Der Bund hat nach der Hochwasserkatastrophe Soforthilfen für die Menschen in den betroffenen Orten und Regionen beschlossen. Dabei soll es vor allem um schnelle Unterstützung für die unmittelbar Betroffenen gehen. Doch auch drei Wochen nach der Katastrophe konnte die grundlegende Infrastruktur noch nicht wiederhergestellt werden.
Aus dem Ahrtal gibt es deshalb zahlreiche Forderungen nach einem Bundesbeauftragten. Eine übergeordnete Koordinationsstelle sollte die Aufräumarbeiten und den Wiederaufbau organisieren, lautet die Forderung zahlreicher Bürgermeister aus der Region. Finanzminister Olaf Scholz (SPD) hat den von den Kommunen geforderten Sonderbeauftragten allerdings schon abgelehnt. Die Länder müssten die Sache in die Hand nehmen und sich dabei auf die Unterstützung des Bundes verlassen können, so Scholz.
Dreyer: Sonderbeauftragter nicht auf Bundes-, sondern auf Landesebene
Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer ist dieser Meinung. Im Dlf sagte die SPD-Politikerin, es brauche keinen Sonderbeauftragten, sondern eine belastbare Struktur vor Ort. "Die haben wir geschaffen", betonte Dreyer. Natürlich werde es aber einen Sonderbeauftragten auf Landesebene geben.
Eine Sondersitzung von Bundesrat und Bundestag, die einen Hilfsfonds möglichst früh auf den Weg bringen könnte, befürwortet Dreyer hingegen. "Es wäre schön, wenn das möglichst schnell gehen wird, weil die Menschen das als klares Signal sehen, wenn der Wiederaufbaufonds kommt, dass dann tatsächlich auch Bund und Länder die Menschen nicht alleine lassen."
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Das Interview im Wortlaut:
Stefan Heinlein: Sie sind heute erneut unterwegs ins Ahrtal, in das Katastrophengebiet. Wie werden die Menschen dort ihre Ministerpräsidentin empfangen? Was erwarten Sie?
Malu Dreyer: Ich war jetzt schon sehr häufig in diesem Katastrophengebiet, auch in der Westeifel, und in der Regel ist es so, dass es sehr, sehr konstruktive Gespräche sind. Ich spreche mit vielen Betroffenen, mit den Kommunalpolitikern und Politikerinnen, und natürlich, es ist da ganz viel Sorge. Es ist ein Trauma, was über diesen Landstrich gekommen ist. Die Menschen haben unglaublich Schlimmes, Schreckliches erlebt und das Ausmaß der Not ist riesig. Es ist unvorstellbar groß, weil vieles zerstört ist, die Eigenheime, die Unternehmen, die vielleicht auch gerade neu eröffnet haben, die Landwirtschaft, der Weinbau. Sie haben es eben ja selbst dargestellt: Straßen, Kanäle, Strom, Wasser, Telekommunikation, Versorgung, alles am Boden. Insofern gibt es dort auch wirklich ganz viel Angst vor der Zukunft, aber auf der anderen Seite auch so viele Menschen, die anpacken, die solidarisch sind. Auch das ist unglaublich und davor habe ich auch immer einen ganz, ganz großen Respekt und sage immer, auch wenn ich vor Ort bin, ein ganz herzliches Dankeschön dafür, aber auch, dass die Politik natürlich die Menschen da nicht alleine lässt. Selbstverständlich nicht.
"Vieles musste sich da erst mal neu einspielen"
Heinlein: Wir haben einigen Frust, einige Enttäuschung im Bericht gerade gehört. Frau Dreyer, haben die Menschen im Ahrtal auch das Recht, enttäuscht zu sein, frustriert zu sein von der Politik, oder sogar wütend auf Bund und Länder?
