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Dritter Ökumenischer Kirchentag
Unter Rechtfertigungsdruck

Kirchentage werden fast zur Hälfte von öffentlichen Geldern finanziert. Das führt regelmäßig zu Kritik, denn immer mehr Gläubige wenden den Kirchen den Rücken zu. Die Veranstalter versuchen dem zu begegnen, indem sie auch kirchenferne Positionen einbinden.

Von Rainer Brandes |
Lutz Hüser, Abteilungsleiter Helfende Dienste des 3. Ökumenischen Kirchtags (ÖKT) in Frankfurt am Main, trägt in der ÖKT-Geschäftsstelle ein Schild mit der Aufschrift "schaut hin". Die Coronapandemie hat die Organisatoren des 3. Ökumenischen Kirchentags zum Umplanen gezwungen. Sie setzen nun auf vorwiegend digitale Treffen.
Der Ökumenische Kirchentag trägt in diesem Jahr das Motto "Schaut hin" (picture alliance / dpa / Arne Dedert)
Das hat es in Deutschland noch nicht gegeben: Der Bundespräsident will einen hochrangigen katholischen Bischof mit dem Bundesverdienstkreuz ehren – und der lehnt ab. Allerdings nicht, weil er etwas gegen Verdienstkreuze hätte, sondern weil er sich von der Öffentlichkeit dazu gedrängt sieht. Genauso ist es gerade Reinhard Marx passiert, Erzbischof von München und Freising, Kardinal und lange Jahre Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.

Protest gegen Bundesverdienstkreuz für Marx

"Auf der rein persönlichen Ebene hat mich das Ganze erschrocken", sagt Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und gleichzeitig auf katholischer Seite Präsident des Dritten Ökumenischen Kirchentages. Was war passiert?
Das Foto zeigt Kardinal Reinhard Marx, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, auf einer Pressekonferenz.
Reinhard Kardinal Marx lehnte das Bundesverdienstkreuz ab (picture-alliance / dpa / Andreas Arnold)
Nachdem das Bundespräsidialamt bekannt gegeben hatte, Reinhard Marx mit dem Bundesverdienstkreuz ehren zu wollen, gab es einen Proteststurm, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Katholischen Kirche. Der Grund: Gegen Reinhard Marx gibt es Vorwürfe, er habe in seiner Zeit als Bischof von Trier nicht korrekt gehandelt, als es um die Aufklärung sexualisierter Gewalt durch Priester seines Bistums ging. Nach wenigen Tagen erklärte der Erzbischof dann, auf die Annahme der Ehrung zu verzichten. Thomas Sternberg glaubt, dass sich seine Kritikerinnen und Kritiker nicht ausreichend mit Reinhard Marx‘ Einstellung beschäftigt hätten:
Dunkle Wolken über dem Kölner Dom. Diverse Initiativen protestieren am Tag der Veröffentlichung des neuen Gutachtens zum Umgang mit sexuellem Missbrauch im Erzbistum Köln gegen die schleppende Aufarbeitung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche. 
Verschleppte Aufarbeitung - Die katholische Kirche in der Krise
Jahrelang wurden in der katholischen Kirche Fälle von sexueller Gewalt gegen Kinder nur zögerlich aufgearbeitet. Dabei besonders im Fokus: das Erzbistum Köln. Das will jetzt aufklären – aber vielen Gläubigen reicht das nicht.
"Kurz vorher war die Meldung gekommen, dass Kardinal Reinhard Marx praktisch seine gesamten Ersparnisse in eine Stiftung eingebracht hat für Missbrauchsopfer. Und wenn dann wegen einer solchen Kritik eine absolut verdiente Ehrung nicht angenommen wird, oder angenommen werden kann, dann hat mich das schon sehr tief erschrocken. Ich finde allerdings den Schritt von Reinhard Marx außerordentlich honorig, um diese extrem erregte öffentliche Debatte nicht weiter anzuheizen."

