Der kanadische Bestsellerautor Douglas Coupland, der nach seinem ersten Buch "Generation X" schnell als Prophet der postmodernen Mediengesellschaft bejubelt wurde, genießt unter Kritikern inzwischen nicht mehr den allerbesten Ruf. Das mag zum einen daran liegen, dass sich Coupland nicht scheut, tiefernste, philosophische Fragen im Plauderton abzuhandeln. Zum zweiten wirken die Figuren seiner Thesenromane oft nicht sehr lebensecht. Und zum dritten hat Coupland, ein Nachfahre bibelfester Prediger, dann auch noch ein ausgeprägtes Faible für die Apokalypse. Das kommt bei manchen Kritikern nicht gut an. War aber tatsächlich auch schon in "Generation X"spürbar, wo die jugendlichen Konsumverweigerer Andy, Dag und Claire nicht nur über ihre McJobs klagten, sondern sich nach Feierabend auch gern Geschichten vom Weltuntergang erzählten. In Couplands Nachfolgesatire "Girlfriend in a Coma" von 1996 wurde die Menschheit dann von einem rätselhaften Müdigkeitsanfall hinweggerafft. In "Generation A"von 2009 wiederum stand nach dem Bienensterben ebenfalls das Ende von Homo sapiens unmittelbar bevor. Und nun, im neuesten und mittlerweile vierzehnten Buch des Vielschreibers aus Vancouver, "Player One", auf Deutsch: "Spieler Eins", regnet es abermals Feuer vom Himmel und ist der Big Bang einmal mehr ganz nah.
Kammerspiel statt Apokalypse
Nur, dass der mittlerweile zweiundfünfzigjährige Coupland sein Endzeit-Drama diesmal deutlich weniger spektakulär inszeniert. Las sich der Vorgängerroman "Generation A"noch wie ein Armageddon-Hollywood-Schocker, inklusive einer global agierenden Seuchenpolizei und skrupelloser Wissenschaftler, beschränkt sich der Visionär diesmal auf ein Kammerspiel mit vier Hauptpersonen. Diese vier - zwei Männer, zwei Frauen - begegnen sich zufällig in einer Flughafenbar in Toronto. Da ist zum ersten der beruflich gescheiterte Barkeeper Rick, ein Ex-Alkoholiker Ende 30, der viel Geld für die Ratschläge eines Optimierungsgurus ausgibt, um sein Leben wieder in den Griff zu kriegen. Da ist zum zweiten der ehemalige Provinz-Pastor Luke, der seinen Glauben verloren hat und mit 20.000 Dollar aus der Gemeindekasse durchgebrannt ist. Neben Luke an der Theke sitzt wiederum die makellos schöne, aber emotional völlig gestörte Teenager-Sexbombe Rachel, die unbedingt schwanger werden möchte, um ihrem Vater zu beweisen, dass sie ein menschliches Wesen ist. Und schließlich gibt es in Couplands Cocktailbar der einsamen Herzen auch noch die vierzigjährige Karen, die auf einen Verehrer wartet, den sie bislang nur aus dem Internet kennt. Während des Wartens gehen Karen dann Gedanken wie diese durch den Kopf:
Karen denkt: Wir Menschen sind damit geschlagen, Gefangene der Zeit zu sein, dazu verflucht, unser Leben als Abfolge von Ereignissen zu interpretieren, als Story, und wenn wir nicht auf die Story kommen, die zu uns passt, fühlen wir uns irgendwie verloren. (...) Was weiß sie von Warren? Nur das, was er selbst beliebte, ihr mitzuteilen. (...) In E-Mails, auf die Sie ihm ebenfalls E-Mails schrieb und in denen sie Warren von ihrem Job, ihrer Tochter, ihrem Ex erzählt hat und ... Nach diesen drei Knallerthemen, was soll da noch kommen? Wir sind schnell mit allem durch, was uns individuell macht, denkt Karen; wir alle haben viel mehr miteinander gemein als wir nicht miteinander gemein haben.
Ein Roman in fünf Stunden
Zwar hatten Couplands Romane auch schon früher etwas von soziologisch-philosophischen Betrachtungen an sich. Doch in"Spieler Eins" hört man die theoretischen Leitsätze nun besonders deutlich heraus. Kein Wunder. Basiert das Buch doch auf einer Auftragsarbeit für die "Massey Lectures". Das ist eine berühmte Vortragsreihe an der Universität Toronto, in der Intellektuelle verschiedener Disziplinen alljährlich über aktuelle Gesellschaftsfragen sprechen - und für die auch schon so unterschiedliche Autoren wie Willy Brandt, Doris Lessing, Noam Chomsky oder Margaret Atwood geschrieben haben.
