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Doppelter Boden

In einer schier endlosen Kette aus dunklen Güterwagen rollt die Braunkohle heran. Sie stammt aus den Tagebauen Jänschwalde und Cottbus-Nord, wo sich die mächtigen Bagger auf breiter Front durch die Lausitz fressen. Die Kohle wird seitlich aus den Wagen geschüttet und prasselt an den Gleisen vorbei, einen Stock tiefer. Ein spezieller Schaufelradbagger kratzt sie auf ein Förderband. Von dort geht es weiter bis ins 3-Gigawatt-Kraftwerk Jänschwalde. 82.000 Tonnen Braunkohle werden hier pro Tag verbrannt. Heraus kommen Strom für fünf Millionen Menschen, Wärme für Betriebe und Haushalte, Gips und Asche für die Baustoffindustrie. Und jede Menge Kohlendioxid.

Von Jan Lublinski |
    "Wir müssen über andere Technologien nachdenken, wie die erneuerbaren Energien, wie die Energieeffizienzsteigerung und wenn man mal bei den fossilen Kraftwerken bleibt, muss man auch über Dinge nachdenken, wie die CO2-Abtrennung und Speicherung."

    Doppelter Boden.
    Das CO2 arme Kraftwerk nimmt Gestalt an.
    Von Jan Lublinski


    Einige hundert Meter vom Kraftwerk Jänschwalde entfernt steht ein Gebäude, das im Schatten der großen Anlage und ihrer acht Kühltürme geradezu winzig erscheint. Es ist ein Mini-Kraftwerk, das lediglich ein halbes Megawatt liefert, also 6000 Mal weniger Leistung als das große Braunkohlekraftwerk. Seine Brennkammer ist etwa so groß wie eine Litfasssäule.

    "Das ist schon eine kleine Brennkammer. Sie ist aber groß genug um reale, realistische Ergebnisse zu liefern. Das ist jetzt keine Laborbrennkammer, wo man dann doch ideale Zustände hat. Wir haben hier auch mit Problemen zu kämpfen, die auch in einem normalen Kraftwerk vorhanden sind. Da können wir schon den Kraftwerksprozess real abbilden."

    Die Technologie steht kurz vor dem Durchbruch. Schon in wenigen Jahren soll das in Verruf geratene Kohlendioxid nicht mehr durch den Schornstein entweichen. Stattdessen wollen es die Kraftwerksbetreiber abfangen. Gelänge es ihnen darüber hinaus, das CO2 langfristig zu lagern, ließe sich das Klima entlasten - zumindest für die Übergangszeit, bis die Erneuerbaren größere Teile unserer Energieversorgung übernommen haben. Die Industrie investiert große Summen in entsprechende Experimente. Es steht viel auf dem Spiel. Für den Klimaschutz. Aber auch für das Image der Energiekonzerne.

    An der Testanlage in Jänschwalde überwachen Ingenieur Helge Kass und seine Kollegen die Verbrennung von einem kleinen Container aus: Eine kleine Steuerzentrale mit zwei Bildschirmen und einem großen Fenster, von dem aus sie die Kraftwerkshalle überblicken können. Kass:

    "Das ganze ist rechnergesteuert. Wir haben hier ein kraftwerkstechnisches Leitsystem, was auch in allen Neubaukraftwerken eingebaut worden ist. Und über das Leitsystem steuern wir alle Klappen, alle Durchflüsse. Wir kriegen alle Messwerte - und das dient dann auch zur Auswertung."

    Doch nicht selten muss Kass zurück in die Halle und selbst Hand anlegen, zum Beispiel direkt neben der Brennkammer, wo wie in einem großen Heizungskeller ein kleiner Irrgarten entstanden ist aus Gasleitungen, Hebeln, Ventilen und Messuhren. Kass:

    "Ich sage immer, dieser Bereich ist Herz und Lunge der Anlage. Hier schlägt das Herz: Die Gebläse, hier haben wir die Sauerstoffverteilung."

