Exploitation. Auf Englisch Ausbeutung. Im Kinozusammenhang nennt man Exploitation jenen Typ Film, der seinen Gegenstand ausstellt, ausschlachtet, der sich der perversen Angstlust am Hässlichen und Grotesken, am Abstoßenden und Ekeligen - eine Angstlust, die jeder Betrachter kennt -, bedient, und der sich den Voyeurismus, den Blick durchs Schlüsselloch, hinein ins Hinterzimmer der Intimität, ins Unerlaubte, ja Verbotene, der seit seinen Anfängen ein essenzieller Teil des Kinos ist, einkalkuliert und aktiv zunutze macht.
Einst war der Ort solcher Filme der kleine, schmuddelige B-Movie, oder jene "Mitternachtsfilme", in denen seit jeher das Explizite, auch Porno und Splatter, zu sehen sind - unbedingt legitime Bestandteile des Kinogenusses, aber doch nur in seltenen Fällen das, was man als Kunst bezeichnen würde.
Längst aber ist inzwischen, in Zeiten, in denen es keine B-Movies mehr gibt und mitternachts die Kinos längst geschlossen haben, der Kunstfilm zum wahren Exploitation-Kino geworden.
Zuletzt stellten das die renommierten "Cahiers du Cinéma" fest, die Bibel des französischen Kinos. In ihrer Dezemberausgabe fand sich eine Liste der "zehn Todsünden" des Autorenfilms, und an sechster Stelle steht die "Provokation um der Provokation willen. Beispiel: Ulrich Seidl.
Seit jeher ist Seidl mit Filmen wie "Tierische Liebe", "Hundstage" oder "Import-Export" der Schocker schlechthin auch unter seinen schon ansonsten nicht zimperlichen österreichischen Landsleuten und unter den Kunstfilmen überhaupt.
Glaube, Liebe, Hoffnung - diese Dreieinigkeit des Katholizismus untersucht Seidl in seinem neuen Projekt, das in wenigen Wochen, im Wettbewerb der Berliner Filmfestspiele, seinen Abschluss finden wird. Drei Filme, geordnet wie ein Tryptichon der Religion beziehungsweise religiöse Motive. Nur dass dies alles, wenn man halbwegs bei Sinnen ist, nicht anders, denn als Ironisierung religiöser Motivik verstanden werden kann.
"Paradies: Glaube" erzählt von einer fanatischen katholischen Fundamentalistin, "Paradies: Hoffnung" von einem Teenager-Mädchen in einem Diätcamp.
In "Paradies: Liebe", dem ersten der Reihe, erzählt Seidl nahe an einem Dokumentarfilm von einer Gruppe älterer Frauen, die Urlaub in Kenia machen - als Sextouristinnen.
Dies ist nicht der erste Film zum Thema aber der proletarischste: Die Afrikaner heißen hier Neger, und wenn sie auch noch singen wüssten, könnte dieser Film immer wieder eine Revue von Leni Riefenstahl sein. Oder wie soll man es sonst nennen, wenn drei Afrikaner in einem Schwimmbad - schön Schwarz auf Blau - bei gleißendem Sonnenschein auf exakt gleicher Höhe im gleichen Tempo nach vorn schreiten. Wenn sie am Ende rhythmisch das Rad schlagen. Wenn sie dazwischen schweigend und bewegungslos auf einer Linie stehen und in die gleiche Richtung gucken. Es gibt immer wieder solche Ballettmomente, wo die schönen Männerkörper sehr hübsch ausgestellt, pardon, ins Bild gesetzt werden.
Was man ansonsten in wohlgestylten Halbtotalen, typischen Seidl-Bildern, sieht, ist vor allem Hauptfigur Theresa. Sie reinigt ihr Zimmer mit Desinfizierspray lernt andere alleinreisende Frauen ähnlichen Alters kennen, mit denen sie Gespräche über den eigenen, zunehmend unattraktiven Körper führt.