2010 fiel die Wahl nun auf Douglas Coupland. Er sollte für die Massey Gesellschaft die Frage nach der Zukunft des Menschen im 21. Jahrhundert erörtern, hatte dann aber keine Lust, dies in Form von fünf jeweils einstündigen Vorlesungen zu tun. Also fragte er, ob er seine Überlegungen nicht auch als einen "Roman in fünf Stunden" aufschreiben dürfe, wie "Spieler Eins" jetzt im Untertitel heißt. Er durfte. Und so ist aus seiner Vortragsreihe eine Endzeit-Parabel geworden, in der nicht die auf fünf Stunden limitierte Handlung, sondern die Gespräche und Reflexionen der vier Hauptfiguren im Vordergrund stehen. Die nämlich bleiben im Buch erstaunlich cool und geradezu unbeeindruckt vom apokalyptischen Chaos, das schon bald um sie herum ausbricht. Gerade noch rechtzeitig können die vier die Nachricht aufschnappen, dass der Ölpreis auf 900 Dollar pro Barrel gestiegen ist. Da werden auch schon die Bildschirme schwarz, ereignen sich Explosionen auf dem Flughafengelände und wehen giftige Chemiewolken vom Himmel herab. Zudem hat sich ein Heckenschütze auf dem Dach verschanzt, der scheinbar wahllos Menschen erschießt. Kurzum: Coupland entwirft in seinem neuen Buch einmal mehr das Klischeebild eines Weltuntergangs, wie ihn Hollywood nicht anders inszenieren würde.
Kulisse für philosophische Diskurse
Doch er lässt sein Bilderbuch-Inferno dann einigermaßen kläglich verpuffen, indem er es nur als Kulisse für die philosophischen Diskurse nutzt. Denn während neben ihnen die Welt untergeht, beschäftigen sich Rick, Luke, Rachel und Karen in der verbarrikadierten Flughafenbar hauptsächlich mit Fragen nach dem Sinn des Lebens, der Liebe, der Zeit. Oder auch - wie der Ex-Pastor Luke - der Sünde:
Magere sieben Todsünden, findet Luke, sind schon beinahe charmant und ganz gewiss nicht auf der Höhe unseres einundzwanzigsten Jahrhunderts. Er denkt, dass die Sündenliste dringend aktualisiert gehört, und führt im Geiste ein Register zeitgenössischer Sünden, die bei den Religionen ruhig mal in die engere Wahl kommen sollten: sträfliche Toleranz gegenüber Informationsüberflutung; die Vernachlässigung demokratischer Prinzipien; die strikte Weigerung aus der Geschichte zu lernen, die Gleichsetzung von Konsum mit Kreativität; die Ablehnung kritischen Denkens; der Glaube, ein Spektakel repräsentiere die Wirklichkeit; Prominentenverehrung als Ersatzleben. Und dergleichen mehr.
Nicht nur Glaubenszweifler Luke tut sich an dieser Stelle schwer, eine spezifisch menschliche Sinnkategorie wie die Sünde klar zu definieren. Auch andere einstige Identitätsgaranten des Humanen wie Liebe, Zeit oder Erfolg erweisen sich in "Spieler Eins" als flüchtig und letztlich undefinierbar, nachdem im säkularen und digital vernetzten 21. Jahrhundert alle hergebrachten Werte ihre Verbindlichkeit verloren haben. Entsprechend können Couplands vier vor sich hin räsonierende Protagonisten auch erst recht nicht jene Grundsatzfrage beantworten, die hinter all’ ihren Überlegungen steht. Nämlich die Frage, was den Menschen im Internetzeitalter eigentlich noch zum Menschen macht. Beziehungsweise: Ob es in der technologisch aufgerüsteten Zukunft für ihn und sein Konzept eines individuellen Lebens überhaupt noch Platz und Verwendung gibt. Oder, wie Rachel, die interessanteste Figur des Buches, einmal resümiert:
Ich erinnere mich noch ein wenig an das Leben vor dem 21. Jahrhundert, und besonders an den nach 9/11 noch verstärkten Gefühlseindruck, die Zeit habe aufgehört, sich wie Zeit anzufühlen. (...) Das Leben fühlte sich nicht mehr wie ein Leben an - zumindest redeten die Menschen immer öfter davon, dass sie kein Leben mehr hätten. Wie war das gemeint? Die Informationsüberflutung bewirkte bei den Menschen eine krisenhafte Wahrnehmung des eigenen Lebens. (...) Die Crux scheint zu sein, dass sich unsere Leben nicht mehr wie Geschichten lesen lassen. Und wenn wir kein Leben mehr führen, das wie eine Geschichte ist, was ist dann aus unserem Leben geworden? Doch das eigene Leben wie eine Geschichte zu betrachten, wirkt wie ein weiteres nostalgisches Relikt. (...) In der Neuen Normalität müssen wir uns von der Vorstellung unserer Wichtigkeit als Individuen frei machen.