    Bei einem herkömmlichen Feuer verbrennt Kohle mit Luft, und die besteht aus Sauerstoff, Kohlendioxid und Stickstoff. Der Nachteil: wer Kohle mit einem solchen Gasgemisch verbrennt, bekommt auch als Abgas ein unbequemes Gemisch. Anders beim Oxyfuelprozess. Hier trennt man den Stickstoff vor der Verbrennung ab und lässt ihn erst gar nicht in die Brennkammer. Die Kohle verbrennt mit reinem Sauerstoff –heraus kommen dabei Wasser, Schwefeldioxid und Kohlendioxid, die sich relativ leicht voneinander trennen lassen. Die Ingenieure von der TU Cottbus haben in den vergangenen Monaten beweisen können, dass dieses Verfahren mit Braunkohle funktioniert. Kass:

    "Einerseits haben wir die ersten Ergebnisse zur erreichbaren Rauchgasqualität, also zur CO2-Anreicherung. Dann haben wir Betriebsergebnisse: Wir können Aussagen machen zur Schadstoff-Minderung, also wie man in der Feuerung selbst schon Schadstoffe minimieren kann, ohne Schritte nachfolgen zu lassen."

    Der Oxyfuelprozess ist nur einer von insgesamt drei möglichen Wegen der CO2-Abtrennung. Man kann das Kohlendioxid auch erst nach der Verbrennung aus dem Rauchgas herauswaschen, allerdings gelingt das dann nur zu 85 Prozent. Oder man scheidet das CO2 bereits vor der Verbrennung ab. Dazu vergast man die Kohle zunächst bei hohem Druck und wandelt sie über eine chemische Reaktion um in CO2 und in Wasserstoff, den man dann abtrennen und sauber verbrennen kann. Der Energieversorger RWE setzt auf diese dritte Möglichkeit und will im Jahr 2014 eine große 400-Megawatt-Anlage mit CO2-Abscheidung fertig haben. – Ein so genanntes "CO2-freies Kraftwerk" – Dieser Begriff klingt schön und wird von der Industrie gerne benutzt. Er ist aber nicht ganz richtig. Gleiches gilt für den Begriff "saubere Kohle" - englisch "clean coal".

    "Man darf eines nicht vergessen: das Kraftwerk ist ja nur ein Teil der Prozesskette."

    Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.

    "Das heißt, selbst wenn Sie 95 Prozent oder 99 Prozent des CO2 einsparen können, Sie machen gleiches ja nicht in der vorgelagerten Prozesskette, wo die Kohle ja aufbereitet und gewonnen werden muss. Und auch nicht in der nachgelagerten Kette, wo Sie das CO2 ja transportieren und speichern müssen. Das heißt, in der Summe bleibt dann ein Treibhausgasausstoß über. Und deswegen reden wir von CO2-armen Kraftwerken und nicht von CO2-freien Kraftwerken."

    Mit großer Geschwindigkeit donnern Schwerlasttransporter am großen Braunkohle-Kraftwerk Schwarze Pumpe in der Lausitz vorbei, hin zu einer neuen Baustelle einige hundert Meter weiter. Auf einem weitläufigen Gelände entsteht ein halbes Dutzend Gebäude gleichzeitig. Vattenfall baut hier das Nachfolgemodell der kleinen Testanlage in Jänschwalde. Im nächsten Sommer soll eine Pilotanlage in Betrieb gehen - mit 30 Megawatt. Jedes Gebäude wird einen Prozessschritt in der Oxyfuel-Verfahrenskette beherbergen - von einer siloartigen Luftzerlegungsanlage, die reinen Sauerstoff herstellen wird, bis hin zu einem 35 Meter hohen Kesselhaus, wo die Kohle bei sehr hohen Temperaturen verbrannt wird. Der Zeitplan ist eng. In den vergangenen Monaten waren hier mitunter sieben Baukräne gleichzeitig zugange.

    "Einer stand hier, an dem höheren Gebäude, einer hier, hier."
    "Das geht schon. Alles geschulte Fachleute hier."
    "Da stand einer hier, etwas tiefer die Ausleger, da kreuzten die sich, da muss man höllisch aufpassen, wenn man in den reinschwenkt, und die Seile sich verhaken."

    Uwe Burchhardt, der leitende Ingenieur, hat sein kleines Büro in einem Containergebäude direkt neben der Baustelle. Schon zu DDR-Zeiten war er hier als Kraftwerksingenieur tätig, und er weiß noch genau, was es damals bedeutete, in der Lausitz zu leben. Burchhardt:

    "Wenn man Wäsche rausgehangen hat, und der Wind stand ein bisschen ungünstig, dann hat man das schon gesehen an der Wäsche. Dass die so einen gräulichen Schleier hatte, so ein bisschen Feinstaub. Das war so. Damit haben sich alle abgefunden. Man kannte nichts anderes."