Es geht um ihre Einsamkeit und darum, dass die Frauen auch als Sextouristinnen immer einsamer werden. Um die Afrika-Erfahrung, darum, dass sich Afrika entzieht. Theresa wird zur richtigen "Suger Mama" werden, die sich ihre "Beach Boys" kauft. Am mächtigsten ist am Ende eben die Ökonomie.
Die Frauen sind Kleinbürger, Unterschicht. Zu Hause. In Afrika werden sie plötzlich zur Oberschicht, weil es hier Menschen gibt, die sozial noch weit drunterstehen. Die Opfer werden zu Ausbeutern. Seidl sagt und zeigt uns, wie schlecht die Menschen sind, welche Abgründe in uns schlummern.
Die Leute reden hier, wie sie eben reden. Die Österreicherinnen sagen Worte wie "Blunzengröstl", die Afrikaner radebrechen wie in Onkel Toms Hütte.
Der, der das macht, redet so nicht. Er ist ein Großbürger und Intellektueller, der Filme für seinesgleichen macht. Was er natürlich darf und andere auch tun. Aber nie tun seine Figuren etwas Unerwartetes.
Schließlich muss man die Frage stellen, ob es angemessen ist, wie Seidl die Afrikaner zeigt? Seine Sicht ist zumindest sehr einseitig. Sie sind nur aufs Geld der Weißen aus, sind gerissen, dabei doch naiv, und alle prostituieren sich. Seidls-Afrika-Bild ist ohne jede erkennbare Neugier. Ohne jeden Anarchismus.
Seidls Bilder zeigen nichts, was man nicht bereits kennen würde, bewegen sich vielmehr oft stark an der Oberfläche, vor allem wenn er Afrikaner zeigt. Sein Mitleid mit Sextouristinnen, deren Einsamkeit und Sehnsüchte er ernst nimmt, glaubt man Seidl. Dennoch: Es fehlen Überraschungen, es fehlt ein Moment des Suchens in einem besserwisserischen, glatten, allerdings sehr gut gemachten Film.
Mehr auf dradio.de:
Kino und Film Kino und Film - "Paradies: Liebe"
Kino und Film Kino und Film - "Ein Film über die Sehnsüchte von Frauen"
"Männer sind mitunter ordinär" - Regisseur Ulrich Seidl inszeniert "Böse Buben / Fiese Männer"
Verlierer der Wohlstandsgesellschaft - Neu im Kino: "Import/Export" von Ulrich Seidl
Einst war der Ort solcher Filme der kleine, schmuddelige B-Movie, oder jene "Mitternachtsfilme", in denen seit jeher das Explizite, auch Porno und Splatter, zu sehen sind - unbedingt legitime Bestandteile des Kinogenusses, aber doch nur in seltenen Fällen das, was man als Kunst bezeichnen würde.
Längst aber ist inzwischen, in Zeiten, in denen es keine B-Movies mehr gibt und mitternachts die Kinos längst geschlossen haben, der Kunstfilm zum wahren Exploitation-Kino geworden.
Zuletzt stellten das die renommierten "Cahiers du Cinéma" fest, die Bibel des französischen Kinos. In ihrer Dezemberausgabe fand sich eine Liste der "zehn Todsünden" des Autorenfilms, und an sechster Stelle steht die "Provokation um der Provokation willen. Beispiel: Ulrich Seidl.
Seit jeher ist Seidl mit Filmen wie "Tierische Liebe", "Hundstage" oder "Import-Export" der Schocker schlechthin auch unter seinen schon ansonsten nicht zimperlichen österreichischen Landsleuten und unter den Kunstfilmen überhaupt.
Glaube, Liebe, Hoffnung - diese Dreieinigkeit des Katholizismus untersucht Seidl in seinem neuen Projekt, das in wenigen Wochen, im Wettbewerb der Berliner Filmfestspiele, seinen Abschluss finden wird. Drei Filme, geordnet wie ein Tryptichon der Religion beziehungsweise religiöse Motive. Nur dass dies alles, wenn man halbwegs bei Sinnen ist, nicht anders, denn als Ironisierung religiöser Motivik verstanden werden kann.
