Gerhardt sieht die Partei vor dem Dreikönigstreffen heute in Stuttgart wieder auf einem guten Kurs. Es gehe millimeterweise voran, sagte der Vorsitzende der Friedrich-Naumann-Stiftung. Bei den Bürgern reife die Gewissheit, dass es die Partei des politischen Liberalismus' geben müsse - dazu trage auch die Bundesregierung bei: Die CDU werde immer sozialdemokratischer, und die SPD verabschiede sich von der Agenda 2010.
Er kritisierte zudem die Bundesregierung, die sehr viel Geld verteile und glaube, "mit einer Art politischen Apotheke die Menschen ruhig stellen zu können, ohne ihnen wirklich zu sagen, dass ein Leben ohne Mühe, ohne Lernbereitschaft, ohne Willen, etwas zustande zu bringen, nicht trägt." Gerhardt nahm auch die Bürger in die Pflicht: Deutschland sei eine erheblich staatsorientierte Gesellschaft. "Die meisten erwarten alles Mögliche vom Staat und sehr wenig von sich selbst." Er glaube, dass Deutschland Schwierigkeiten habe mit der Freiheit.
In der Alternative für Deutschland sieht Gerhardt keine Konkurrenz. "Die AfD hat programmatisch nichts drauf." Zudem sei sie keine liberale, offene Partei.
Das Interview in voller Länge:
Friedbert Meurer: Das Staatstheater Stuttgart bietet eigentlich eine prächtige Kulisse für das Dreikönigstreffen der FDP. Seit 1920 gibt es diese politische Veranstaltung, die das jeweils neue politische Jahr eingeläutet hat, und am Vorabend wird sogar getanzt auf dem traditionellen Dreikönigsball. Von diesen alten Glanzzeiten ist die FDP aber heute meilenweit entfernt.
Was ist nur aus der FDP geworden? Die Partei hat die Bundesrepublik Deutschland mit geprägt, hat jahrzehntelang unser Land regiert, mal mit der CDU/CSU, mal mit der SPD, und sie droht, jetzt in der Versenkung zu verschwinden. Das dürfte auch einstige Größen der Partei umtreiben, wie zum Beispiel Wolfgang Gerhardt. Er war lange Jahre Fraktions- und Parteivorsitzender der FDP. Heute leitet er die liberale Friedrich-Naumann-Stiftung. Guten Morgen, Herr Gerhardt.
Was ist nur aus der FDP geworden? Die Partei hat die Bundesrepublik Deutschland mit geprägt, hat jahrzehntelang unser Land regiert, mal mit der CDU/CSU, mal mit der SPD, und sie droht, jetzt in der Versenkung zu verschwinden. Das dürfte auch einstige Größen der Partei umtreiben, wie zum Beispiel Wolfgang Gerhardt. Er war lange Jahre Fraktions- und Parteivorsitzender der FDP. Heute leitet er die liberale Friedrich-Naumann-Stiftung. Guten Morgen, Herr Gerhardt.
Wolfgang Gerhardt: Hallo! Guten Morgen, Herr Meurer.
Meurer: Wie weh, Herr Gerhardt, tut es Ihnen, die FDP so im Tal der Tränen zu sehen?
Gerhardt: Ja, das macht einem schon erheblich zu schaffen, denn sie ist ja eine Partei, die große Stücke der Erfolgsgeschichte unseres Landes repräsentiert. Deshalb glaube ich aber auch, aus einer schwierigen Lage kommen wir wieder heraus. Das ist auch der Eindruck, den ich aus der Mitgliedschaft der Partei selbst habe, und wenn auch millimeterweise, aber dennoch in der Ansprache von Persönlichkeiten, die auf einen zukommen, einem alles Gute wünschen, insbesondere zum Start in dieses neue Jahr, und den Eindruck haben, nach dem, was sich auf der politischen Bühne vollzieht, dass es die Partei des politischen Liberalismus, die Freien Demokraten geben muss in Deutschland.
Meurer: Was sind denn die Millimeter, um die die FDP angeblich nach vorne marschiert?