    1995 wurden die ersten Rauchgasentschwefelungsanlagen eingebaut, in den Folgejahren die älteren Anlagen still gelegt und durch modernere ersetzt. Heute ist Uwe Burchhardt stolz darauf, dass er mit seinen Kollegen ein CO2-armes Kraftwerk entwickeln kann. Burchhardt:

    "Da muss man sagen, da ist wirklich noch einmal richtig Wind reingekommen in die ganze Forschung und Ingenieurtechnik. Das sind neue Herausforderungen und das spornt einen auch an."

    Seit der Grundsteinlegung durch Bundeskanzlerin Angela Merkel im Frühjahr 2006 pilgern Politiker, Manager und Kraftwerksexperten aus aller Welt nach Schwarze Pumpe. An diesem Tag ist der wissenschaftliche Berater der kanadischen Regierung, Arthur Carty, zu Gast. Uwe Burchhardt steht vor einer großen Computergrafik und erklärt ihm, wie die Pilotanlage einmal aussehen wird.

    Burchhardt ist nicht nur für Bau, Test und die Inbetriebnahme der neuen Anlage verantwortlich, er betreut auch die stetig wachsende Zahl von Besuchern. Burchhardt:

    "Wir wollen es natürlich auch möglichst so darstellen, dass es nicht nur eine Anwendung hier für die heimische Braunkohle ist, sondern dass es international anwendbar ist. Dass man hier wirklich eine grundlegende Technologie entwickelt hat, die man eventuell auch nach China, Indien oder sonstnochwo exportieren kann."

    Public Relations, Lobbyarbeit und Werbung sind wichtige Bestandteile des Pilot-Projektes in Schwarze Pumpe. Vattenfall will wieder Boden gut machen, nach der Informationskatastrophe in Sachen Kernkraft im vergangenen Frühjahr.

    "Wenn im nächsten Sommer diese Anlage steht, werden wir als Vattenfall Europe, als erstes Unternehmen in Europa die komplette Kette Transport und Speicherung darstellen können und damit zeigen, dass diese Technik keine Raketenwissenschaft ist und keine Alchemie, sondern eine Realität und machbar."

    Bei besonders wichtigen Gästen, wie dem kanadischen Regierungsberater, kommt auch Wolfgang Dirschauer aus Berlin in die Lausitz. "Leiter Klimapolitik" steht auf seiner Visitenkarte. Seine Botschaft: Mit der neuen CO2-Abscheide- und Speichertechnik, kurz CCS, wird die Braunkohle in Sachen Klimaschutz hoffähig. Und: Vattenfall würde gern bis zum Jahr 2015 ein noch größeres Demo-Kraftwerk bauen, mit 300 Megawatt. Vorausgesetzt, der rechtliche Rahmen stimmt und es fließen ausreichend staatliche Fördergelder. Dirschauer:

    "Sicher ist, dass CCS Kosten mit sich bringt. Kosten, die resultieren aus dem Willen, Klimapolitik zu machen. Wir unterstützen diese Klimapolitik. Vattenfall Europe hat sich dazu bekannt, bis 2030 seine spezifischen CO2-Emissionen zu halbieren. Wir glauben, dass CCS eine kostengünstige Technik ist, im Vergleich zu anderen Techniken, wir glauben auch, dass sie eine sichere Technik ist, und wir glauben auch, dass sie deshalb, aufgrund der Sicherheit und der Kostengünstigkeit - und aufgrund der langfristigen Verfügbarkeit der heimischen Braunkohle - eine notwenige Option ist, um den breiten Energiemix und die Versorgungssicherheit in Deutschland zu verträglichen Preisen zu garantieren."

    Tatsächlich ist die CO2-Abscheidetechnik zunächst einmal eine teure Angelegenheit: Auch weil sich der Wirkungsgrad der Kraftwerke verschlechtert, etwa um zehn Prozent. Wirtschaftlich werden kann die CO2-Abscheide-und-Speicher-Technologie nur durch den Emissionshandel. Die Betreiber der CO2-armen Kohlekraftwerke könnten ihre überschüssigen Verschmutzungsrechte an andere Unternehmen verkaufen. Vorausgesetzt, die Technologie wird Bestandteil eines neuen Kyoto-Vertrages, als eine unter vielen Maßnahmen zum Klimaschutz, und ebenfalls vorausgesetzt, es gelingt, das CO2 unter die Erde zu pumpen - und langfristig aus der Atmosphäre fern zu halten.

