Am Ende war die Erleichterung groß. Das Risiko hatte sich ausgezahlt. Chris Froome gewinnt nach der Tour de France auch die Vuelta a Espana. Ein ganz seltenes Unterfangen. Es gelang bisher nur Bernard Hinault und Jacques Anquetil. Und die beiden hatten bessere Voraussetzungen. Zu ihren Zeiten wurde die Vuelta im Frühjahr ausgetragen. Das bedeutet mehrere Monate Zeit zur Erholung bis zum Tourstart. Froome jedoch hatte nur drei Wochen zwischen beiden Rennen.
Er wollte das Double aber unbedingt, wie er zugab. "Ich denke, letztes Jahr wurde ich nur taktisch ausgetrickst bei der Vuelta. Das gab mir viel Motivation. Und es zeigte mir, dass es möglich ist, das Double zu gewinnen", sagte Froome. Dafür pokerte er sogar im Hinblick auf die Tour. "Dieses Jahr habe ich dann die Saison anders strukturiert. Ich hatte sehr wenige Rennen im ersten Teil. Ich kam da etwas unter Form bei der Tour an. Meinen Beinen fehlte die Rennhärte. Aber das half mir natürlich bei den drei Wochen hier bei der Vuelta", meinte er.
Saisonplanung erklärt Schwäche zu Tour-Beginn
Diese Saisonplanung erklärt, warum Froome zu Beginn der Tour nicht so souverän wie sonst wirkte. Für die in Deutschland, Belgien und Frankreich versammelte Konkurrenz reichte dies aber allemal - was nicht unbedingt für die Vorbereitung und erst recht nicht das taktische Geschick der Rivalen spricht. In Spanien wurde er stärker gefordert.
Man vernahm von ihm Worte, die man aus Frankreich so nicht gewohnt ist. "Das war ein echtes Höllenfinale. Und das nach drei Wochen Vollgas-Rennen. Heute konnte alles Mögliche passieren. Eine kurze Etappe nur, aber sehr aggressiv. Viele Berge, viele schwierige nasse Abfahrten", sagte er nach dem Ritt auf den Angliru am Samstag.
Seinem Matchplan zufolge wollte er da längst größeren Vorsprung gehabt haben als nur gut eine Minute auf den Zweitplatzierten Nibali. Nibalis Trainer Paolo Slongo über Froome: "Er ist in richtig guter Form bei der Vuelta angekommen. Meiner Meinung wollte er größere Abstände schon in den ersten zehn Tagen herausholen und dabei mehr seine gute Verfassung von der Tour nutzen. Er hat das ja auch zum Teil gemacht, aber, meiner Ansicht nach, nicht so, wie er wollte."
Froome wollte Soll und Extra
Die Vuelta blieb eng für Froome. Und superhart. Ein brutales Rennen, wie er selbst sagt. Und eines, das ihm offenbar mehr ans Herz gewachsen ist als die Tour, trotz seiner Erfolge dort. Auch das erklärt, warum Froome in diesem Jahr mit seiner Vorbereitung herumexperimentierte. Er wollte das Soll schaffen - den Toursieg - und auf das Extra nicht verzichten: den Triumph in Spanien. Weil das klappte, zieht man auch bei den konkurrierenden Rennställen den Hut.
"Zwei Rundfahrten in einer Saison zu fahren ist heutzutage wirklich sehr schwierig. Wenn man sich die anschaut, die von der Tour hergekommen sind, dann ist jetzt am Ende nur noch Froome konkurrenzfähig. Die anderen: Bardet ist geplatzt, bei Chaves läuft es nicht, Aru ist so lala", sagt Alexandr Shefer, sportlicher Leiter vom "cosi cosi" Aru.
Bessere Chancen haben da, zumindest auf dem Papier, die Fahrer, die vom Giro kommen, aber die Tour auslassen. Nibalis Coach Slongo noch einmal mit den Lehrbuchweisheiten: "Wer die Tour de France gefahren ist, hat in der letzten Woche hier einen physischen Abfall. Tour und Vuelta sind nah beieinander. Wer hingegen den Giro gemacht hat, wie Nibali und Zakarin, hat mehr Zeit, um sich zu erholen und gute Form aufzubauen."
Die Leistungen hinterfragte niemand
Tja, Nibali und Zakarin fuhren immerhin auf die Plätze 2 und 3, und bestätigten wenigstens in Teilen die Theorie. Besser, als es die Trainingslehre prophezeit, war aber wieder einmal Chris Froome. Ob es dabei mit rechten Dingen zugeht, wurde bei dieser Spanienrundfahrt von niemandem hinterfragt. Froome fuhr ja auch, trotz seines historischen Coups, im medialen Windschatten des Alberto Contador. Der beendete mit einem fulminanten Etappensieg auf dem Angliru seine Karriere.
"Un ano mas" - noch ein Jahr mehr, wie für Contador forderte aber niemand der Zuschauer für den Briten. Immerhin musste Froome in Spanien richtig kämpfen. Er verlor auch zwischendurch Zeit auf seine Rivalen. Die kleine Schwäche in der Mitte der dritten Woche überwand er am Angliru aber in beeindruckendem Maße. Und so klatschte dann auch der überwiegend spanisch besetzte Pressesaal Beifall zum Double.
Ein dünner Applaus, gewiss. Sehr viel Hände gab es auch gar nicht in der spärlich besetzten Turnhalle am Fuße des Angliru. Aber leistungsmäßig ist Froome doch ein richtig Großer und verdient Respekt.