Gerhardt: Ja, das sind die Punkte, die außerhalb bisher des Zuschlags in Meinungsumfragen doch bei vielen Bürgern in den letzten Wochen die stärkere Gewissheit haben reifen lassen, dass das politische Angebot in der Landschaft der Bundesrepublik Deutschland so nicht ausreicht, denn wir haben ja eine Politik vor uns, die unglaublich Geld verteilt, die die Zukunft überhaupt nicht in den Blick nimmt und die im Grunde glaubt, mit einer Art politischer Apotheke die Menschen ruhig stellen zu können. Ohne ihnen wirklich zu sagen, dass ein Leben ohne Mühe, ohne Lernbereitschaft, ohne Willen, etwas zustande zu bringen, uns so nicht in die Zukunft trägt.
Meurer: Aber die Menschen gehen deswegen zur AfD, nicht zu Ihrer Partei.
"Unmögliche Kultur des gegenseitigen Umgangs"
Gerhardt: Ja, das warten wir mal ab, wie lange sie da hingehen, denn die AfD, die immer über die Altparteien schimpft, breitet gegenwärtig eine unmögliche Kultur des gegenseitigen Umgangs aus, und sie hat auch programmatisch nichts drauf. Sie ist eine Gruppe, die gegenwärtig sich ausschließlich mit ihren Streitigkeiten beschäftigt. Das ist kein neues Signal. Davor habe ich nun wirklich keine Angst.
Meurer: Aber wenn die AfD ihre Konflikte überwindet: Wird es eng für die FDP?
Gerhardt: Nein, weil die AfD keine liberale Partei ist, keine offene Partei, weil an ihrer Spitze eine ganz kleine Tünche von Bürgern steht, aber sie hat nie ordentlich ihren Keller aufgeräumt. Sie hat ein Mischmasch an Mitgliedschaft und die unterschiedlichsten Vorstellungen. Das wird sie nicht schaffen. Ich bin da ganz zuversichtlich.
Meurer: Hat der Abstieg der FDP an dem Tag begonnen, Herr Gerhardt, als Guido Westerwelle Sie als Parteivorsitzender verdrängt hat?
Gerhardt: Die FDP hat am Beginn der letzten Legislaturperiode schon in den Koalitionsverhandlungen die entscheidenden Fehler gemacht. Sie hat die Sachverhalte, die sie im Wahlkampf vorgetragen hat, nicht durchgesetzt und sie hat kein Gewicht in die frühere Koalition mit der Union gebracht. Das haben die Menschen gespürt. Das ist der Grund der Niederlage. Wenn man den vor sich hat, wenn man den offen beschreibt, kann man die Lage auch wieder ändern.
Meurer: Warum kam da so viel Häme gegen die FDP zusammen?
Gerhardt: Ich glaube, dass Deutschland Schwierigkeiten hat mit der Freiheit - ernsthaft. Deutschland hat eine lange Zeit gebraucht, sich gegen all das zu sträuben - das merkt man auch zum Teil in der Pegida-Bewegung jetzt -, was Parlamentarismus, Meinungsstreit in der Politik, unterschiedliche Konzepte, auch der Hinweis auf die Verantwortung des Einzelnen bedeutet. Deutschland ist eine erhebliche staatsorientierte Gesellschaft. Die meisten erwarten alles Mögliche vom Staat und von sich selbst sehr wenig. Das heißt, die Antriebskräfte, die eine freiheitliche Gesellschaft herausbilden und auf die wir immer hinweisen, sind für viele zu unbequem. Sie glauben oft, dass der Staat ihnen alles Mögliche regeln kann, und vergessen, dass eine Gesellschaft Verantwortung für sich selbst hat.
Meurer: Klingt gut, Sie sehen sich als Partei der Freiheit. Nur die FAZ zum Beispiel schreibt heute Morgen in ihrem Leitartikel, die FDP ist doch die alte Big Brother Partei geblieben. Was meinen Sie?