    "Grüß Dich. Kerle, ne, heut mach ich Abrechnung auf Kilometer-Basis. Was ich da rumlaufe von OG1 zu OG2 dass kannst Du dir nicht vorstellen! Dienstfahrrad? Ja, das wär’ so ein Stichwort."

    Der Bohrmeister Franz Tafelmeyer hat gut zu tun auf seiner Baustelle im brandenburgischen Ketzin, nahe Potsdam. Während das Telefon klingelt, kommen immer neue Kollegen in seinen Container, um ihre Sicherheitshelme abzuholen: Schweißer, Geophysiker, Elektrotechniker und die so genannten Tool-Pusher, die auf dem großen Bohrturm arbeiten, der sich direkt vor dem Container in die Höhe reckt.

    "CO2-Sink" heißt dieses Forschungsprojekt. Es soll klären, ob die Entsorgung des CO2 unter Tage machbar ist, welche Gefahren dabei auftreten können und vor allem: wie lange das CO2 dort unten bleibt. Denn nur wenn es gelingt, das Gas langfristig "unter den Teppich zu kehren", mildert die Maßnahme den Treibhauseffekt nachhaltig. Die Genehmigung für drei 750 Meter tiefe Bohrlöcher hat das Geoforschungszentrum Potsdam vergleichsweise schnell erhalten, denn auf diesem eingezäunten, matschigen Gelände wurde schon zu DDR-Zeiten intensiv gebohrt. Damals wurden Kavernen unter der Erde genutzt, um russisches Erdgas aufzubewahren. Für das "CO2-Sink"-Projekt sind die Bohrexperten jetzt noch einige Etagen tiefer eingedrungen.

    "Die erste Stufe war, dass hier ein Rohr gerammt worden ist, 30 Meter tief. Das ist das so genannte Standrohr."

    Ben Norden, Geologe am Geoforschungszentrum Potsdam.

    "Dann kommt die Bohranlage drauf und fängt dann an, tiefer zu bohren, und dann haben wir in den ersten Horizont runter gebohrt, das ist der so genannte Rupelton, der hier sehr wichtig ist: Der trennt hier das süße Grundwasser vom salzigen Wasser, der liegt bei etwa 150 Metern etwa. Dann war dieser Bohrabschnitt zu Ende, der dann auch verrohrt worden ist. Das wurde dann zementiert und dann wurde wieder weitergebohrt, mit einem etwas geringerem Durchmesser – denn jetzt hat man ja schon ein Rohr drin, dann muss man ein bisschen kleiner werden, 500 Meter, 520 Meter und dann wurde das wieder zementiert und verrohrt bis nach oben hin."

    Und beim abschließenden Bohrabschnitt ging es dann noch bis 750 Meter hinab. Nach monatelanger Arbeit im 24-Stunden-Betrieb sind die Bohrungen jetzt fertig: abgeteuft, wie es in Fachjargon heißt. Der große Bohrturm mit seinen verschiedenen Maschinen und Werkzeugen, sieht alt und verschlissen aus, reif für eine Generalüberholung. Die Kosten für die drei tiefen Löcher sind seit der Antragsphase des Projektes immer weiter gestiegen: Die Bohrfirmen in Europa können sich derzeit kaum retten vor Aufträgen. Und auch die Kosten für die Stahlrohre, die für die Bohrungen nötig waren, sind über die Jahre immer weiter nach oben geklettert.

    "Als das Projekt soweit war und losgehen sollte, waren die Preise doppelt so hoch. Das ist eben ein Unterschied – als man gedacht hat, man kann für ein paar Millionen Euro was bohren, dann verdoppelt sich das und es wird also sehr viel teurer."

    Die Potsdamer Geoforscher erhielten zusätzliche Finanzhilfen - vom Bundeswirtschaftsministerium, vor allem aber auch von einer Reihe großer Energieunternehmen, denen viel an dem Gelingen dieses Projektes liegt. Denn es soll den Nachweis erbringen, dass die langfristige Speicherung von CO2 in tiefen Sandsteinschichten möglich und sicher ist.

    "Der Sandstein hat 20 Prozent Porosität, und in diesen Porenraum soll das CO2 reingehen."

    Frank Schilling leitet das CO2-Sink-Projekt am Geoforschungszentrum Potsdam.

    "Es sind also keine großen Kavernen sondern es ist in einem feinen Sandstein der Porenraum, den man nutzt. Der ist im Moment mit Salzwasser gefüllt, das ist also kein Trinkwasser, sondern ein sogenanntes salines Aquifer, das wird dann auf die Seite gedrängt, so ähnlich wie beim CO2-Sprudler wird im Untergrund das CO2 reingepresst, ein Teil davon löst sich dann in dieser salzhaltigen Wasserstruktur und das andere wird dann dort als Wolke auftauchen."

