Schwerpunkt Ukraine
Schwerpunkt des Gipfels ist vor allem die weitere Unterstützung der Ukraine im Kampf gegen den Angreifer Russland. Die von Kiew seit langem erhoffte Einladung zu einem NATO-Beitritt dürfte aber auch diesmal nicht erfolgen. Als Hauptgrund sehen Beobachter die Furcht vor allem der USA und Deutschlands vor einer Konfrontation mit Russland. Beim NATO-Gipfel im vergangenen Jahr in Vilnius hatten sich die Verbündeten lediglich auf die Formulierung geeinigt, "die Ukraine zu einem Bündnisbeitritt einzuladen, wenn die Verbündeten sich einig und Voraussetzungen erfüllt sind".
Auf dem diesjährigen Gipfel stehen weitere Militärhilfen für die Ukraine im Mittelpunkt. US-Präsident Biden sagte zum Auftakt ein weiteres Patriot-Luftabwehrsystem zu. Der ukrainische Präsident Selenskyj hatte im Vorfeld sieben Patriot-Luftabwehrsysteme zur Verteidigung gegen russische Angriffe gefordert. Zudem wollen die Staats- und Regierungschefs der Ukraine Militärhilfen im Umfang von 40 Milliarden Euro zusagen. Anders als vom scheidenden NATO-Generalsekretär Stoltenberg vorgeschlagen sind diese jedoch zunächst auf ein Jahr befristet. Stoltenberg hatte angeregt, der Ukraine über mehrere Jahre garantierte Hilfen zuzusichern, um dem russischen Präsidenten Putin zu zeigen, dass er nicht auf nachlassendes Engagement des Westens setzen könne. Doch unter anderem die USA wollten sich nicht langfristig verpflichten.
"NATO ist in keinster Weise überzeugend"
Die ehemalige beigeordnete NATO-Generalsekretärin Babst warf dem Militärbündnis vor diesem Hintergrund fehlenden politischen Willen vor. Es mangele an einer echten Eindämmungsstrategie gegen Russland, sagte Babst im Deutschlandfunk. Das liege unter anderem daran, dass unter den Mitgliedern auch Länder wie Ungarn, die Türkei und die Slowakei seien, die nach wie vor ein sehr enges Verhältnis zu Moskau pflegten.
Aber auch an Staaten wie Frankreich, Italien und Deutschland - die der Ukraine nach außen hin zwar wohlklingende Versprechungen machten, dann aber wenig Konkretes folgen ließen, was Kiew bei der Verteidigung gegen den Angreifer wirklich helfe. "Das ist für ein Bündnis, das von sich behauptet, das stärkste Militärbündnis der Welt zu sein, in keinster Weise überzeugend", betonte Babst.
Wachsende Sorge vor Trump
Doch nicht nur die Lage in der Ukraine beschäftigt die Gipfel-Teilnehmer. Auch die politischen Verhältnisse in den USA spielen eine Rolle. Gastgeber des Gipfels ist zwar US-Präsident Biden, doch auch sein Herausforderer Trump ist indirekt präsent. So lässt sich an einigen der geplanten Gipfelbeschlüsse ablesen, wie sich die Allianz für einen möglichen Erfolg Trumps bei den Präsidentschaftswahlen im November wappnet. Die Staats- und Regierungschefs wollen zum Beispiel einen Plan beschließen, der die Ukraine-Hilfen auch im Falle eines Trump-Siegs sichern soll.
Zudem geben inzwischen 23 der 32 Mitgliedsländer mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für die Verteidigung aus. Auch das lässt sich als eine Reaktion auf Trump lesen, der in der Vergangenheit wiederholt deutlich gemacht hatte, dass ein Land, das zu wenig Geld für Verteidigung ausgibt, im Falle eines russischen Angriffs von den USA möglicherweise nicht mehr verteidigt würde.
Unter besonderer Beobachtung steht in Washington auch US-Präsident Biden. Die Diskussionen um den Gesundheitszustand des 81-Jährigen und die Frage, ob er noch fit genug ist für das Amt des Präsidenten, ist allgegenwärtig. Mit besonderer Spannung wird die Abschlusspressekonferenz am Donnerstag erwartet, bei der Biden auch Fragen von Journalisten beantworten will. Zum Auftakt habe Biden aber eine kraftvolle Rede gehalten, berichtet unser Sicherheitskorrespondent Marcus Pindur. Diese habe er allerdings vom Teleprompter abgelesen, weshalb sie vielen US-Journalisten nicht als Maßstab gelte.
Umgang mit China weiteres wichtiges Thema
Wichtige Themen des NATO-Gipfels sind zudem der Umgang mit China sowie eine verstärkte Zusammenarbeit mit Partnern im Indopazifik-Raum. Beim letzten Gipfel in Litauen hatten Mitgliedsländer "die von der Volksrepublik China erklärten Ziele und ihre Politik des Zwangs" kritisiert, sich jedoch "offen für eine konstruktive Zusammenarbeit" gezeigt. Auf Druck der USA wird in Washington nun eine härtere Sprache erwartet. So dürften die Verbündeten in ihrer Abschlusserklärung auch Kritik an Chinas Unterstützung für den russischen Angriffskrieg üben.
75 Jahre NATO: Vergangenheit und Zukunft des Militärbündnisses
Diese Nachricht wurde am 10.07.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.