Literarische Hommage an Marshall McLuhan
Douglas Coupland hat nie einen Hehl daraus gemacht, wie sehr er den 1980 verstorbenen Medientheoretiker Marshall McLuhan verehrt. Schon seinen apokalyptischen Vorgänger Generation A konnte man als literarische Hommage auf den geistigen Ziehvater lesen. "Spieler Eins" strotzt nun ebenfalls vor McLuhan-Zitaten. Etwa dort, wo Luke und Rachel gleich beide die "Informationsüberflutung" für die Identitätskrise vieler Zeitgenossen verantwortlich machen. Hier hat man natürlich sofort den eigenwilligen Medienguru aus Toronto im Kopf, der früh den Siegeszug des Internets voraussah und bereits 1962 hellsichtig warnte:
Weil Information zum größten Geschäft der Welt wird, wissen die Datenbanken mehr über einzelne Menschen als sie selbst. Je mehr die Datenbanken über jeden Einzelnen von uns aufzeichnen, desto weniger existieren wir.
Kann es einen da noch überraschen, dass Coupland zeitgleich zu "Spieler Eins" 2010 auch eine McLuhan-Biografie veröffentlicht hat, die 2011 in deutscher Übersetzung erschien?! Und: Dass der entscheidende Kniff seines neuen Romans nun gerade darin besteht, dass er McLuhans Schreckensvision von einer Allmacht der Datenbanken hierin sozusagen konkret Gestalt gibt?!
Neben seinen vier Hauptfiguren Rick, Luke, Rachel und Karen lässt Coupland im Roman nämlich auch noch eine fünfte, eine virtuelle Stimme zu Wort kommen, den titelspendenden "Spieler Eins". Dabei handelt es sich um die Computerspielfigur der autistischen Rachel, die sich bezeichnenderweise mit einem Joystick vor dem PC am wohlsten fühlt. Rachel?! Wer war das noch mal gleich in Couplands philosophierendem Endzeit-Quartett? Richtig. Das war jene kühl-sterile Teenie-Schönheit, die auf den ersten Blick wie eine Blondine aus Fleisch und Blut wirkt, sich auf den zweiten aber als sexy aufgetunter Androide entpuppt. Leidet Rachel doch unter einer ganzen "Liste von Hirnanomalien", wie es heißt. Angefangen bei der Unfähigkeit, Gesichter auseinanderzuhalten über einen auffälligen Mangel an Humor und Empathie - bis hin zum Unvermögen, Witze, Metaphern oder Gedichte zu verstehen.
Der Wunsch der Automatenfrau
Um überhaupt mit anderen Menschen kommunizieren zu können, musste Rachel, so hören wir, extra ein "Kompetenztraining" absolvieren. Mathematisch und technisch hingegen scheint sie hochbegabt zu sein. Mühelos bringt sie den alten Computer der Flughafenbar zum Laufen - und kann minutenlang die Ziffernfolge der Zahl Pi herunterrattern. Kurzum: Rachel gleicht eher einem Roboter als einem menschlichen Wesen. Und es gehört zur bitterbösen Pointe von Couplands Thesenroman, dass ausgerechnet diese Automatenfrau sich nichts sehnlicher wünscht, als ein gewöhnlicher Mensch zu sein:
Als Kind hat Rachel versucht, einen Menschen aus sich zu machen, und recherchiert, was ihn von allen anderen Lebewesen unterscheidet, aber nicht mehr herausgefunden, als dass nur Menschen Kunst und Musik hervorbringen. (...) Außerdem machen nur Menschen Witze. (....) Musik versteht Rachel nicht, denn es sind doch nur Geräusche; sie versteht auch Malerei nicht, denn das ist nur Geklekse und Gekritzel (...). Genauso unverständlich ist ihr, was man unter Witz versteht (...) Nun hat sich Rachel das Ziel gesteckt, Kinder zur Welt zu bringen und auf diese Art ihren Wert als menschliches Wesen zu beweisen. Sie sieht im Gebären einen zutiefst menschlichen Akt, und sie würde es mit dem Menschsein gerne mal versuchen. Rachel ist sich nicht sicher, warum sie kein Mensch werden durfte, aber jetzt sieht sie ihre Chance, etwas daran zu ändern.