Dreyer: Die Menschen haben das Recht ohnehin, und dass da ganz viel Frust und Enttäuschung ist, auch das ist ja gar nicht überraschend. Aber ich kann jetzt hier einfach noch mal sagen, zu Beginn dieser Katastrophe hat da wirklich das blanke Chaos geherrscht. Sie müssen sich vorstellen, in welcher Situation das ganze Tal dort war. Wir haben ja nach einigen Tagen die Einsatzleitung durch das Land auf Bitten des Landrates übernommen und auch vieles musste sich da erst mal neu einspielen. Wir haben im Schnitt sechs, 7.000 Helferinnen und Helfer im Ahrtal alleine unterwegs, die anpacken, die helfen, vom THW, der Feuerwehr, der Polizei, natürlich die Bundeswehr, die ganz, ganz vieles bewegen.
Aber natürlich gab und gibt es auch Menschen, die in dieser Situation vor allem auf sich gestellt waren, und deshalb kann ich gut nachvollziehen, dass da vielleicht das Vertrauen nicht so groß ist. Aber seit einigen Tagen, glaube ich, hat sich diese Situation wirklich maßgeblich verändert. Jetzt ist es ein gemeinsames Aufräumen und die Bergungsarbeiten werden gemeinsam angepackt. Sie kennen wahrscheinlich auch die Berichte und die Bilder, wo die ersten Behelfsbrücken bebaut werden. Wir hätten es ohne die Menschen nicht geschafft, die angepackt haben. Das sind die ganzen Lohnunternehmer. Es sind die Bauern, die Landwirte, die vor Ort waren. Das war schon toll, dass sie alle da waren, um zu helfen.
Heinlein: Frau Dreyer, es herrschte das blanke Chaos. Sind Sie denn als Ministerpräsidentin vollständig zufrieden mit der Arbeit Ihrer Behörden, mit der Koordination und Kommunikation? Oder gab es da Dinge und gibt es Dinge, die man besser hätte machen können und machen kann?
Dreyer: Zu Beginn vor allem gab es immer wieder die Frage der Kommunikation. Aber wen wundert es. Die Erreichbarkeit war ja komplett zusammengebrochen. Dass da natürlich Ansprüche und Anforderungen aus dem Tal kamen, die nicht sofort und 100 Prozent umgesetzt wurden, auch das gab es selbstverständlich. Aber ich denke, dass innerhalb weniger Tage, oder die Behörden, der Einsatzstab mit den ganzen Katastrophenschützern, die ich eben genannt habe, doch Stück für Stück die Kommunikation besser gelungen ist und vor Ort auch entsprechend eingesetzt wurde.
"Ich finde, dass das föderale System sehr gut geklappt hat"
Heinlein: Hat diese Katastrophe, Frau Dreyer, die niemand in dieser Form vorhersehen konnte, die Schwachstellen bei der Krisenkommunikation und auch bei der Krisenbewältigung offengelegt? Es gibt ja Stimmen, die sagen, das föderale System des Katastrophenschutzes, das muss jetzt überdacht werden.
Dreyer: Ich finde, dass das föderale System sehr gut geklappt hat und auch die Zusammenarbeit zwischen dem Land, den Ländern und dem Bund klappt hervorragend. Es war überhaupt von Anfang an vollkommen klar, dass das THW, dass die Bundeswehr da ist, dass Feuerwehren aus dem ganzen Bundesland gekommen sind. Wir Bundesländer sind es absolut gewohnt, bei Krisen, bei schwierigen Situationen sofort unsere Hilfsgruppen in die anderen Bundesländer zu schicken, und genau dasselbe hat stattgefunden. Ich habe es eben gesagt: Wenn man zwischen sechs und 7000 Helferinnen und Helfer täglich vor Ort hat, dann weiß man, dass das wirklich gut funktioniert.
Natürlich müssen wir den Katastrophenschutz an vielen Stellen auch noch mal überdenken. Das Thema Warnen, Kommunikation, das hat ja auch in der Krisennacht eine große Rolle gespielt. Ich war im Ahrtal am Morgen nach der Katastrophe. Ich habe zusammen mit dem Innenminister eine Frau getroffen, die gesagt hat, Katwarn hat mich noch mal wachgerüttelt. Ich bin aufgestanden, habe mir die Ahr angeguckt, habe meine Kinder geschnappt und bin in höhere Lagen gegangen. Andere berichten, dass sie keine Warnung gehört haben, dass sie nicht gewarnt worden sind, und natürlich muss dieses Thema, wie warnt man eine Bevölkerung rechtzeitig, auf die Tagesordnung. Da muss man natürlich Schlüsse daraus ziehen. Wie könnte man nach so einer Katastrophe keine Schlüsse daraus ziehen? Das wäre wirklich überhaupt gar nicht denkbar für mich.