    Die CO2-Wolke aber kann nicht zurück nach oben wandern, weil über ihr eine mehrere hundert Meter dicke, undurchlässige Tonschicht liegt. Schilling und seine Kollegen haben gezielt einen Bereich ausgewählt, in dem die Tonschicht die Form einer Käseglocke angenommen hat. Horizontal wird sich das CO2 nur wenige hundert Meter ausbreiten und dann in der Glockenstruktur hängen bleiben. 60.000 Tonnen Kohlendioxid wollen die Geoforscher in den kommenden beiden Jahren hier nach unten pumpen – das ist weniger als ein Promille des monatlichen CO2-Ausstoßes in Deutschland. Aber die Ergebnisse dieses Projektes werden wegweisend sein.

    Nicht weit von den Bohrlöchern entfernt haben Ben Norden und seine Kollegen ein kleines Feldlabor eingerichtet: Werkbänke mit verschiedenen Messgeräten und ein Schrank, in dem sie ein Meter lange, runde Gesteinsproben aufbewahren: Die Bohrkerne. Norden:

    "Das ist auch die Besonderheit in diesem Projekt, dass wir in einen Bereich gegangen sind, wo die Sandsteine relativ locker sind. Und da gibt es eine Technik mit der man diese Kerne nach oben geholt hat, in Kunststoffrohren, so eine Art Regenrinnenrohr muss man sich das vorstellen reingebohrt, und das wird nach oben geholt. Das hat dann wunderbar geklappt. Wir haben insgesamt etwas über 200 Meter Bohrkerne rausgeholt, wir haben einen Kerngewinn von fast 100 Prozent gehabt. Das war also von der geologischen Seite sehr erfolgreich und sehr gut verlaufen."

    Hier, inmitten von Gesteinsproben und geologischen Karten, ist Ben Norden in seiner Welt. Er kennt all die verschiedenen Schichten aus Ton und Sandstein beim Namen: Den Rupelton aus der Tertiärzeit, die Jura-Lagen in denen zu DDR-Zeiten das Erdgas gespeichert wurde, dann schließlich die Trias bei etwa 450 Metern, wo die Tonschicht beginnt, unter die er und seine Kollegen nun das CO2 pumpen werden. Auf seinem Weg durch die Erdgeschichte hat Norden noch eine zweite Reise in die Vergangenheit unternommen: Er hat alte geologische Daten eingesehen und ausgewertet, die vor etwa 40 Jahren durch Bohrungen in der DDR gewonnen wurden. Norden:

    "Das waren Sachen – Energiewirtschaft - alles Fragen, die streng geheim waren, alles Fragen, wo auch damals die Bearbeiter kaum miteinander gesprochen haben oder miteinander sprechen durften und selbst Probleme hatten zu wissen, was ist denn an der Bohrung da drüben rausgekommen, weil das alles so geheim gehandhabt worden ist. Dass es teilweise auch schwierig ist, wenn man diese Altdaten in den Fingern hat, wie passt denn das alles zusammen. Dann gibt es dann doch die eine oder andere Frage, die sich dann stellt. Wobei ich sagen muss, dass die von der geologischen Bearbeitung exzellent gemacht worden sind."

    Ein paar Schritte vom Bohrturm entfernt verlötet der Ingenieur Kay Krüger einige Adern aus einem fingerdicken schwarzen Kabel, das direkt aus dem Bohrloch herauskommt. In 600 Metern Tiefe ragen diese Adern wie kleine Tentakeln alle zehn Meter von der Bohrung nach außen und münden in jeweils einer Elektrode. Verteilt auf die 3 Bohrlöcher sind es insgesamt 45 Stellen, an denen Krüger elektrische Ströme in die Erde schicken und die Spannungsunterschiede messen kann. Daraus ermittelt er dann, mit Computerhilfe, ein dreidimensionales Widerstandsbild des Bodens – ein geoelektrisches Tomogramm.

    "Wir haben unten ja sehr porösen Sandstein, getränkt mit sehr salzigem Wasser. Der Widerstand ist sehr gering dort unten, und wenn wir jetzt CO2 einpressen, dann wird der Widerstand deutlich steigen. Und den Unterschied können wir dann auflösen und darstellen. Ergänzend dazu werden wir auch an der Erdoberfläche elektrische Dipole setzen und dort auch Strom applizieren und auch Spannungen messen. So dass wir auch den Bereich außerhalb der Bohrlöcher noch erfassen können. Wir können dann sehr schön darstellen, wie sich das CO2 dort verteilen wird."

