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Dreizehn Jahrhunderte währender Sklavenhandel

Im Laufe der Jahrhunderte wurden rund 17 Millionen Schwarze in arabische Länder verschleppt. Eine Art der Sklaverei, die bislang weniger thematisiert wurde. Ein Buch, das zunächst in Frankreich erschien, arbeitet dieses Kapitel der arabischen Geschichte nun auf.

Von Daniel Blum |
    Der Orient? Terror, Autobomben, Selbstmordattentäter – das fällt uns Europäern des 21. Jahrhunderts ein, wenn wir an das Morgenland denken. Mit dem das Abendland im 19. Jahrhundert noch ganz andere Bilder - und schwelgerische - verknüpfte. Alt und jung verschlangen vorm Zubettgehen die populären Märchen aus Tausendundeiner Nacht - und träumten von Sultanpalästen und Harems. Davon, dass die Orientalen märchenhaft reich und märchenhaft schön lebten, sich von glutäugigen Sklavinnen verwöhnen ließen und von treu ergebenen Eunuchen bewachen. Von Sexsklavinnen und zwangsweise verstümmelten Kastraten, deren Dienste ihre Herren in der Unterhaltungsliteratur verkitschten. Für Frischfleisch sorgten Jäger, die das benachbarte Afrika durchkämmten. Tidiane N'Diaye schreibt:

    Die Sklavenhalter, Berber oder Araber aus dem Norden und Tuareg, gerierten sich gegenüber den schwarzafrikanischen Bevölkerungsgruppen wie Piraten. Sie kamen aus den Tiefen der Sahara, überfielen die senegalesischen oder malischen Dörfer, raubten Frauen und Kinder, die unter unsäglichen Qualen durch die Wüste bis zu den nächstgelegenen Oasen verschleppt wurden.
    "Der verschleierte Völkermord", nennt der Senegalese Tidiane N'Diaye sein Buch, im Untertitel: "Die Geschichte des muslimischen Sklavenhandels in Afrika". Ein Thema, über das hier im Westen wenig bekannt ist: Unser Blick richtet sich auf den Sklavenhandel der Europäer, die Millionen Afrikaner auf die Plantagen Süd- und Nordamerikas verschleppten. Doch in Schwarzafrika gingen auch andere Sklavenjäger auf Raubzug und entführten ihre Beute in die arabischen Staaten. Der senegalesische Anthropologe und Wirtschaftswissenschaftler Tidiane N'Diaye schreibt, wie der muslimische Sklavenhandel bereits im 7. Jahrhundert seinen Anfang nahm, als sich die Nubier den überlegenen arabischen Truppen beugen und verpflichten mussten, jedes Jahr 360 Menschen aus ihren Reihen dem Feind auszuliefern.

    Hatte der transatlantische Sklavenhandel vier Jahrhunderte gewährt, so haben die Araber dreizehn Jahrhunderte lang den afrikanischen Kontinent südlich der Sahara ununterbrochen geplündert. Es geht überhaupt nicht darum, die Geschichte oder die Erinnerungskulturen ethnischen Kategorien zuzuordnen, weil damit der Opferhierarchisierung Tür und Tor geöffnet werden würde. Doch man kann mit Fug und Recht sagen, dass der von den erbarmungslosen arabomuslimischen Räubern betriebene Sklavenhandel weitaus verheerender für Schwarzafrika war als der transatlantische Sklavenhandel.
    Tidiane N'Diaye spielt den europäischen Sklavenhandel keineswegs runter, vertritt aber vehement die Ansicht, dass der muslimische Sklavenhandel noch folgenschwerer war. Eine für die meisten westlichen Leser überraschende Aussage - die der Autor an Zahlen festmacht. Er bezieht sich dabei auf den US-amerikanischen Historiker Ralph A. Austen. Dieser schätzt, dass die arabischen Sklavenhändler insgesamt etwa neun Millionen Afrikaner raubten und auf ihren Karawanen durch die Sahara mitnahmen. N'Diaye veranschlagt, dass dazu acht Millionen weitere Schwarzafrikaner kommen, die aus Ostafrika auf dem Seeweg in den Orient deportiert wurden. Zu diesen siebzehn Millionen Opfern zählt der Autor auch diejenigen, die bei der Überführung starben. Zwölf bis dreizehn Millionen Afrikaner wurden demgegenüber vermutlich beim transatlantischen Sklavenhandel nach Amerika verschleppt. Solche Opferzahlen spiegeln natürlich nur ansatzweise wider, welche verheerenden Folgen der Sklavenhandel für Afrika hatte. Die Überfälle der Sklavenjäger entvölkerten das fruchtbare Land, sorgten für Verzweiflung und provozierten anarchische Gewalt, zerstörten Dörfer und Gemeinschaften. Europäische und amerikanische Historiker bestehen jedoch darauf, dass es in Schwarzafrika bereits vor Ankunft der Europäer und Araber Sklaverei gegeben habe. N'Diaye weist dies zurück: Der Status der unfreien Knechte und Mägde in den traditionellen afrikanischen Gesellschaften sei eher mit denen der Leibeigenen im mittelalterlichen Europa zu vergleichen gewesen.

