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Drecksau

Irvine Welsh, Verfasser der sogenannten Kultbücher "Trainspotting" und "Ecstasy", ist nun wieder mit einer neuen Veröffentlichung in Deutschland hervorgetreten mit dem knackig-knappen Titel "Drecksau". Und wo "Drecksau" draufsteht, ist bei Welsh auch "Drecksau" drin - das darf man hundertprozentig voraussetzen.

Enno Stahl | 02.02.2000
    Erzählt wird die Geschichte des Edinburgher Polizeisergeants Bruce Robertson aus seiner Sicht, der Ich-Perspektive, wobei Gedanken und Handlungsbeschreibung elegant miteinander verflochten sind. Der Leser hat so unmittelbaren Einblick in des Protagonisten Seelenlandschaft - und was er dort sieht, ist nicht gerade erfreulich. Robertson ist ein Rassist und Schwulenhasser, ein korrupter Bulle, der Minderjährige mit Strafandrohung zum Oralverkehr zwingt - ein bisschen die weniger religiöse Version von Abel Ferrarras "Bad Lieutenant". So bleibt man denn auch nicht lange im Zweifel darüber, wer die titelende "Drecksau" wohl nun ist.

    Wie es sich gehört, hat ihn soeben seine Frau verlassen, was er jedoch niemanden gegenüber offen eingesteht. Er haust in einer mehr und mehr zugemüllten Wohnung, hat ein juckendes, übelriechendes Ekzem im lntimbereich, das sich ständig weiter ausbreitet - ihn aber nicht daran hindert, in einer Tour Frauen anzubaggern- sie zu zwingen und zu nötigen, mit ihm Sex zu haben auf die absonderlichsten Weisen. Für seine Kollegen wie auch für alle anderen Menschen hat Robertsön nur Verachtung übrig, er bezeichnet sie durch die Bank und geschlechtsunabhängig als "Votzen". Sie sind ihm nicht mehr als Marionetten in einem Spiel, bei dem es um Befriedigung seiner primären Triebe geht oder sein einziges konstruktives Ziel zu erreichen - die Beförderung zum Detective Lieutenant. Seine Hauptfeindin ist die Polizistin Amanda Drummond, die sich vehement für jene "political correctness" in seiner Dienststelle einsetzt, die derzeit gerade auch in Grossbritannien so sehr 'en vogue' ist.

    Das hört sich nun etwas einseitig an: nach 'Trash" um des "Trash" willen, und tatsächlich hat Welsh des Herben ein bisschen zu viel beigemengt. Die völlig haltlose Anti-Korrektheit seines Negativhelden ist zwar oft hochgradig komisch (zudem sehr gut und skrupellos von den deutschen Übersetzern Clara Drechsler und Harald Hellmann wiedergegeben) - nach 200 Seiten aber weiss man wirklich, worum es geht. Allzu offensichtlich verfolgt Welsh eine linear-simple Stufendynamik, legt immer mal wieder ein Schippe mehr drauf, um Robertson als noch dreckiger, noch korrupter, noch drogensüchtiger darzustellen. Man hätte sich diesen Part des Textes kürzer gewünscht.

    Zum Glück bleibt es nämlich nicht dabei. Robertson gewinnt im weiteren Verlauf des Buches tragische Züge, also dreidimensionale Konturen. Da dies natürlich aus der Ich-Perspektive heraus nur schwer zu machen ist, hat Welsh sich als Kunstgriff einen Bandwurm ausgedacht, der in Robertsons Eingeweiden sein Leben fristet und Gedanken anstellt über Sein und Existenz im Allgemeinen und Besonderen. In nicht immer klischeefreier filosofischer Terminologie thematisiert der Parasit also die ewigen Fragen und Hintergründe seiner eigenen Identität sowie der Robertsons, welche jener verdrängt auf seiner fortschreitenden Höllenfahrt. Nach und nach erfährt man so über den Beindwurm die traurigen sozialen Bedingungen, die aus dem harmlosen kleinen Jungen Bruce den miesen, menschenverachtenden Cop Robertson gemacht haben.

    Das ist von der Machart zwar nicht restlos überzeugend, verwandelt das Buch aber erst zu einem echten Roman. Trotz der gewissen Künstlichkeit dieser Lösung wäre es sicher unbefriedigender, Robertson einfach nur gradlinig in den Abgrund rennen zu sehen. Der besteht in seinem Fall aus zunehmender Verwahrlosung, exzessivem Kokainkonsum und offen ausbrechender Schizofrenie. Wie in einer klassischen Peripetie verstrickt Robertson sich hoffnungslos und gelangt an seinem notwendigen Schlusspunkt - auch wenn er dabei den Fall, mit dem er die ganze Zeit betraut ist, den rassistisch bedingten Mord an einem jungen Schwarzen, vermeintlich auflöst.

    Seine soziale Existenz ist vollends zerstört, die Fassade, hinter der er seine vielzähligen Verfohlungen zu verbergen suchte, ist in sich zusammen gefallen. Die coole Drecksau ist am Ende nurmehr ein ganz armes Schwein.