Es waren Sprossen, auf denen 2011 ein EHEC-Erreger in Norddeutschland verbreitet wurde. Er gehört zu den Escherichia-coli-Bakterien. Viele davon sind harmlose, ja sogar nützliche Untermieter im Darm des Menschen. Der EHEC-Erreger von 2011 hingegen ist alles andere als harmlos, sagt Professor Christian Menge, der in Jena das Institut für molekulare Pathogenese des Friedrich-Loeffler-Instituts leitet.
"Bei den EHEC-Erregern handelt es sich jetzt um eine Sub-Gruppe von diesen Escherichia coli, die beim Menschen besonders schwerwiegende Erkrankungen hervorrufen können, eben das hämolytisch-urämische Syndrom als das schwerwiegendste Krankheitsbild was bei dem Ausbruch 2011 eben besonders viele Patienten betroffen hat."
Der Stamm EHEC O104:H4 kann Nierenversagen und blutige Durchfälle verursachen – hämolytisch-urämisches Syndrom nennt man das, kurz HUS. Dem Robert-Koch-Institut werden jedes Jahr rund 1.000 EHEC-Infektionen und etwa 60 Fälle von HUS gemeldet. Im Jahr vor dem Sprossenausbruch registrierte die Behörde lediglich zwei HUS-Todesfälle. Der Sprossenerreger aber machte 810 Menschen krank, allein 39 starben an den schweren Komplikationen.
Resistent gegen Antibiotika
Für die schweren Verläufe waren zwei Besonderheiten der Sprossenerreger aus Ägypten verantwortlich: Sie waren in der Lage, Shiga-Toxin zu bilden und sich auf sehr effektive Weise an menschliche Darmzellen zu binden. Außerdem waren sie gegen mehrere Antibiotika resistent. Normalerweise werden diese Erreger nicht über Pflanzen, sondern über Wiederkäuer und ihre Ausscheidungen übertragen.
"Das war bisher so das Bild, dass wenn der Mensch erkrankt, dann meistens sich der Weg zum Wiederkäuer zurückverfolgen lässt. Und der Stamm, der den großen Ausbruch 2011 verursacht hat, der hat eine genetische Ausstattung, die in keinster Weise dem entspricht, was wir vorher bei Wiederkäuern gefunden haben."
Darum wollten die Jenaer Wissenschaftler herausfinden, ob der Sprossenerreger sich in Rindern überhaupt vermehren kann. Sie infizierten Kälber mit dem Stamm, sagt Katharina Hamm, die die Versuche für ihre Doktorarbeit durchgeführt hat.
"Die Kälber bleiben gesund und entwickeln keine Krankheitserscheinungen, wie das jetzt beim Menschen der Fall ist, wie blutigen Durchfall oder dieses hämolytisch-uräische Syndrom. Des weiteren haben wir eben untersucht, wie dieser Stamm denn wieder ausgeschieden wird. Und wir konnten den Ausbruchstamm von 2011 bis zu einer Dauer von 24 Tagen bei einzelnen Kälbern nachweisen."
Die Tiere seien also als Reservoir für die Erreger geeignet. Christian Menge schließt aus den Erkenntnissen, dass die Verfahren bei der Lebensmittelüberwachung angepasst werden müssen. Schon jetzt werden Lebensmittel auf EHEC-Erreger untersucht. Doch der Sprossenerreger unterscheidet sich von den bisher bekannten.
"Man muss nach anderen Markern suchen bei den Stämmen, neben dem Shiga-Toxin-Gen eben nach Markern, die diesen Stamm besonders auszeichnen, zum Beispiel die Art der Adhäsion, die er macht, die sich unterscheidet von den bisherigen Shiga-Toxin-bildenden E.-coli-Stämmen, die man kennt."
Denn es geht nicht nur um den Sprossenstamm. Escherichia-coli-Bakterien sind in der Lage, ihr Genom zu verändern. Wenn sich unterschiedliche Stämme treffen, können sie Elemente austauschen und wie aus einem Baukasten neu zusammensetzen.
"Sodass sich also aus zwei unterschiedlichen Stämmen, die jeweils ein Merkmal mitbringen, sehr schnell ein Stamm formen kann, der dann eine entsprechend stärkere krankmachende Wirkung hat. Und es gibt schon Hinweise darauf, dass bestimmte Merkmale des Sprossenstammes sich in Rindern finden lassen und damit prinzipiell die Möglichkeit besteht, dass dieser Stamm wie er 2011 über die Sprossen nach Deutschland gekommen ist, sich auch bei den Rindern einmal bilden könnte und von da aus auch eine Gefahr für den Menschen darstellt."
Der Baukasten der Coli-Bakterien hierzulande ist bereits bestens bestückt – das haben Menge und seine Mitarbeiter bei weiteren Untersuchungen festgestellt.
"Wir haben nicht alle Bauteile gefunden, aber die meisten Bauteile dafür haben wir schon gefunden."
Wann hierzulande ein gefährlicher EHEC-Keim entstehe, sei nur eine Frage der Zeit – ein neuerlicher Import ist gar nicht nötig.