Gerhardt: Das mag einen Journalisten bei der FAZ so beeindrucken; mich nicht. Ich glaube, dass das ein völliges Fehlurteil ist. Ich glaube, dass wir eine Partei sind, die sehr wohl weiß, dass sie im Grunde genommen ein Gegenbild stellen muss zu der immer sozialdemokratisch werdenderen CDU, einer SPD, die sich von der Agenda 2010 verabschiedet, und von den Linken sowieso. Und ich glaube auch, dass die Grünen mit Freiheit nichts anfangen können, was ihr Kongress ja im letzten Jahr im Übrigen auch gezeigt hat. Nein, wir haben das klare Gegenbild.
Meurer: Und diese Magenta-Sache jetzt, diese neue Farbe, ist das Big Brother-Schnickschnack?
Gerhardt: Wer hat denn gesagt, dass es eine neue Farbe gibt? Wir verabschieden uns nicht von unseren Farben. Wenn man einen Akzent hinzusetzt, ist das etwas ganz anderes. Auch wenn Sie mich jetzt so fragen, als ob die Bundesrepublik Deutschland jetzt das Hauptthema hätte, ob wir eine Magenta-Farbe bringen. Das ist Kokolores.
Meurer: Aber noch sind in der FDP ein paar Profis am Werk.
Gerhardt: Natürlich!
Meurer: Man hat doch um die Wirkung gewusst dieser Entscheidung, oder?
Gerhardt: Sie kennen sie ja noch nicht. Wir werden heute beide das Bild vielleicht zum ersten Mal sehen. Dann können Sie mich gerne wieder interviewen. Ich glaube auch nicht, dass Lindner eine Rede halten wird über Farbenlehre, sondern über politische Punkte, die jetzt für die Bundesrepublik Deutschland wichtig sind.
Meurer: Die politischen Punkte - Sie sagen selbst, Sie kritisieren die Politik der Bundesregierung, der Großen Koalition, auch die Politik der Grünen. Eigentlich macht doch die CDU einen Riesenbereich auf für die FDP. Warum gibt es keinen Stimmungsumschwung für Ihre Partei?
"CDU wird immer sozialdemokratischer"
Gerhardt: Ich glaube, dass der noch kommen wird. Sie haben völlig Recht mit Ihrer Fragestellung, das ist auch mein Eindruck: Die CDU wird immer sozialdemokratischer, und das ist auch das, was ich in Ansprachen bei Bürgern erlebe. Dass Herr Leibinger, der CDU-Mitglied ist, der einen großen Namen in der Wirtschaft hat, uns heute besucht zum Dreikönigstreffen, ist ja ein äußeres Zeichen eines inneren Zustandes auch vieler, die beim letzten Mal CDU gewählt haben. Die müssen wir zurückgewinnen. Das sind Persönlichkeiten, die im Grunde in der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, in der ganzen Erfolgsgeschichte wichtig waren. Auf die zielen wir auch ab, und zwar nicht nur wegen purer Wirtschaft. Die Familienunternehmen wissen, welche Verantwortung sie haben. Sie tragen das eigene Risiko, sie sind keine angestellten Manager, wie in anderen Bereichen. Das sind Personen, die das Land voranbringen.
Meurer: Was entgegnen Sie der These, Herr Gerhardt, wir haben eine Parteienkrise und die FDP wird als erste Partei dahingerafft?
Gerhardt: Wir haben keine Krise. Die Parteien sind selbst daran schuld, wenn sie in ihrem Ansehen leiden, und sie haben genug Potenzial - wie wir auch - das zu ändern und sich der Öffentlichkeit stärker zuzuwenden, ihre Politik zu erklären und argumentativ voranzubringen. Man muss eben dann auch die Begegnung mit Menschen suchen und die argumentative Fähigkeit haben, eigene Politik zu vermitteln.
Meurer: Wolfgang Gerhardt, der frühere Fraktions- und Parteivorsitzende der Liberalen, setzt auf einen Stimmungsumschwung zugunsten seiner Partei, der FDP. Herr Gerhardt, schönen Dank nach Stuttgart. Auf Wiederhören!
Gerhardt: Herr Meurer, Ihnen auch schönen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.