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Doppelte Stimmabgabe
"EU-Parlament muss Wahlgesetz verabschieden"

Wie viele Menschen bei der Europawahl aufgrund doppelter Staatsbürgerschaft zwei Mal gewählt haben, stehe noch nicht fest, sagte Johann Wadephul (CDU) im DLF. Der Vorsitzende des Wahlprüfungsausschusses ergänzte, eine Gesetzeslücke habe zu diesem Missbrauch geführt - die müsse das EU-Parlament jetzt schließen.

    Johann Wadephul (CDU) im schleswig-holsteinischen Landtag.
    Johann Wadephul (CDU), Vorsitzender des Wahlprüfungsausschusses. (dpa / Jens Ressing)
    Der Lissabon-Vertrag sehe ein solches Gesetz auch vor. Dieses sollte das EU-Parlament in der neuen Wahlperiode nachholen. Im Hinblick auf die aktuelle Europawahl werde jede eingehende Beschwerde von der Wahlprüfungskommission geprüft. Allerdings werde sich das schwierig gestalten: "Von vielen Menschen, die die doppelte Staatsbürgerschaft besitzen, wissen wir die Doppeltstimmabgabe nicht". Eine Ausnahme sei Giovanni di Lorenzo, der Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Zeit". Dieser hatte in der ARD-Talkrunde "Günther Jauch" die doppelte Stimmabgabe offen zugegeben.
    Kein massenhafter Missbrauch erwartet
    Wadephul bezeichnete die Gesetzeslücke als ärgerlich. "Es kann nicht sein, das jemand zwei Stimmen abgibt". Dennoch räumte er ein: "Ich glaube nicht, dass es einen massenhaften Missbrauch gegeben hat. Es ist ja nicht so, dass die Menschen gerade zu den Wahlurnen stürmen".
    Die Wahlprüfungskommission müsse aber klären, was mit den doppelten Stimmen zu machen sei und welche Stimme in welchem Land für gültig oder ungültig befunden werde. Das sei noch zu klären.