    Ein zentrales Anliegen des "CO2 Sink"-Projektes ist es, den Weg des Kohlendioxids unter Tage zu verfolgen und abzuschätzen, ob das Treibhausgas wieder an die Oberfläche kommt. Frank Schilling sieht das größte Problem darin, dass direkt an den Bohrlöchern etwas undicht wird. Schilling:

    "Das ist eigentlich nur ein Risiko, dass wir CO2 verlieren. Das ist jetzt kein Risiko, dass jetzt Menschen gefährdet werden, weil denn die Bohrung, da weiß ich genau, wo ich injiziere, und der Bereich ist auch umzäunt und abgetrennt."

    In einer Studie zum Thema Abscheidung und Speicherung von C02 fordert das Umweltbundesamt, dass die unterirdischen CO2-Speicher nicht mehr als 0,01 Prozent ihres Inhaltes pro Jahr verlieren dürfen. Frank Schilling ist sich sicher, dass er und seine Kollegen diese Forderung ohne Problem werden erfüllen können – selbst dann, wenn Kohlendioxid in so genannte Scherbahnen eintritt, das sind Bereiche in der Nähe der käseglockenförmigen Tonschichten, in denen sich das Gestein verschoben hat. Schilling:

    "Aus den Untersuchungen, die wir bisher haben, können wir annehmen, dass da viele Tonminerale eingeschert sind, so dass sich das selbst abdichtet. Doch dort könnte theoretisch was rauskommen und wenn Sie das jetzt mal ausrechnen für Ketzin und sagen, OK, wir wissen zwar, dass da Tonminerale sind, aber wir können ja mal so tun als wäre da eine Sandsteinschicht, also etwas hochpermeables. Wir wissen zwar von der Seismik, es ist nicht so, aber es könnte ja so sein. Dann können sie ausrechnen, dass nach 50 Jahren gerade mal 10 Prozent des CO2 in das nächst höhergelegene Aquifer kommt. Aber von dort muss es dann noch an die Oberfläche kommen."

    Und auch im Falle eines Erdbebens würde sich das Gestein wieder von selbst abdichten, so dass das CO2 nicht sofort an die Oberfläche kommen kann, sagt Frank Schilling.

    "Die Gasspeicherung ist im Prinzip Stand der Technik seit vielen, vielen Jahren. Selbst in Berlin wird ein großer Gasspeicher betrieben. Der große Unterschied ist, dass Sie beim Erdgas ein toxisches Gas haben, ein brennbares Gas, ein explosives Gas, während Sie beim CO2 ein Gas verwenden, das weder brennbar noch toxisch ist, Sie können es ja auch trinken."

    Bleibt die Frage, ob die Bevölkerung das auch so sieht. Es hat in der Vergangenheit immer wieder schlimme Unfälle mit Gasen gegeben, die aus der Erde nach oben drückten. Ob die Bürger den Wissenschaftlern im Fall der CO2-Speicherung vertrauen werden, muss sich erst noch zeigen. Das CO2-arme Kraftwerk wäre nicht die erste Technologie, deren eigentliche Schwierigkeiten erst beim Einsatz in großem Maßstab auftreten.

    "Insofern erwarte ich schon Widerstände gegen solche Speicherstandorte. Ich erwarte auch Widerstände gegen die Transportinfrastruktur. Glaube aber, dass es generell nicht der Knackpunkt ist für diese Technologie","

    Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie,

    ""sondern ich denke, das ist beherrschbar, wenn man dafür sorgt, und das ist ganz wichtig, wenn man dafür sorgt, dass man die Speicherauswahl so gut, wie es eben geht, macht, wenn man ein sehr transparentes Verfahren hat, wie diese Speicher ausgewählt werden. Und wenn man vor allem die Haftungsfragen klärt. Wenn man von Anfang an ganz klar macht, wer letztendlich verantwortlich ist für CO2, das dann später mal durch irgendwelche Leckagen nach außen dringt. Das ist, glaube ich, sehr, sehr frühzeitig zu regeln und dann wird man auf eine große Akzeptanz der Speicherung treffen."

