Georgios Paridis steht in seiner Fabrikhalle an einer grauen Nähmaschine und schiebt meterlange Streifen von Teppichresten unter die vibrierende Nadel.
Er kettelt die ausgefransten Enden zu Sockelleisten zusammen.
"Davon haben wir sieben Maschinen hier."
Der in Griechenland geborene Textil-Unternehmer lebt seit 37 Jahren in Wuppertal. Zusammen mit zehn Mitarbeitern produziert er selbstklebende Sockelleisten und Stufenmatten. Paridis hat die griechische Staatsbürgerschaft, deshalb hat er bei der Europawahl vor knapp zwei Wochen griechische Kandidaten gewählt.
Über das Generalkonsulat in Düsseldorf musste er sich bis zwei Monate vor der Wahl dafür anmelden. Weil er aber in Deutschland lebt, hätte er noch ein weiteres Mal für einen deutschen Kandidaten seine Stimme abgeben können. Das hat er zwar nicht getan - aber es wäre möglich gewesen:
"Ich konnte das machen. Theoretisch konnte ich das machen. Nach meiner Wahl in Düsseldorf, da hätte ich auch Zeit noch einmal nach Wuppertal zu kommen, ins Wahllokal 51 reinzugehen und auch noch einen deutschen Kandidaten zu wählen."
Schwieriger Informationsaustausch
De facto müssten das griechische Innenministerium und der deutsche Bundeswahlleiter die Daten aller Personen, die sowohl hier als auch in Griechenland wählen könnten, abgleichen. In welchem Umfang das geschieht, ist allerdings unklar.
Es gibt einen Austausch mit den anderen 27 EU-Staaten. Das sei Vorschrift, betont der Sprecher des Bundeswahlleiters. Er wird über deutsche Unionsbürger informiert, die in einem anderen Land wählen wollen.
Diese werden dann aus den Verzeichnissen ihres Heimat-Wahlkreises gestrichen. Das müssten eigentlich alle Länder so machen. Doch häufig sind die Datensätze lückenhaft und werden erst sehr spät abgeglichen.
Zudem wird keine Liste von Doppelstaatlern geführt. Das EU-Wahlrecht ist kompliziert, jedes einzelne Mitglied verfährt nach eigenen Regeln und das macht auch den Informationsaustausch schwierig.
Im griechischen Konsulat in Düsseldorf begrüßt Generalkonsul Grigoris Delavekouras seine Gäste. Er hat für die in Nordrhein-Westfalen lebenden Griechen die Europawahl organisiert. Dabei haben Wahlprüfer dafür gesorgt, dass alles korrekt abläuft.
In zugenähten Säcken wurden die Stimmen per Flieger nach Griechenland zum Auszählen transportiert, auch der Wahlzettel vom Wuppertaler Unternehmer Paridis war dabei. Der Generalkonsul macht deutlich:
"Bei uns ist es so: Wer bei den griechischen Europawahlen teilnimmt, der muss eine eidesstattliche Erklärung unterschreiben, dass man nicht woanders wählen wird."
Gesamte Wahl illegitim?
Aber selbst die kann nicht verhindern, dass jemand tatsächlich doppelt wählt. Es gibt schlichtweg keine Kontrollmöglichkeiten bei Doppelstaatlern.
Und das war der EU auch schon längst bekannt. Der CDU-Politiker Axel Voss sitzt seit 2009 im Europäischen Parlament. Er räumt ein:
"Wir haben es leider in der letzten Legislaturperiode nicht geschafft, ein entsprechendes europäisches Wahlrecht auf den Weg zu bringen, das überall für Einheitlichkeit auch entsprechend sorgt. So wird man eben immer wieder wählen, auf der Grundlage der nationalen Wahlmöglichkeiten und das bietet natürlich oftmals Lücken oder ist nicht ganz perfekt für eine europäische Wahl dann ausgerichtet."
Viele Menschen in Europa hätten daher theoretisch zweimal wählen können, doch wie viele es tatsächlich gemacht haben, weiß keiner. In Deutschland ist die Rede von knapp einer Million Wahlberechtigten mit zwei EU-Pässen. Der Protest war groß, der ehemalige Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier stellte sogar die Legitimität der gesamten Europawahl infrage.
Auch der Staatsrechtler Bernd Grzeszick hält diese Kritik für berechtigt, an eine Wiederholung der Wahl glaubt er aber nicht:
"Bisher haben wir definitiv, so was man liest und weiß, Kenntnis von einem Fall einer doppelten Stimmabgabe. Das ist ein Wahlfehler, weil nur einmal die Stimme abgegeben werden darf einer Person. Allerdings ist auch klar, dass dieser Fehler sehr wahrscheinlich keine Relevanz hat für die Mandatsverteilung und deswegen sich auf die Wahl im Ergebnis selber nicht ausgewirkt hat."
Sollte dennoch herauskommen, dass Millionen EU-Bürger doppelt gewählt und somit das Wahlergebnis entscheidend beeinflusst haben, dann stünde tatsächlich die Rechtmäßigkeit der Wahl infrage. Doch das bezweifelt der Staatsrechtler:
"Ich würde jetzt ungeprüft sagen, dass sie wahrscheinlich eine fehlerhafte Stimmabgabe von mindestens 50 - oder 100.000 Personen bräuchten, um eine Mandatsrelevanz zu haben, und auch dann ist die gesamte Wahl nicht aufzuheben, sondern nur sozusagen diese Mandatsvergabe."
Einheitliche Regeln für ganz Europa?
Doch wie könnte die Europäische Union es fürs nächste Mal in fünf Jahren besser machen? Es gäbe beispielsweise die Möglichkeit ein europäisches Melderegister ins Leben zu rufen, schlägt der EU-Parlamentsabgeordnete Axel Voss vor. Doch wie das genau aussehen soll, weiß auch er nicht:
"Das ist aber dann natürlich ein schwierigerer Prozess und auch da muss man eben sehen, ob man das technisch, technologisch hinbekommt auch hier so einen Abgleich ohne großen Aufwand betreiben zu können."
Voss verspricht: Er will das Problem gleich anpacken und in der nächsten Legislaturperiode klare Regeln für die kommende Europawahl schaffen. Möglich wäre auch ein einheitliches Europäisches Wahlrecht - doch das könnte schwer durchzusetzen sein.
In Wuppertal hat der Teppichboden-Verarbeiter Giorgos Paridis einen ganz einfachen Vorschlag:
"Zum Beispiel in Indien: Man bekommt an den Finger eine blaue Tinte. Gehst du wählen, da guckt ein Herr: Wenn du den Finger mit blauer Tinte hast, dann hast du gewählt, sagt er. Dann brauchst du nicht noch einmal. Ist ein bisschen primitiv, aber die müssen auch was machen. Vertrauen ist gut, aber Kontrolle ist besser."