Mit der Figur Rachel befinden wir uns in "Spieler Eins"genau an der Schnittstelle von Mensch und Maschine. Und bezeichnenderweise hat Couplands Roboterfrau weder einen Sinn für Kunst noch für Humor noch für Sprache noch für sonst irgendetwas, was aus dem Menschen überhaupt erst eine unverwechselbare Persönlichkeit macht. Das Einzige, was Rachel am Mensch-Sein interessiert, ist stattdessen seine völlig ent-individualisierte Fortpflanzungsfähigkeit. Nur auf den sexuellen Akt des Schwanger-Werdens kommt es ihr an, ganz ohne Gefühl. Auch ohne jedes Muttergefühl. Denn Babygeschrei, heißt es an anderer Stelle, mag Rachel gar nicht. Der Mensch ist für Couplands weiblichen Androiden also zur rein funktionalen Reproduktionsmaschine geschrumpft. Was für eine deprimierende und eigentlich zutiefst erschreckende Vorstellung!
Reproduktion als Menschlichkeitsbeweis
Doch so negativ und unheilvoll Rachels Ausblick auf den homo sapiens als austauschbare Karnickel-Existenz auch klingen mag: So vergnüglich liest sich, was Coupland in seinem Roman daraus macht. Schickt er seine reproduktionswillige Automatenlady doch noch vor dem großen Crash in der Flughafenbar auf Männerfang, wo Rachel dann ausgerechnet den verzweifelten Luke anspricht. Der erscheint ihr als Sexualpartner geeignet, weil Luke mit dem geklauten Geld nur so um sich wirft, also solvent genug für die Aufzucht von Kindern zu sein scheint. Das Flirtgespräch zwischen beiden aber muss trotzdem, wenn auch amüsant scheitern, weil software-generiertes und humanes Balzverhalten sich als inkompatibel erweisen:
"Sind Sie alleinstehend oder verheiratet, Luke?", fragt Rachel.
Luke erwidert: "Ich bin alleinstehend." Er weiß aber nicht, ob es die richtige Antwort ist, um Rachel abzuschleppen. (...) Single sein bedeutet Einsamkeit, und Einsamkeit ist unheimlich, denkt Luke. (...)
Er fragt:"Und was ist mit Ihnen? Alleinstehend?"
"Ja", antwortet Rachel."Unregelmäßigkeiten in der Insula, im singulären Kortex und im Gyros frontalis machen mich unfähig zu dem, was neurotypische Menschen wie Sie eine ‚Beziehung’ nennen. (...)
"Was Sie nicht sagen."
"Ja, aber das mag sich auch ändern", fährt Rachel fort. "Das Gehirn produziert an jedem Tag seines Lebens zehntausend neue Zellen, aber wenn man sie nicht nutzt, gehen sie wieder in der Gehirnmasse auf."
"Geschieht ihnen recht", sagt Luke. "Na schön, Rachel. Was ist es denn, das Sie im Leben ersehnen oder anstreben?"
"Ich würde mich gerne von einem Alphamännchen schwängern lassen, um meinem Vater zu beweisen, dass ich sehr wohl ein menschliches Wesen bin und kein Monster oder Alien", antwortet Rachel.
Luke starrt sie an. "Darf ich Ihnen noch einen Drink bestellen?"
Wie schon einigen seiner vorherigen Bücher haben englischsprachige Kritiker nun auch Couplands neuem Apokalypse-Roman bereits vorgeworfen, dass die krisengeschüttelten Charaktere darin nicht sehr glaubhaft wirken. Das ist zwar nicht falsch beobachtet, geht am entscheidenden Clou von "Spieler Eins"aber völlig vorbei, weil diese Beurteilung von einer grundfalschen Perspektive ausgeht. Denn wer erzählt uns hier eigentlich vom Weltuntergang am Flughafen Toronto? Wer ist eigentlich das Mastermind hinter der Geschichte? Das scheinen der Kritiker vom britischen "Telegraph" und vom kanadischen "The Globe and the Mail" glatt überlesen oder verdrängt zu haben. Dabei wird es früh von Rachel gesagt. Niemand anderer als ihre virtuelle Spielfigur, eben Spieler Eins, verrät sie, besitze den "Überblick über Welt und Zeit".