    Lesen Sie hier das vollständige Interview.
    Christiane Kaess: Der Wahlabend der Europawahl am 25. Mai war von einem Thema bestimmt: der massiven Zustimmung für rechte und europafeindliche Parteien in mehreren Ländern. Da wirkte es schon fast wie ein amüsanter Nebenschauplatz, als der Chefredakteur der „Zeit", Giovanni di Lorenzo, in der Talk-Runde von Günther Jauch vor einem Millionenpublikum eingestand, er habe als deutsch-italienischer Doppelstaatler auch doppelt gewählt. Der Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble fand das nicht lustig:
    O-Ton Wolfgang Schäuble: "Es kann bei einer Wahl jeder Wahlberechtigte ein Parlament nur einmal wählen. Das wird Ihnen beim nächsten Mal klar sein; ins Gefängnis müssen Sie deswegen nicht."
    Kaess: Soweit die Reaktion des Bundesfinanzministers. – mittlerweile ist klar: Bis zu acht Millionen Stimmen könnten es sein, die könnten bei der Europawahl unrechtmäßig abgegeben worden sein, weil die entsprechenden Wähler ihr Kreuz zweimal machen konnten. Juristen meinen, das Wahlergebnis könnte womöglich verfassungswidrig sein.
    Am Telefon ist jetzt Johann Wadephul von der CDU. Er ist Vorsitzender des Wahlprüfungsausschusses im Deutschen Bundestag. Guten Morgen!
    Johann Wadephul: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Wadephul, der Bundestag überprüft neben der Gültigkeit zur Wahl zum Deutschen Bundestag auch die Wahl der deutschen Mitglieder des Europäischen Parlaments. Diese Entscheidung des Parlaments wiederum, die wird vom Wahlprüfungsausschuss vorbereitet. Sind Sie denn schon zu einem abschließenden Ergebnis gekommen?
    Wadephul: Nein, wir haben mit einer Prüfung noch nicht einmal richtig begonnen. Das wird wahrscheinlich erst nach der parlamentarischen Sommerpause möglich sein, weil wir jetzt noch die Wahlprüfbeschwerden vor uns haben und auch noch derzeitig bearbeiten, die die Bundestagswahl betreffen. Da gab es über 300 Beschwerden. Also die Bürger nehmen das wahr, wir nehmen das auch sehr ernst und wir schauen uns jede Beschwerde einzeln an. Was die Europawahl angeht, selbstverständlich: Jede einzelne Beschwerde wird vorgelegt und wird auch überprüft.
    Kaess: Und wie überprüfen Sie das, ob jemand seine Stimme doppelt abgegeben hat?
    Wadephul: Ja das ist eine schwierige Frage, vor der stehen wir auch, glaube ich, in diesem Ausmaße erstmalig. Und wenn wir es jetzt ganz genau nehmen: Wir wissen es nur in einem Fall. Das ist der von Ihnen gerade eben ja auch noch mal wieder dargestellte Fall Giovanni di Lorenzo, der das öffentlich bekannt gegeben hat: Er habe falsch, also doppelt abgestimmt. Das ist natürlich unzulässig. Das hat Herr Schäuble ja mit prägnanten klaren Worten noch mal nachgezeichnet. Aber von mehr Menschen, die die doppelte Staatsbürgerschaft besitzen und auch doppelt abgestimmt haben, wissen wir bisher nicht. Das ist noch Spekulation.
    Gesetzeslücke ist ärgerlich
    Kaess: Die Rede ist da von möglicherweise acht Millionen Stimmen. Das bezieht sich jetzt auf Europa. Das sind zum einen die Doppelpass-Inhaber, aber auch Europäer, die nicht in ihrem Heimatland, sondern einfach nur in einem anderen EU-Land leben und gar nicht unbedingt zwei Pässe haben. Wie ist es denn zu erklären, dass auch die zweimal abstimmen konnten?
    Wadephul: Ja, das Europäische Parlament hat bis zum jetzigen Zeitpunkt es verabsäumt, ein Wahlgesetz zu formulieren, das das ausschließt, das das überprüft und das klarlegt, dass natürlich der Grundsatz gilt, dass jeder nur eine Stimme hat. Das ist Aufgabe auch nach den europäischen Verträgen des Europäischen Parlamentes, aber es hat es bisher nicht geschafft. Ich denke, diese Vorfälle werden jetzt Anlass sein, auf europäischer Ebene mindestens innerhalb der nächsten Legislaturperiode hier für Klarheit zu sorgen. Die haben wir bisher nicht. Ich schätze übrigens Herrn Papier natürlich sehr, das ist ein sehr hoch anerkannter Verfassungsrechtler. Ich bin eher ein Jurist, der sozusagen ganz nah bei den tatsächlichen Verhältnissen arbeitet, und deswegen muss man seine Aussage, dass die Wahl möglicherweise verfassungswidrig wäre, natürlich überprüfen. Und der entscheidende Satz, den er da gesagt hat, beginnt mit der Konjunktion „wenn", nämlich wenn Millionen doppelt abgestimmt hätten, und da muss man natürlich erst mal klären, ist das überhaupt der Fall.
    Kaess: Das wissen wir natürlich nicht. Würden Sie dennoch sagen, dass diese Gesetzeslücke Missbrauch Tür und Tor öffnet?
    Wadephul: Ich finde diese Gesetzeslücke ärgerlich. Ich finde auch, es ist absolut geboten, sie zu schließen. Es kann nicht sein, dass jemand zwei Stimmen abgibt. Das sagt einem natürlich schon der gesunde Menschenverstand. Aber wir haben Gesetze so zu formulieren, dass sie eindeutig und klar sind.
    Ich würde mich jetzt Ihrer Formulierung nicht ganz anschließen wollen, weil ich nicht glaube, dass es einen massenhaften Missbrauch gegeben hat. Wir freuen uns ja über eine gestiegene Wahlbeteiligung bei der letzten Europawahl, aber ansonsten ist es ja nicht so, dass nun wirklich die Menschen gerade zu den Wahlurnen stürmen, und ich glaube auch nicht, dass es massenweise Bürgerinnen und Bürger gegeben hat mit doppelter Staatsbürgerschaft, die doppelt abgestimmt haben.
    Aber natürlich: Das darf nicht sein und das sollte man für die Zukunft auch ausschließen. Wir für diese Wahl werden das jedenfalls ganz genau zu überprüfen haben und werden nachzuschauen haben, ob das umfangreich geschehen ist, wobei die Folgen nicht ganz einfach zu klären sind, denn ich müsste mich ja jetzt bei Herrn di Lorenzo fragen, was machen wir mit der Stimme. Da gibt es ja vier Möglichkeiten: Beide Stimmen sind gültig, beide Stimmen sind ungültig, nur die deutsche Stimme ist ungültig oder die italienische Stimme ist ungültig. Das ist nicht einfach zu beantworten.
    Wir werden Relevanzprüfungen vornehmen
    Kaess: Oder man kommt schlussendlich irgendwann doch zu dem Ergebnis, dass das Ganze nicht rechtmäßig abgelaufen ist. Aber warum ist es denn eigentlich so schwierig, wenn ein EU-Land die EU-Ausländer, die zur Wahl gemeldet oder registriert sind, an den Wahlleiter im Herkunftsland meldet? Das dürfte doch eigentlich nicht so kompliziert sein.
    Wadephul: Ein kurzer Satz noch zu Ihrer Eingangsbemerkung, oder man kommt zu dem Ergebnis, dass das rechtswidrig war. Bei jeder Wahl – das fängt in jedem kleinen Verein an und das gilt auch für öffentliche Wahlen – machen wir natürlich eine Relevanzprüfung, und es haben fast 27 Millionen Wählerinnen und Wähler ihre Stimme abgegeben. Da werden wir auch zu prüfen haben, für ein Mandat haben kleinere Parteien wie beispielsweise die ÖDP etwa 186.000 Stimmen benötigt. Da wird man schon die Frage zu stellen haben, ob natürlich selbstverständlich die Stimme von Herrn di Lorenzo nicht ausgereicht hat, ein Mandat zu verändern, ja oder nein. Das heißt, eine Relevanzprüfung werden wir in jedem Fall auch vornehmen. Das macht man bei jeder Wahl.
    Aber zu der Frage der Meldung: Natürlich wird man so etwas machen können. Aber Voraussetzung dafür ist eine Regelung auf europäischer Ebene durch eine europäische Rechtsetzung, die eben ein Verfahren dafür vorschreibt und die dann auch klar festlegt, wie man sich möglicherweise zu entscheiden hat, ob und wo man abstimmt. All so etwas fehlt zurzeit. Die Verträge, der Lissabon-Vertrag sieht vor, dass das Europäische Parlament diese Regelungen noch schaffen soll. Bisher ist es nicht der Fall und insofern ist das jetzt in der Tat Anlass, in der nächsten Legislaturperiode dieses nachzuholen.
    Kaess: ..., sagt Johann Wadephul von der CDU. Er ist Vorsitzender des Wahlprüfungsausschusses im Deutschen Bundestag. Danke für dieses Gespräch heute Morgen.
    Wadephul: Sehr gerne. Einen schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.