    Die verschiedenen Unterjochungsformen in den meisten schwarzafrikanischen Gesellschaften können unter keinen Umständen mit den Gräueln des arabomuslimischen und transatlantischen Sklavenhandels verglichen werden, das heißt mit Methoden, die mit massiven Deportationen, Verstümmelungen, Morden einhergingen.
    Problematisch ist, dass N'Diaye seine Aussagen häufig gar nicht oder unklar belegt. Es gibt zwar eine Bibliografie, aber keine einzige Fußnote. Bei wörtlichen Zitaten werden die Quellen nur sporadisch benannt. Teilweise erklärbar wird dieser Verzicht dadurch, dass N'Diaye erklärtermaßen auch Quellen benutzt, die westliche Wissenschaftler in der Regel nicht als seriös erachten: Der Senegalese bezieht sich ausdrücklich auch auf die mündliche Geschichtsschreibung der afrikanischen Völker, in der sich Legenden mit der Erinnerung an reale historische Ereignisse untrennbar mischen. Schriftliche Quellen sind sicher nicht per se zuverlässig, aber es irritiert schon, dass N'Diaye die Erzählungen von wandernden Sängern und Volksmagiern explizit als "sehr genau" bezeichnet. Insgesamt drängt sich der Eindruck auf, dass der Autor auf Biegen und Brechen versucht, zu allen Aspekten des Themas klare Aussagen zu machen, auch wenn dies die Quellenlage nicht immer hergibt. Viel zu oft verwendet er Formulierungen wie "allem Anschein nach", die schlecht kaschieren, dass er an dieser Stelle etwas nicht weiß, sondern bloß rät. Bei aller handwerklichen Kritik, zugutehalten muss man N'Diaye, dass er sich nicht scheut, die schwarzafrikanischen Komplizen der Sklavenhändler zu benennen: einheimische Herrscher, die häufig ihre eigenen Landsleuten in die Fremde verkauften.

    Die Verantwortung, die diese habgierigen Stammesfürsten und anderen geldgierigen Verräter dabei trugen, ist allzu offensichtlich. Tragisch ist die Mitwirkung von einheimischen Potentaten, die sich aus Profitgier wenig um das Schicksal ihrer Landsleute scherten.
    Plastisch, ja drastisch formuliert N'Diaye, dennoch kommt sein Buch stilistisch des Öfteren holprig daher. Zudem gelingt es dem Autor nicht, seine Gedankengänge in Ruhe zu entwickeln, viel zu oft hüpft er thematisch und chronologisch hin und her. Diese vielen handwerklichen Mängel sind jammerschade, denn inhaltlich ist der Titel packend und erschütternd. Welche Leser werden schon gewusst haben, dass es in Ostafrika eine regelrechte Kastrationsindustrie gab? Arabische Haushalte kauften ihre Diener am liebsten entmannt ein, aus dem selben Grund, aus dem heute Hunde- und Katzenbesitzer ihre Tiere operieren lassen: Es macht einfach weniger Scherereien. Der Islam verbot allerdings den Gläubigen, Sklaven zu verstümmeln, deshalb ließen die Sklavenhändler ihre schwarzafrikanische Beute massenhaft bei nicht-muslimischen Spezialisten in Abessinien und Oberägypten kastrieren – eine makabre Frühform der Globalisierung.


    Tidiane N'Diaye: "Der verschleierte Völkermord - Die Geschichte des muslimischen Sklavenhandels". Rowohlt, 256 Seiten, Euro 19,95, ISBN: 978-3-498-04690-3