"Paradies: Glaube" erzählt von einer fanatischen katholischen Fundamentalistin, "Paradies: Hoffnung" von einem Teenager-Mädchen in einem Diätcamp.
In "Paradies: Liebe", dem ersten der Reihe, erzählt Seidl nahe an einem Dokumentarfilm von einer Gruppe älterer Frauen, die Urlaub in Kenia machen - als Sextouristinnen.
Dies ist nicht der erste Film zum Thema aber der proletarischste: Die Afrikaner heißen hier Neger, und wenn sie auch noch singen wüssten, könnte dieser Film immer wieder eine Revue von Leni Riefenstahl sein. Oder wie soll man es sonst nennen, wenn drei Afrikaner in einem Schwimmbad - schön Schwarz auf Blau - bei gleißendem Sonnenschein auf exakt gleicher Höhe im gleichen Tempo nach vorn schreiten. Wenn sie am Ende rhythmisch das Rad schlagen. Wenn sie dazwischen schweigend und bewegungslos auf einer Linie stehen und in die gleiche Richtung gucken. Es gibt immer wieder solche Ballettmomente, wo die schönen Männerkörper sehr hübsch ausgestellt, pardon, ins Bild gesetzt werden.
Was man ansonsten in wohlgestylten Halbtotalen, typischen Seidl-Bildern, sieht, ist vor allem Hauptfigur Theresa. Sie reinigt ihr Zimmer mit Desinfizierspray lernt andere alleinreisende Frauen ähnlichen Alters kennen, mit denen sie Gespräche über den eigenen, zunehmend unattraktiven Körper führt.
Es geht um ihre Einsamkeit und darum, dass die Frauen auch als Sextouristinnen immer einsamer werden. Um die Afrika-Erfahrung, darum, dass sich Afrika entzieht. Theresa wird zur richtigen "Suger Mama" werden, die sich ihre "Beach Boys" kauft. Am mächtigsten ist am Ende eben die Ökonomie.
Die Frauen sind Kleinbürger, Unterschicht. Zu Hause. In Afrika werden sie plötzlich zur Oberschicht, weil es hier Menschen gibt, die sozial noch weit drunterstehen. Die Opfer werden zu Ausbeutern. Seidl sagt und zeigt uns, wie schlecht die Menschen sind, welche Abgründe in uns schlummern.
Die Leute reden hier, wie sie eben reden. Die Österreicherinnen sagen Worte wie "Blunzengröstl", die Afrikaner radebrechen wie in Onkel Toms Hütte.
Der, der das macht, redet so nicht. Er ist ein Großbürger und Intellektueller, der Filme für seinesgleichen macht. Was er natürlich darf und andere auch tun. Aber nie tun seine Figuren etwas Unerwartetes.
Schließlich muss man die Frage stellen, ob es angemessen ist, wie Seidl die Afrikaner zeigt? Seine Sicht ist zumindest sehr einseitig. Sie sind nur aufs Geld der Weißen aus, sind gerissen, dabei doch naiv, und alle prostituieren sich. Seidls-Afrika-Bild ist ohne jede erkennbare Neugier. Ohne jeden Anarchismus.
Seidls Bilder zeigen nichts, was man nicht bereits kennen würde, bewegen sich vielmehr oft stark an der Oberfläche, vor allem wenn er Afrikaner zeigt. Sein Mitleid mit Sextouristinnen, deren Einsamkeit und Sehnsüchte er ernst nimmt, glaubt man Seidl. Dennoch: Es fehlen Überraschungen, es fehlt ein Moment des Suchens in einem besserwisserischen, glatten, allerdings sehr gut gemachten Film.
Mehr auf dradio.de:
Kino und Film Kino und Film - "Paradies: Liebe"
Kino und Film Kino und Film - "Ein Film über die Sehnsüchte von Frauen"
"Männer sind mitunter ordinär" - Regisseur Ulrich Seidl inszeniert "Böse Buben / Fiese Männer"
Verlierer der Wohlstandsgesellschaft - Neu im Kino: "Import/Export" von Ulrich Seidl