"Das ist ein Grundsatz unseres Hauses, dass wir unsere Quellen nicht preisgeben... Und Sie werden auch nicht hören, wieviel Geld insgesamt wir investiert haben - außerdem ich kenne die Summe nicht."
Peter Koch am 25. April 1983. Der Chefredakteur des "Stern" will vor der versammelten Weltpresse nicht sagen, wie sein Blatt den Scoop des Jahrhunderts gelandet hat. Drei Tage später beginnt die Publikation der gefälschten Hitler-Tagebücher.
"Das ist ein Grundsatz unseres Hauses, dass wir unsere Quellen nicht preisgeben..."
Das Bekenntnis zum Quellenschutz war eine Notlüge besonderer Art. Der Chefredakteur des "Stern" wusste selbst nicht, woher die Tagebücher kamen. Selbst ihm hatte sein Redakteur Gerd Heidemann den Lieferanten nicht verraten. Zwölf Tage später stellte sich heraus: Der "Stern" hatte neun Millionen D-Mark - und den Quellenschutz - an eine Fälschung verschwendet. Den Beweis brachte ein technisches Gutachten des Bundesarchivs. "Stern"-Herausgeber Henri Nannen musste am 6. Mai einräumen:
"dass dieses Urteil des Bundesarchivs sehr ernst zu nehmen ist, und dass der Stern sich dem nicht entziehen kann..."
Der epochale Scoop wurde zur epochalen Blamage. Wie konnten bei einer Redaktion, deren Ruf auf gut recherchierten Enthüllungsstories basierte, alle Kontrollen versagen? Die Antwort besteht aus einem Wort: Geld.
Den Löwenanteil der "Stern"-Millionen wollte Heidemann selbst absahnen. Der hatte die Tagebücher von dem Fälscher Konrad Kujau gekauft, der im Hauptberuf mit Nazi-Souvenirs handelte. Als Ko-Autor der geplanten Hitler-Serie war Thomas Walde an Honoraren und Lizenzerträgen beteiligt. Der Leiter des "Stern"-Ressorts Zeitgeschichte war aber zugleich für die fachliche Prüfung des Stoffs zuständig. Das Resultat erläutert Manfred Bissinger in seinem Buch "Hitlers Sternstunde":
"Wer plötzlich Aussichten hat, übers Jahr zum Millionär zu werden, der hat kein Interesse mehr, sein Projekt durch allzu viele Fragen und Nachrecherchen zu gefährden."
Geld trübt den Blick. Viel Geld macht blind. Das galt auch für die Chefs des Verlags Gruner & Jahr. Vor Beginn der Hitler-Serie wurde der Heftpreis des "Stern" um ein Sechstel und die Auflage um ein Drittel erhöht.
"Der Stern steht im privatwirtschaftlich organisierten Zeitschriftenmarkt unter einem drückenden Erfolgszwang."
So heißt es in einem internen Untersuchungsbericht über das "Stern"-Desaster.
"Da große Geschichten auflagenträchtig sind und die Anzeigenkunden bei der Stange halten, ist jede Sensation willkommen (...). Vermeintliche Sensationen werden oft akzeptiert, ohne dass ihr Wahrheitsgehalt kritisch geprüft wird."
Diese "Knüller-Mentalität" ruinierte nicht nur den journalistischen, sondern auch den politischen Ruf eines Blattes, das sich als liberale Aufklärungsinstanz verstand. Denn welche Botschaft wollte der "Stern" it den Tagebüchern verkaufen?
"Schon der Umfang der Dokumentenfunde rechtfertigt die Schlussfolgerung: Die Geschichte des Dritten Reiches muss teilweise umgeschrieben werden."
So stand es im Editorial der ersten Hitler-Nummer. Im selben Heft wurden Kostproben der Mahlzeiten aufgetischt, die der "Stern" seinen Lesern über Monate zumuten wollte. Etwa diese Notiz des Führers über die Judenpogrome der "Kristallnacht" im November 1938:
"Es geht nicht, dass unserer Wirtschaft durch einige Hitzköpfe Millionen- und Aber-Millionenwerte vernichtet werden, allein schon an Glas (...). Sind diese Leute denn verrückt geworden? Was soll das Ausland dazu sagen? Werde sofort die nötigen Befehle herausgeben."
Die Bösen waren die Anderen. Zum Beispiel Gestapo-Chef Heinrich Himmler, über den der "Stern"-Hitler im November 1939 klagt:
"Dieser hinterhältige Kleintierzüchter mit seinem Drang zur Macht, dieser undurchsichtige Buchhaltertyp wird mich auch kennenlernen."
Chefredakteur Koch notierte dazu ergriffen:
"Wer ahnte auch nur, wie Hitler insgeheim seinem obersten Folterknecht Himmler misstraute (...). Die Tagebücher enthüllen es. Am heikelsten: Hitlers Äußerungen über die Juden."
Der letzte Satz lässt ahnen, in welche Richtung der "Stern" die Geschichte umschreiben würde. Kujaus Hitler hatte seinem Tagebuch auch anvertraut, dass er in Osteuropa Siedlungen plane, wo die Juden sich, so wörtlich, "selbst ernähren können". Das liefe auf eine ganz neue Erklärung von Auschwitz hinaus: Die Vernichtungslager als Werk des "hinterhältigen Kleintierzüchters" Himmler, geplant hinter dem Rücken des Führers.
Das ist der eigentliche Skandal der Hitler-Tagebücher. Nur das publizistische Fiasko verhinderte damals die viel größere politische Katastrophe: dass ein liberales Blatt mit einem braun eingefärbten Geschichtsbild Kasse macht.