    Ein Vortrag auf der Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. Der Verbrennungsforscher und Vattenfall-Ingenieur Lars Strömberg erläutert die Funktionsweise von CO2-armen Kraftwerken. Nach seinen Ausführungen sieht er sich mit kritischen Fragen aus dem Publikum konfrontiert:

    "Wie wir in den nächsten 15 bis 20 Jahren auf 80 Prozent Regenerative kommen können. Ihre Strategie zielt doch darauf ab, die fossilen Energien zu konservieren und uns weiter davon abhängig zu halten! Ich halte das für gefährlich."

    Es ist das Hauptargument vieler Umweltverbände gegen die neue CO2-Technologie: Sie sehen in den CO2-armen Kraftwerken ein Feigenblatt der Energieversorger. Eine neue Großtechnologie, mit der die Kohlelobby ihr schlechtes Umweltimage aufpolieren will, um gleichzeitig den Umbau zu mehr regenerativer Energieerzeugung zu behindern. Doch ob dies tatsächlich geschieht, hängt sehr davon ab, wie die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen aussehen. Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie fordert darum ein langfristiges Energiekonzept der Bundesregierung bis zum Jahr 2050:

    "Dann kann man, glaube ich, relativ klar machen, dass diese Technologie CO2-Abtrennung und -Speicherung hier ihren Platz hat. Aber andere Dinge sind viel wichtiger für den Klimaschutz in Deutschland: der weitere Ausbau der Erneuerbaren Energie und auch die verstärkte Ausschöpfung der Energieeinsparpotentiale. Aus meiner Sicht wäre es das Schlimmste, wenn man, weil man denkt, man hat eine neue Energie im Köcher, jetzt die Dynamik in den anderen Bereichen erneuerbare Energien, Energieeffizienz herauslassen würde."

    Fischedick hat, gemeinsam mit anderen deutschen Systemforschern, in einer umfassenden Studie die Möglichkeiten und die Schwierigkeiten der CO2-Abscheidung und -Speicherung analysiert. Ihr Resümee: Die Technologie ist eine Notlösung, nicht mehr und nicht weniger. Fischedick:

    "Sagen wir mal als doppelter Boden. Dafür dass Dinge dann in der realen Umsetzung dann nicht so funktionieren, wie sie funktionieren sollten. Das hat man ja häufig so. Wir wissen, dass 20 bis 25 Prozent der Primärenergie heute schon eingespart werden könnte, und das hochwirtschaftlich, hochrentabel. Aber das wird aus einer Vielzahl von Gründen nicht gemacht. Und man kann sich natürlich nie sicher sein, dass man die ganzen Hemmnisse, die man hat, auch tatsächlich aus dem Weg räumen kann."

    In seiner Studie haben Fischedick und seine Kollegen verschiedene Zukunfts-Szenarien modelliert, laut denen es möglich wird, die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2050 drastisch zu reduzieren: Um bis zu 80 Prozent gegenüber dem Jahr 1990. Rein theoretisch wäre es möglich, die Energiewirtschaft binnen weniger Jahrzehnte so umzubauen, dass sie überwiegend auf erneuerbaren Energien basiert. Doch realistisch ist dieses Szenario nicht. Die Umstellung wird länger brauchen, und darum könnten uns die CO2-armen Kraftwerke etwas Luft verschaffen. Sie würden es erleichtern, ehrgeizige Klimaschutzziele zu erreichen – zumindest für einige Jahrzehnte. Schilling:

    "Wenn Sie die möglichen Speichervolumina in Deutschland sehen, dann ist das eine Technologie, wo ich das Kraftwerks-CO2 für 80 bis 100 Jahre auf dem Festland speichern kann."

    Die CO2-armen Kraftwerke können also nur eine Übergangslösung sein. Und: sie werden sehr bald Konkurrenz bekommen, prophezeit Fischedick. Er geht davon aus, dass spätestens 2020 insbesondere der Strom aus Windkraftanlagen mindestens genau so günstig sein wird. Fischedick:

    "Eigentlich ist das genau der Vergleich den man machen muss. Bisher hat man Erbsen mit Bohnen verglichen: CO2-arme Technologien, erneuerbare Energien mit CO2-reicher Technologie, fossile Kraftwerkstechnik – und jetzt vergleichen wir, zumindest, was das CO2 anbelangt gleiches mit gleichem. Und dementsprechend können wir jetzt auch einen adäquaten Kostenvergleich machen."

