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Drei Jobs für einen Kardiologen

1420 Euro Netto im Monat erhält der Kardiologe Jannis Gougousis. Das reicht nicht für sich selbst, die Unterstützung des jüngeren Bruders und die Krebstherapie der Mutter. Deshalb arbeitet der Arzt nicht nur bei einem Arbeitgeber.

Von Panagiotis Kouparanis | 08.06.2010
    Montagmorgen im Ärztezentrum einer Ersatzkasse in Athen. Das Wartezimmer in der zweiten Etage ist geräumig, die Wände sind beige gestrichen, die Türen orange und die Sitze in hellem Türkis. Die Arzthelferinnen sprechen mit gedämpfter Stimme.

    Im Behandlungszimmer erkundigt sich der Kardiologe Jannis Gougousis nach den Herzbeschwerden seines Patienten. Er ordnet eine Blutuntersuchung an. Der 52-jährige Facharzt nimmt sich Zeit. Es ist 9 Uhr und für Jannis Gougousis hat ein langer Arbeitstag begonnen. Wie jeden Tag wird er auch heute an drei verschiedenen Orten arbeiten.

    "Ich bin das klassische Beispiel eines griechischen Arztes. Über 90 Prozent von uns, ich weiß nicht ob das jetzt übertrieben ist, aber Tatsache ist, dass die allermeisten von uns nicht nur eine Arbeitsstelle haben. Der Grund sind die niedrigen Löhne in Griechenland. Ein Gehalt reicht einfach nicht aus. Ich habe ihnen hier auch die Lohnabrechnung mitgebracht"

    Er nimmt sie aus einem Briefumschlag und schiebt sie über den Tisch, als Beweis. 1420 Euro Nettogehalt im Monat, steht auf der Bescheinigung. Ausgestellt hat sie die staatliche Sozialversicherungsanstalt IKA, bei der er seit 15 Jahren als Vertragsarzt arbeitet. Ab mittags. Vormittags ist er hier im Ärztezentrum tätig. Und abends, ab 18.30 Uhr, in der eigenen Privatpraxis. Um neun Uhr abends versucht er, Schluss zu machen. Damit er wenigstens nicht über 12 Stunden kommt, wie er meint.

    Arzt ist auch sein jüngerer Bruder. 1380 Euro zahlt im das staatliche Gesund¬heitszentrum außerhalb von Athen - noch. Denn die Sparmaßnahmen der Regierung werden ihn in diesem Jahr knapp 4000 Euro Gehalt kosten.

    Dass Jannis als der Ältere dem Jüngeren finanziell unter die Arme greift – man ahnt es. Auch die teure Krebstherapie der Mutter trägt er allein. Der Zusammenhalt der Familie wird bei den Gougousis groß geschrieben.

    Mit seinen Patienten spricht Gougousis freundlich, sachlich, ohne Allüren. Jeder dritte Grieche zahlt seinem Arzt Schmiergeld, heißt es – vor allem, um die Wartezeit bis zur Behandlung zu verkürzen. Offenbar ein wunder Punkt.

    Jannis Gougousis reagiert aufbrausend. Spricht von einer Minderheit unter den Ärzten. Wehrt sich dagegen, deswegen die ganze Zunft in den Dreck zu ziehen. Dann der Versuch einer nüchternen Erklärung: Studium, Militärdienst, zwei Jahre staatlicher Pflichtdienst auf dem Land, anschließend die Ausbildung zum Facharzt. Frühestens mit 35 ist in Griechenland die Ausbildung abgeschlossen.

    "Sie verstehen, ein Arzt startet erst mit 35 ins Berufsleben. Bei dem geringen Gehalt, in dem Alter, womöglich mit Frau und Kindern und auch Eltern, die er unterstützen muss, wird er leicht abgleiten, wenn er nicht ein Wertesystem für sein Leben hat."

    Seine Werte hat ihm der Vater mit auf den Weg gegeben: Er war ein Linker, der für seine Ideale während der Militärdiktatur mehrmals verbannt und gefoltert wurde. Trotz seines bescheidenen Einkommens hat er mit sehr vielen Entbehrungen beiden Söhnen das Medizinstudium ermöglicht. Das hat sie geprägt. Gerade für schwere Zeiten wie diese.

    Dabei seien die Opfer eigentlich gar nicht so groß, die er jetzt bringen muss. Er geht mit seiner Frau weniger aus als früher, und auch die Kurzreisen in europäische Hauptstädte drei Mal im Jahr werden sie sich vorerst sparen. Er hält kurz inne. Doch, sagt er, da gibt es etwas, das ihm wirklich etwas ausmache.

    "Ich habe ein Haus auf der Insel Tinos gebaut. Das war immer mein Traum. Ein anderes besitze ich nicht. Wenn ich in Rente gehe, werde ich dort leben. Da die Überfahrt zu teuer geworden sind, werde ich seltener dort sein. Die Fahrt hin und zurück mit meiner Frau und dem Auto kostet 300 Euro. Das ist sicher ein Problem."

    Optimistisch bleibt Jannis Gougoúsis dennoch. Und wird geradezu pathetisch, wenn er ein Land der Verheißung in Aussicht stellt, erreichbar mit gutem Willen, einer besseren Organisation und der alten griechischen Tugend des Filotimo, des Ehrgefühls. Allerdings unter einer Bedingung: dass diejenigen vor Gericht gestellt werden, die sich schuldig gemacht haben.

    "Das politische Establishment hat immer wieder demonstriert, dass Verantwortungslosigkeit nicht belangt wird. Daraufhin sagte sich der einfache griechische Bürger, wenn die so sind, wieso nicht auch ich?"

    Es ist Mittag geworden. Jannis Gougousis hat seinen ersten Arbeitstag beendet. Nun kommt der zweite.