Heinlein: Nun geht der Blick voraus, Frau Dreyer, Richtung Wiederaufbau, und da gab es in dieser Woche einen sehr lauten Hilferuf aus dem Ahrtal, ein Schreiben vieler Bürgermeister an den Bund und auch an Sie, an das Land Rheinland-Pfalz, mit vielen konkreten Forderungen – unter anderem nach einem Sonderbeauftragten für den Wiederaufbau des Ahrtals. Ihr Parteifreund Olaf Scholz hat das bereits abgelehnt. Gehen Sie mit den Bürgermeistern oder mit Ihrem Parteifreund Olaf Scholz?
Dreyer: Ich will erst mal sagen, dass dieser offene Brief wirklich ein sehr konstruktiver Brief ist mit ganz, ganz vielen Vorschlägen, und viele dieser Vorschläge sind auch auf dem Weg. Ich persönlich bin auch der Auffassung, dass wir keinen Sonderbeauftragten des Bundes brauchen, sondern wir brauchen eine belastbare Struktur, die auch zwischen Land und Bund gut funktioniert. Wir haben in den ersten Tagen der Krise gezeigt, dass das auch wirklich gut funktioniert. Wir haben die Soforthilfe mit dem Bund sofort auf den Weg gebracht. Wenn Sie sehen, dass inzwischen fast 19 Millionen Euro ausgezahlt sind an Soforthilfen, dann sehen Sie auch, dass die Abwicklung sehr, sehr gut läuft.
Natürlich brauchen wir in Zukunft auch den Bund und die anderen Bundesländer, beispielsweise was den Wiederaufbau-Fonds betrifft, aber wir brauchen vor allem eine belastbare Struktur vor Ort. Die haben wir geschaffen. Wir haben eine Wiederaufbau-Abteilung geschaffen mit Expert*innen, Städtebau, Dorferneuerung, Wasserwirtschaft, Umwelt, Wirtschaft, Landwirtschaft, alles was dazugehört. Natürlich haben wir Ansprechpartner, die vor Ort sein werden, damit auch die Bürgermeister, die Kommunen einen ganz klaren Ansprechpartner, eine Ansprechpartnerin haben.
Wir haben eine politische Steuerungsgruppe auf den Weg gebracht, die zuständigen Staatssekretäre. Das wird vom Chef der Staatskanzlei gesteuert. Und auf der Bundesebene gibt es ja auch bereits eine Arbeitsgruppe, mit der wir eigentlich täglich im Kontakt sind, so dass das gut funktioniert. Ich denke, dass man vor Ort wirklich sein muss, um die Lage auch in der ganzen Komplexität letztendlich gut gestalten zu können.
"Natürlich werden wir einen Beauftragten haben auf der Landesebene"
Heinlein: Es braucht keinen Sonderbeauftragten, sagen Sie. Braucht es denn eine Sondersitzung von Bundestag und Bundesrat?
Dreyer: Noch mal zum Sonderbeauftragten. Natürlich werden wir einen Beauftragten haben auf der Landesebene. Es geht ja um die Frage, muss beim Bund jemand sein. Das ist die Entscheidung des Bundes. Wenn er die Struktur anders darstellt, ist das absolut in Ordnung aus unserer Sicht. Wir brauchen eine enge Zusammenarbeit und ich habe den Eindruck, dass das auch in Zukunft laufen wird.
Ich plädiere sehr, auch wenn es nicht meine Sache ist als Ministerpräsidentin, dafür, dass der Bundestag sich möglichst schnell trifft. Da bin ich mir auch ganz und gar einig mit Rolf Mützenich, unserem Fraktionsvorsitzenden auf der Bundesebene, dass wir sagen, wir bringen diesen Hilfsfonds ganz, ganz schnell auf den Weg. Deshalb wäre es schön, weil es darüber auch eine Einigkeit gibt, wenn das möglichst schnell gehen würde, weil die Menschen natürlich das als klares Signal sehen, wenn der Wiederaufbau-Fonds kommt, dass dann tatsächlich auch Bund und Länder die Menschen nicht alleine lassen, sondern dass wir nicht nur mit Hilfen da sind, mit sehr viel Geld, sondern dass wir auch die Struktur haben, um vor Ort die Dinge gemeinsam mit zu gestalten.
