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Drachenköpfe und Runenschrift

Die Norweger sind besonders stolz auf ihre Stabkirchen: hölzerne Monumente aus der Zeit der Christianisierung Skandinaviens vom 10. bis zum 12. Jahrhundert. Die hölzernen Kirchengebäude, deren Verzierungen auf die Wikingerzeit zurückgehen, gehören heute zum Weltkulturerbe der UNESCO.

Von Wolfram Nagel |
    "Diese Heddaler Stabkirche ist die größte der 28 noch erhaltenen Stabkirchen Norwegens. Und sie wird noch benutzt als unsere Gemeindekirche in Sommerzeit."

    Erzählt die Lokalhistorikerin Liv Strand Hegna über die gut 800 Jahre alte komplett aus Holz gebaute Kirche ganz in der Nähe des berühmten Telemarkkanals, an der Fernstraße von Haugesund nach Oslo. Die Stabkirche trägt auch den Beinamen hölzerne Kathedrale von Heddal.

    "Der älteste Teil, das ist der heutige Chorraum. Das war die erste Kirche, 1150 ungefähr gebaut. Hundert Jahre später hat man sie so ausgebaut, wie sie heute ist. Und an der Wand draußen im Rundgang gibt’s eine kleine Runeninschrift. Diese erzählt, dass die Kirche der Jungfrau Maria geweiht ist. Das war eine Marienkirche in katholischer Zeit, heute ist sie lutherisch, evangelisch."

    Der Name Stabkirche oder Stavkyrkje leitet sich von den Stämmen aus Kiefernholz ab, mit denen das Kirchenschiff umbaut ist. Gespundete Bretter bilden die Außenwände. Das mit Holzschindeln gedeckte mehrstufige Dach besteht aus übereinander gesetzten Dachreitern. Die Turmspitzen werden von hölzernen Kreuzen gekrönt. Aus den Firstenden ragen Drachenköpfe. Typisch für norwegische Stabkirchen ist ein Umgang, der den eigentlichen Kirchenraum vor Regen und Schnee schützt.

    "Es wurde auch als Waffenhaus benutzt, die Äxte und Waffen musste man draußen ablegen. Und die Leprakranken mussten draußen im Rundgang stehen bleiben und ihnen wurde das Abendmahl durch eine kleine Öffnung rechts vom Altar ausgereicht. Hier waren viele Leprakranke in ganz Skandinavien. Die Seefahrer, die Wikinger, hatten es mitgebracht."

    Überhaupt erinnern die reiche Ornamentik und auch die äußere Form der Stabkirchen an Wikingerschiffe. Die meist reich verzierten Mittelstützen stehen wie Schiffsmasten im Raum. Drachen, ineinander verschlungene Pflanzen und Schlangen, Fabeltiere und Fratzen schmücken das Eingangsportal und auch den Innenraum. Selbst der aus einem Stück geschnitzte mächtige Bischofsstuhl der Stabkirche von Heddal trägt heidnische Symbole der nordischen Sagenwelt.

    "Aus der Jovenes Saga würden wir in Norwegen sagen, es ist dieselbe Sage wie die Nibelungen. So in der Mitte glaubt man ist die Walküre Brunhilde, Siegfried und Gunter. Und an der Seite können wir Drachenköpfe sehen. Und Schlangenköpfe ragen hervor."

    Selbst Abbildungen des Gottes Odin aus dem altnordischen Versepos Edda finden sich in einigen Stabkirchen. Erst im 10. und 11. Jahrhundert setzte sich das Christentum Norwegen gegen die heidnischen Kulte durch, vor allem unter König Haakon I. Für die vielen neu zu bauenden Kirchen verwendeten die Missionare das Material, von dem genügend vorhanden war und mit dessen Bearbeitung sich die Bewohner bestens auskannten, eben Holz. Schließlich waren die Wikinger geübte Schiffsbauer. Deren Götter und Geister fanden in den Stabkirchen einen neuen Platz.

    "Die Christianisierung des Landes hat etwa 200 bis 250 Jahre gedauert. Es gab damals viele solcher Kirchen. All die Tierdarstellungen und Masken stammen aus der Wikingerzeit. Es ist nicht immer ganz klar, welche Botschaft sie vermitteln sollen."

    Aber vermutlich sollten die Drachen böse Geister abwehren, sagt der evangelische Theologe Terje Nyvoll-Todnem. Mehr als 1000 Stabkirchen soll es vor allem in Süd-Norwegen und auch in Schweden gegeben haben. Viele gingen bereits während einer Pestepidemie im 14. Jahrhundert verloren oder aber während der Reformation im 16. Jahrhundert. Die Stabkirche von Heddal blieb zwar erhalten, aber die zwölf Apostel im Chorraum wurden übermalt. 1536 führte der überzeugte Lutheraner-König Christian der III. die Reformation in Norwegen und Dänemark ein.

    "Als die Lutheraner damals kamen, übertünchten sie alles Katholische. Beliebt war die sogenannte Rosenmalerei. Ornamente aus Akanthusblättern und Blumen. Heute sind die Apostel wieder zu sehen. Sie wurden 1954 frei gelegt, als man die Kirche vollständig restaurierte. Und so kann man in der Stabkirche von Heddal protestantische Elemente neben den Heiligen des katholischen Zeitalters sehen."

    Zahlreiche Stabkirchen fielen im 19. Jahrhundert Neubauten oder Modernisierungen zum Opfer. Nur wenige Norweger wie der Maler Johann Christian Clausen Dahl erkannten deren Wert und versuchten wenigstens ein paar dieser mittelalterlichen Monumente zu retten. So gelangte 1841 beispielsweise auch die Stabkirche vom mittelnorwegischen Wangsee nach Krummhübel im heute polnischen Karpacz.

    Unter Vermittlung Professor Dahls, der an der Dresdner Kunstakademie lehrte, erwarb der preußische König Friedrich Wilhelm IV. den hölzernen Sakralbau und ließ ihn im Riesengebirge wiedererrichten. Die letzten 28 norwegischen Stabkirchen – ob in Hopperstad, Rödal, Uvdal, Hegge oder eben in Heddal – gelten heute als die bedeutendsten Zeugnisse der norwegischen Geschichte, neben den legendären Wikingerschiffen und der gotischen Kathedrale von Trondheim.