User statt Leser
Mit anderen Worten: Der Urheber und Erzähler dieses Romans, das zumindest suggeriert Coupland, ist gar kein Mensch, sondern ein Computer. Von daher wirkt es nicht unbedingt sinnvoll, dessen vier Charaktere nach humanpsychologischen Maßstäben zu beurteilen. Auch das Spiel mit Klischees und Zitaten im Buch, die nicht nur von McLuhan, sondern teilweise auch wörtlich aus anderen Coupland-Romanen stammen, könnte vom Plot-Programm Spieler Eins beabsichtigt sein. Dessen Software scheint außerdem ein paar typische Erzählkniffe abgespeichert zu haben, wie man sie aus TV-Serien kennt: angefangen bei der spannungssteigernden Countdown-Konstruktion bis hin zum vorausschauenden Teaser. Um seinen Leser, Pardon: "User", bei der Stange zu halten, meldet sich Spieler Eins nämlich regelmäßig mit Ausblicken auf den Fortgang der Handlung zu Wort:
Hier ist Spieler Eins mit eurem Story-Upgrade. Ich kann mir vorstellen, dass ihr als User dieser Story neugierig seid und euch fragt, wie die nächsten Sequenzen aussehen werden. Darum will ich sie euch nicht vorenthalten.
Der Computer als allwissender Erzähler, der alle Fäden in der Hand hält und nach Belieben vor- und zurückspulen kann. Der sogenannte "Roman" als futuristisches Apokalypse-Spiel, das den Titel "Der Abschied vom Menschen" tragen könnte. Douglas Coupland hat mit "Spieler Eins" ein ziemlich raffiniertes Buch geschrieben, das leicht lesbar daherkommt, tatsächlich aber sehr viel gewitzter und tiefgründiger ist, als es zunächst den Anschein hat. Denn man könnte oder muss es wahrscheinlich sogar als Computerspiel lesen. Das Endzeit-Drama des Menschen also quasi als Playstation, gewissermaßen in einer Zukunftsversion 10. Und wie der finale Countdown dann letztlich für die Spielfiguren Rachel, Karen und Co. ausgeht, soll an dieser Stelle gar nicht verraten werden.
Ist die Zeit des Menschen auf Erden bereits abgelaufen?
Bleibt aber doch die Abschlussfrage: Für wen ist dieses Spiel "Spieler Eins" eigentlich gedacht? Sind das noch Menschen? Oder vielleicht doch schon eher post-menschliche Wesen, die sich noch einmal am letzten Gefecht von Homo sapiens ergötzen sollen? Spätestens bei diesem Gedanken fröstelt es einen. Zumal ein dem Roman angehängtes Glossar mit Zukunftsbegriffen dem Leser ebenfalls andeutet, dass die Zeit des Menschen auf Erden womöglich schon abgelaufen ist. Taucht darin doch nicht nur der Begriff "post-menschlich" auf, sondern werden auch Ausdrücke wie "transhuman" oder "Web-Fühligkeits-Theorie" erklärt:
Transhuman: Jede vom Menschen ersonnene Technologie, die am Ende intelligenter ist als er.
Web-Fühligkeits-Theorie: Die Überzeugung, dass global vernetzte Computersysteme eines Tages schlagartig eine neue Form von überragendem, post-menschlichem Empfindungsvermögen zeigen werden.
Gehört die Zukunft also den emotional intelligenten Robotern? Diese Frage muss auch bei Coupland natürlich unbeantwortet bleiben. Sein allwissender High-Tech-Erzähler Spieler Einsaber lässt keinen Zweifel daran, dass der Mensch, so wie wir ihn kennen, ein Auslaufmodell ist. Und wer weiß, auch das suggeriert diese freche Zukunftsparabel, vielleicht ist unsere Apokalypse ja gar nicht mehr so fern, wie wir gemeinhin denken. Zumindest sieht die Zukunft in "Spieler Eins" mit ihren iPhones, Patchwork-Familien, Fernsehgeräten, Internetforen, Optimierungspredigern, Oliver-Sacks-Büchern und George Clooney-Spots unserer Gegenwart zum Verwechseln ähnlich. Vielleicht also haben wir unseren Untergang einfach bloß noch nicht bemerkt, weil er sich schleichend und ganz ohne Endzeitkrawall vollzieht.
Douglas Coupland: "Spieler Eins. Roman in fünf Stunden." Aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Tropen Verlag (Klett-Cotta), 246 Seiten, 19,95 Euro.