Heinlein: Frau Dreyer, mit Rolf Mützenich sind Sie sich einig. Haben Sie denn schon Reaktionen aus den anderen Staatskanzleien mit Blick auf diese Bundestags-, Bundesrats-Sondersitzung? Armin Laschet etwa aus NRW ist da ja eher skeptisch. Er will erst Anfang September im Bundestag darüber entscheiden lassen.
Dreyer: Wir sind ja mit den Ministerpräsidenten im engen Kontakt. Viele haben sich bei uns gemeldet, auch über die Chefs der Staatskanzleien. Denn das Allerwichtigste ist ja, dass bei diesem Wiederaufbau-Fonds auch alle Bundesländer mitmachen, ähnlich wie es damals in Sachsen der Fall war. Wir können das nicht alleine stemmen. Es ist eine so ungeheuerlich große Aufgabe. Da haben wir ganz viel Zuspruch bekommen, ganz viel Bereitschaft, diesen Wiederaufbau-Fonds gemeinsam zu tragen, der Bund und die Bundesländer, und die Frage, wann jetzt die Sitzung ist, die soll jetzt nicht zum Streitapfel werden aus meiner Sicht, sondern sie sollten sich auf Bundesebene darüber verständigen. Je früher der Wiederaufbau-Fonds kommt umso besser für uns alle.
Impfung: Viele Anreize schaffen, um die Menschen zu überzeugen
Heinlein: Gestatten Sie mir zum Schluss unseres Gespräches eine Frage zu einem anderen Thema der Ministerpräsidentenkonferenz Anfang kommender Woche. Es geht um die künftige Corona-Politik. Jens Spahn plant offenbar Verschärfungen für Ungeimpfte. Ist das, Frau Dreyer, der richtige Weg, um die Impfbereitschaft zu erhöhen?
Dreyer: Wir sind eigentlich immer noch der Auffassung, dass wir alles tun müssen, um die Menschen zu erreichen mit Impfangeboten. Das heißt, wir sind mit Bussen im ganzen Land zum Beispiel unterwegs, um möglichst viele Menschen vor Ort direkt anzutreffen, schnell impfen zu lassen und zu sagen, alles ist unkompliziert, bitte macht mit, möglichst viele Anreize zu schaffen, um die Menschen zu überzeugen. Ich glaube, was wichtig ist, dass wir nach wie vor auch sehen, dass Menschen, die sich entscheiden, dass sie sich nicht impfen lassen, wenigstens durch einen Test die Möglichkeit der Partizipation in der Gesellschaft haben. Die Frage, ob dieser Test in Zukunft finanziert wird, da, glaube ich, muss man wirklich drüber nachdenken, sobald für alle Menschen das Impfangebot steht.
Heinlein: Sind Sie für die Vorschläge oder gegen die Vorschläge von Jens Spahn? Das habe ich nicht ganz verstanden.
Dreyer: Ich glaube, im Moment ist das eine ein bisschen zu verfrühte Debatte. Ich kann mir schlecht vorstellen, dass der Staat die Menschen komplett ausschließt und sagt, ein Test wird nicht gleichgestellt mit dem Thema Impfen. Aber es kann durchaus sein, dass wir in eine Situation geraten, wo wir wieder in Schwierigkeiten geraten, was die Pandemie betrifft, und dass dann beispielsweise private Anbieter sagen, ich möchte öffnen für nur Geimpfte und Ähnliches, und dann wird ein Staat auch nicht intervenieren können. Deshalb wäre ich im Moment dafür, dass wir nach wie vor die drei Gs anwenden, nämlich geimpft, genesen oder getestet, dass die Menschen aber für ihre Tests auch selber aufkommen müssen und wir weiter werben fürs Impfen.
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