Peter Koch am 25. April 1983. Der Chefredakteur des "Stern" will vor der versammelten Weltpresse nicht sagen, wie sein Blatt den Scoop des Jahrhunderts gelandet hat. Drei Tage später beginnt die Publikation der gefälschten Hitler-Tagebücher.
"Das ist ein Grundsatz unseres Hauses, dass wir unsere Quellen nicht preisgeben..."
Das Bekenntnis zum Quellenschutz war eine Notlüge besonderer Art. Der Chefredakteur des "Stern" wusste selbst nicht, woher die Tagebücher kamen. Selbst ihm hatte sein Redakteur Gerd Heidemann den Lieferanten nicht verraten. Zwölf Tage später stellte sich heraus: Der "Stern" hatte neun Millionen D-Mark - und den Quellenschutz - an eine Fälschung verschwendet. Den Beweis brachte ein technisches Gutachten des Bundesarchivs. "Stern"-Herausgeber Henri Nannen musste am 6. Mai einräumen:
"dass dieses Urteil des Bundesarchivs sehr ernst zu nehmen ist, und dass der Stern sich dem nicht entziehen kann..."
Der epochale Scoop wurde zur epochalen Blamage. Wie konnten bei einer Redaktion, deren Ruf auf gut recherchierten Enthüllungsstories basierte, alle Kontrollen versagen? Die Antwort besteht aus einem Wort: Geld.
Den Löwenanteil der "Stern"-Millionen wollte Heidemann selbst absahnen. Der hatte die Tagebücher von dem Fälscher Konrad Kujau gekauft, der im Hauptberuf mit Nazi-Souvenirs handelte. Als Ko-Autor der geplanten Hitler-Serie war Thomas Walde an Honoraren und Lizenzerträgen beteiligt. Der Leiter des "Stern"-Ressorts Zeitgeschichte war aber zugleich für die fachliche Prüfung des Stoffs zuständig. Das Resultat erläutert Manfred Bissinger in seinem Buch "Hitlers Sternstunde":
"Wer plötzlich Aussichten hat, übers Jahr zum Millionär zu werden, der hat kein Interesse mehr, sein Projekt durch allzu viele Fragen und Nachrecherchen zu gefährden."
Geld trübt den Blick. Viel Geld macht blind. Das galt auch für die Chefs des Verlags Gruner & Jahr. Vor Beginn der Hitler-Serie wurde der Heftpreis des "Stern" um ein Sechstel und die Auflage um ein Drittel erhöht.
"Der Stern steht im privatwirtschaftlich organisierten Zeitschriftenmarkt unter einem drückenden Erfolgszwang."
So heißt es in einem internen Untersuchungsbericht über das "Stern"-Desaster.
"Da große Geschichten auflagenträchtig sind und die Anzeigenkunden bei der Stange halten, ist jede Sensation willkommen (...). Vermeintliche Sensationen werden oft akzeptiert, ohne dass ihr Wahrheitsgehalt kritisch geprüft wird."
Diese "Knüller-Mentalität" ruinierte nicht nur den journalistischen, sondern auch den politischen Ruf eines Blattes, das sich als liberale Aufklärungsinstanz verstand. Denn welche Botschaft wollte der "Stern" it den Tagebüchern verkaufen?
"Schon der Umfang der Dokumentenfunde rechtfertigt die Schlussfolgerung: Die Geschichte des Dritten Reiches muss teilweise umgeschrieben werden."
So stand es im Editorial der ersten Hitler-Nummer. Im selben Heft wurden Kostproben der Mahlzeiten aufgetischt, die der "Stern" seinen Lesern über Monate zumuten wollte. Etwa diese Notiz des Führers über die Judenpogrome der "Kristallnacht" im November 1938:
"Es geht nicht, dass unserer Wirtschaft durch einige Hitzköpfe Millionen- und Aber-Millionenwerte vernichtet werden, allein schon an Glas (...). Sind diese Leute denn verrückt geworden? Was soll das Ausland dazu sagen? Werde sofort die nötigen Befehle herausgeben."
Die Bösen waren die Anderen. Zum Beispiel Gestapo-Chef Heinrich Himmler, über den der "Stern"-Hitler im November 1939 klagt:
"Dieser hinterhältige Kleintierzüchter mit seinem Drang zur Macht, dieser undurchsichtige Buchhaltertyp wird mich auch kennenlernen."
Chefredakteur Koch notierte dazu ergriffen:
"Wer ahnte auch nur, wie Hitler insgeheim seinem obersten Folterknecht Himmler misstraute (...). Die Tagebücher enthüllen es. Am heikelsten: Hitlers Äußerungen über die Juden."
Der letzte Satz lässt ahnen, in welche Richtung der "Stern" die Geschichte umschreiben würde. Kujaus Hitler hatte seinem Tagebuch auch anvertraut, dass er in Osteuropa Siedlungen plane, wo die Juden sich, so wörtlich, "selbst ernähren können". Das liefe auf eine ganz neue Erklärung von Auschwitz hinaus: Die Vernichtungslager als Werk des "hinterhältigen Kleintierzüchters" Himmler, geplant hinter dem Rücken des Führers.
Das ist der eigentliche Skandal der Hitler-Tagebücher. Nur das publizistische Fiasko verhinderte damals die viel größere politische Katastrophe: dass ein liberales Blatt mit einem braun eingefärbten Geschichtsbild Kasse macht.