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"Drei Schwestern" an der Wiener Burg
Theaterfiguren von zeitloser Undeutlichkeit

Die Schauspieler treten immer wieder an die Rampe, monologisieren aneinander vorbei. David Bösch inszeniert Tschechows "Drei Schwestern" an der Wiener Burg - und der Deutschlandfunk-Kritiker findet, dass er mit diesem Klassiker nicht Rechtes anzufangen wusste.

Von Hartmut Krug |
    Ein roter Theatervorhang
    Tschechwos "Drei Schwestern" werden gerade an der Wiener Burg gezeigt. (picture alliance / dpa - Marcus Brandt)
    "Wie glücklich sind Menschen, denen alles gelingt", singen zu Beginn die beiden Musiker, die mit ihren Liedchen zu Ziehharmonika und Balaleika die Wiener Aufführung der "Drei Schwestern" atmosphärisch umrahmen. Ihre Lieder klingen wie Sehnsuchtskommentare zu den Menschen, die in Tschechows Stück zwischen der Trauer über ihr gelebtes Leben und die Hoffnung auf ein anderes, sinnerfülltes Dasein vor sich hin leiden und philosophieren.
    Das 1901 in Moskau uraufgeführte Stück zeigt Menschen, die gegen den Stillstand der Gesellschaft anrennen. In ihrem stetigen Redefluss hoffen sie auf irgendeine echte "Arbeit". Am Namenstag von Irina, der jüngsten der drei, kommen die Schwestern Prosorow und ihr Bruder mit den Offizieren der Garnison zusammen.
    Für die drei jungen Frauen, die mit ihrem Vater, einem Garnisonskommandeur, von Moskau in eine Provinzstadt gegangen sind, ist nach dessen Tod Moskau wieder das Sehnsuchtsziel.
    "Du strahlst heute schon den ganzen Tag. Und Mascha sieht so schön aus. Andrej könnte auch gut aussehen, aber der ist fett geworden. Das passt nicht zu ihm. So schwabbelig, wabbelig, wie ein Quabbel Wabbel. Qualle."
    Das Stück erzählt vor allem von scheiternden Hoffnungen. Die älteste Schwester hätte gern einen Mann, aber muss den ungeliebten Posten der Schuldirektorin übernehmen. Die mittlere, zu früh verheiratet, verliebt sich in den neuen Kommandeur, der mit seiner Garnison aber bald verlegt wird. Und ein Baron, der seine Uniform ausgezogen hat, um mit Irina ein von Arbeit bestimmtes, sinnerfülltes Leben zu führen, stirbt in einem Duell am Tag vor ihrer geplanten gemeinsamen Abreise.
    Während der Bruder Andrej das Geld der Geschwister verspielt, übernimmt seine patente und egoistische Frau die Macht im gemeinsamen Haus der Geschwister.
    Auf die Bühne des Burgtheaters hat Bühnenbildner Harald B. Thor ein hohes Plastikhaus gestellt, das wie eine Art Traglufthalle oder Gewächshaus wirkt. Im offenen Raum sind ein Sofa, drei Stühle und ein Klavier verteilt. Hier, in diesem Theaterraum ohne historische oder ästhetische Atmosphäre, agieren die Figuren wie Zitate ihrer selbst.
    Tschechows "Drei Schwestern" gehört zum festen Repertoire der deutschsprachigen Bühnen. Wohl, weil man glaubt, dass in unserer Zeit, in der die Menschen wie gelähmt oder mit dumpfen Vorurteilsgedanken vor den globalen Problemen der Welt stehen und resignieren, man sich in den Figuren von Tschechows Stück wiederfinden könne.
    Weder Figuren von heute noch von 1901
    Doch dazu müsste man sich konsequent auf eine eigene Lesart des Stücks einlassen. Doch in David Böschs Wiener Inszenierung sind die Figuren weder von 1901 noch von heute, auch wenn sie leider manchmal heutige Alltagssprüche absondern wie "Quatsch mich nicht von der Seite an". Sondern sie sind einfach Theaterfiguren von zeitloser Undeutlichkeit. So haben die Soldaten wenig Soldatisches an sich, und selbst wo Tschechow seine Figuren durch ihren sozialen Status definiert, folgt ihm Bösch wenig.
    Den psychologischen Realismus, mit dem Stanislawski das Stück 1901 in Moskau uraufführte und mit dem es Peter Stein 1984 an der Berliner Schaubühne in eine scheinbare russische Authentizität zurückbrachte, findet man wie in den meisten neueren Inszenierungen auch in Wien nicht.
    David Bösch hat, wohl weil Tschechow weniger Dialoge als sich überschneidende Monologe geschrieben hat, ein konsequentes Rampentheater eingerichtet. Das heißt, die Schauspieler spielen nicht miteinander, sondern sehen einander kaum an und sprechen auch nicht zueinander, sondern sie verlautbaren sich.
    Dafür treten sie immer wieder an die Rampe vor das Publikum. Und damit die gerade nicht monologisierenden Darsteller Beschäftigung finden, müssen sie andauernd rauchen und sich an ihren Zigaretten mit sensiblem Interesse festhalten.
    Es ist durchaus aber kein Widerspruch, dass sich in diesem von aufgesagten Haltungen bestimmten Spiel immer wieder kleine schauspielerische Kabinettstücke verstecken.
    Doch insgesamt schleppt sich der Abend, obwohl das Stück auf zweieinhalb Spielstunden gekürzt wurde, so schwerfällig wie uninspiriert dahin. Hier hat ein junger, angesagter Regisseur mit einem Klassiker deutlich nichts Rechtes anzufangen gewusst.