen stur den Weg und nur wenige verfolgen stur das Ziel. Und darum geht es letztendlich.
    Engels: Dann gehen wir weg von der Frage, was das Ganze noch für politische und sonstige bürokratische Folgen hat, sondern schauen auf das, was zu erwarten ist in der Praxis. Ihr Parteifreund, der nordrhein-westfälische Integrationsminister Schneider, hat gestern gesagt, dass er erwarte, dass immerhin über 90 Prozent der hier geborenen Migrantenkinder schon mit diesem Kompromiss einen Anspruch auf die doppelte Staatsbürgerschaft haben. Rechnen Sie damit auch in Baden-Württemberg?
    Öney: Ja, das sind Zahlen, die uns vorliegen. Es ist die Rede davon, dass etwa – mehr als 90 Prozent, etwa 97 Prozent vermutlich diese Bedingungen erfüllen. Es geht also wirklich nur um eine sehr kleine Gruppe. Und wir haben gesagt, für diese drei Prozent sollte eben nicht an hundert Prozent Verwaltungsaufwand festgehalten werden. Vermutlich meinte mein lieber Freund und Kollege Guntram Schneider das damit.
    Engels: Und rechnen Sie noch mit Gegenwehr aus dem konservativen Lager? Die CSU zeigt sich wiederum von dem erzielten Kompromiss nicht begeistert.
    Öney: Über die CDU und CSU kann ich natürlich nicht sprechen, weil ich nicht weiß, wie da die Diskussionen laufen. Ich verfolge das über die Medien und bin manchmal recht erstaunt, wie wenig die Politiker dort doch eigentlich über das Staatsangehörigkeitsrecht wissen. Weil es von dort immer heißt, niemand kriegt den deutschen Pass geschenkt. Natürlich kriegt niemand den deutschen Pass geschenkt, sondern es ist allgemeine Rechtslage. Und es müsste sich nach 14 Jahren auch rumgesprochen haben, dass wir im Jahr 2000 eine Reform im Staatsangehörigkeitsrecht hatten, die damals auch von der rot-grünen Bundesregierung auf den Weg gebracht wurde. Ein Novum, weil wir da vom Blutrecht abgekommen sind und zum Bodenrecht übergegangen sind. Das heißt eben, dass die Kinder schon als Deutsche auf die Welt kommen. Und es geht nicht darum, dass wir ihnen etwas schenken, sondern dass sie einfach den alten Pass, den Pass des Herkunftslands ihrer Eltern behalten dürfen. Um nichts mehr und nichts weniger.
    Engels: Die SPD wollte ja im Wahlkampf bekanntlich den Doppelpass als generelle Lösung. Wie enttäuscht ist Ihr Landesverband, dass man das hat nicht durchsetzen können?
    Öney: Es gibt natürlich vereinzelte Stimmen, die sehr enttäuscht sind. Das kann man verstehen, das ist wahrscheinlich in allen Landesverbänden ähnlich. Aber natürlich ist es ja nicht etwas, das jeden betrifft. Und natürlich ist das nicht etwas, womit jeder sich auskennt. Deswegen ist das Thema nicht überall so präsent, wie es teilweise in den Medien dargestellt wird. Es gibt viele Menschen in der SPD, die sich aus vielen Gründen in der SPD engagieren. Integrationspolitik ist auch ein Bereich, aber eben nur einer von vielen. Und deswegen sind da die Stimmen auch ganz unterschiedlich.
    Engels: Bilkay Öney von der SPD. Sie ist in Baden-Württemberg Integrationsministerin. Vielen Dank für das Gespräch über den Doppelpass!
    Öney: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.