    Es wird also auf einen Wettbewerb der Technologien hinauslaufen. Wenn die Klimapolitik nur eindeutige und verbindliche Spielregeln festlegt, wird die Industrie von Fall zu Fall Investitionsentscheidungen treffen, die ökologisch und ökonomisch sinnvoll sind. Das CO2-arme Kraftwerk und die Speicherung unter Tage wird dann eine unter mehreren Optionen sein.

    Am Bohrturm des "CO2-Sink"-Projektes ist die Stimmung entspannt. Die drei Bohrlöcher sind fertig, alles ist nach Plan gelaufen. In den nächsten Wochen werden die Fachleute mit dem Einpressen des CO2 beginnen. Heute tauschen sie noch einmal die so genannte Spülung aus, also jene Flüssigkeit, mit der sie die Bohrung geschmiert, stabilisiert und gekühlt haben. Dazu pumpen sie eine rosa gefärbte Flüssigkeit über ein Rohrgestänge in die Tiefe und drücken die alte Spülung außerhalb des Rohrs nach oben. Aus einem armdicken Schlauch strömt bald eine schwarze Flüssigkeit in ein containergroßes Becken. Nach einer Weile färbt sie sich rosa. Maren Wandrey nimmt regelmäßig Proben und füllt sie in kleine Plastikbehälter, die sie mit einem dicken schwarzen Stift markiert. Die Mikrobiologin vom Geoforschungszentrum Potsdam ist für einen Teil der chemischen Untersuchungen zuständig, und sie interessiert sich für das Leben in 750 Metern Tiefe. Wandrey:

    "Wir wollen eigentlich einen Überblick erhalten über die mikrobielle Besiedelung in der Gesteinsformation. Das machen wir mit Molekularbiologie. Wir extrahieren die DNA erstmal und gucken dann, welchen Bakterienspezies wir die DNA zuordnen können. Dass wir überhaupt mal wissen, was da unten so lebt."

    Sobald diese Frage geklärt ist, will Maren Wandrey untersuchen, welchen Einfluss die CO2-Speicherung auf die Bakterien hat, ob sich die Populationen verändern und ob sie zum Beispiel Einfluss auf die Konsistenz des Gesteins haben. Insgesamt ist noch ungeklärt, was es für die Erde bedeutet, wenn die Menschheit einen großen Teil ihrer CO2-Produktion in sie hineinpumpt. Schilling:

    "”Ich bin ein Geowissenschaftler, komme aus der Grundlagenforschung, und wenn Sie sich jahrelang mit der Faszination der gekoppelten Prozesse in unserer Erde befasst haben und wie komplex die Dinge sind, die ineinandergreifen, und sehen, wie Leben eigentlich nur möglich ist, durch eine ganze Reihe von geologischen Prozessen, die zu Gebirgsbildung führen, die - da gehören auch Vulkanismus und ähnliches dazu – da haben Sie kein Interesse, so viel CO2 wie möglich im Untergrund zu speichern. Da haben Sie auch eine gewisse Ehrfurcht vor dem Gesamtsystem, von dem wir abhängig leben.""

    Aber die CO2-Speicherung unter Tage wird kommen. In den nächsten Wochen werden die Geoforscher in Ketzin das erste CO2 in den Boden pressen. Aller Voraussicht nach wird wenig Außergewöhnliches passieren: Das Kohlendioxid wird erst einmal dort unten bleiben, und die Energieversorger werden weiter in diese Technologie investieren. Einmal mehr wird die Menschheit versuchen, ihr Klima-Problem unter den Teppich zu kehren, warnen die einen. Doch der Pragmatiker Manfred Fischedick sieht die Angelegenheit positiv. Sie sei das kleinere Übel, geeignet - zumindest für eine gewisse Zeit - zu einer Lösung des Klimaproblems beizutragen. Fischedick:

    "Vor allem im internationalen Maßstab, weil ich das Gefühl habe, dass die Problemlage im Klimaschutzbereich gerade in den sich entwickelnden Ländern wie China, Indien aber auch in anderen Ländern so ist, dass ich mir nur schwer vorstellen kann, wie es dort ohne diese Co2-Abtrennung-Speicherung gehen soll. Wir werden 2020 in China einen Kraftwerkspark haben, der fünf Mal größer ist als das, was wir heute dort haben. Und da wäre mir wohler, wenn wir eine Technologie hätten, mit der wir das CO2 aus den Kraftwerken, die dann da stehen und auch noch einige Jahrzehnte da stehen werden, wieder herausholen könnten."

    Doppelter Boden.
    Das CO2 arme Kraftwerk nimmt Gestalt an.
    Von Jan Lublinski