Kritik an den Kirchen färbt ab

Dieser Vorfall wirft ein Schlaglicht darauf, wie sich das Verhältnis von Kirche und Öffentlichkeit verändert hat. Weite Teile der Öffentlichkeit sind – anders als politische Eliten – nicht mehr ohne Weiteres bereit, die Kirchen als tragende Säulen der Gesellschaft zu akzeptieren. Für die Kirchentagsbewegung kann das zu einem Problem werden. Kirchen- und Katholikentage leben von dem Anspruch, politische Debattenorte für die Gesamtgesellschaft zu sein. Julia Helmke ist das sehr bewusst. Als Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages spürt sie die wachsenden Vorbehalte.
von links: Bischof Georg Bätzing, Kirchenpräsident Volker Jung, Kirchentags-Generalsekretärin Julia Helmke, ÖKT-Präsident Thomas Sternberg, ÖKT-Präsidentin Bettina Limperg, ZdK-Generalsekretär Marc Frings
Kirchentags-Generalsekretärin Julia Helmke (Mitte) zusammen mit Bischof Georg Bätzing, Kirchenpräsident Volker Jung, ÖKT-Präsident Thomas Sternberg, ÖKT-Präsidentin Bettina Limperg, ZdK-Generalsekretär Marc Frings (v. l.) (ÖKT)
"Dass wir natürlich auch als Kirchentagsbewegung spüren, wie es den Kirchen geht, weil man ja doch auch sehr nah damit verbunden wird, ja, das ist spürbar", sagt Helmke.

"Eine plurale Gesellschaft braucht solche Veranstaltungen"

Die Kirchen- und Katholikentage versuchen dem zu begegnen, indem sie auch kirchenferne Positionen einbinden. So hat es während des Evangelischen Kirchentages 2019 in Dortmund Diskussionsveranstaltungen mit säkular eingestellten Gruppen wie dem Humanistischen Verband gegeben. Auch der evangelische Theologieprofessor und langjährige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock, hat daran teilgenommen. Für ihn ist das die große Stärke von Kirchentagen:
"Eine immer pluraler werdende Gesellschaft braucht eigentlich solche Veranstaltungen wie einen Evangelischen Kirchentag mehr denn je. Denn: Wo haben wir sonst in dieser bundesrepublikanischen Gesellschaft eine Veranstaltung, in der so viele unterschiedliche Programmformate von kleinen Diskussionen bis zu Diskussionen mit Riesenforen mit 10.000 Leuten, bei der sich eine bedeutende Persönlichkeit nach der anderen die Klinke in die Hand gibt? So ein Fest, wenn es das nicht gäbe, müsste man erfinden", so Dabrock.

Vertrauen zurückgewinnen

All das fällt in diesem Jahr pandemiebedingt weg. Dennoch glaubt Präsident Thomas Sternberg, dass dieser abgespeckte Kirchentag gerade für die katholische Kirche wichtig ist.
ÖKT-Präsident Thomas Sternberg
ÖKT-Präsident Thomas Sternberg (ÖKT)
"Ich glaube, dass man Vertrauen nur dadurch zurückgewinnen kann, wenn man richtig handelt und sich richtig verhält. Das betrifft aber nicht allein die Frage von Aufarbeitung oder Umgang mit dem zugrundeliegenden schrecklichen Problem dieses Missbrauchs, sondern das gilt natürlich auch für andere Felder. Und wenn es uns gelingt, im Ökumenischen Kirchentag deutlich zu machen, dass wir Christen sind vor allen Dingen deswegen, um in der Gesellschaft wirksam zu sein, Sauerteig zu sein, Salz der Erde zu sein, um da wirklich anderen zu dienen und zu helfen, dann kann man auf diese Weise, denke ich, die zarte Pflanze Vertrauen wieder pflegen."

Zur Hälfte von der öffentlichen Hand finanziert

Allerdings: Die Zeiten, in denen Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen in der Öffentlichkeit einen Vertrauensvorschuss genossen, die sind endgültig vorbei. Auch die Kirchentage müssen sich immer wieder vor der Gesellschaft rechtfertigen. Immerhin werden sie zu gut der Hälfte von der öffentlichen Hand finanziert. Das führt regelmäßig zu Kritik. Für den Theologen Peter Dabrock muss das aber keine negative Entwicklung sein. Die Kirchen müssten eben lernen, nur noch eine von vielen möglichen Deutungen anzubieten:
Jurist über Staatsleistungen an die Kirchen: "Politiker haben Angst vor den Kirchen"
Mehr als eine halbe Milliarde Euro pro Jahr bekommen die Kirchen aus Steuermitteln. Die Oppositionsparteien haben zwei Gesetzentwürfe vorgelegt, die ein Ende dieser sogenannten Staatsleistungen vorsehen.
"Wenn man sagt, dass die Religion, oder die Kirchen in Deutschland insbesondere, daherkommen und sagen, wir treten als moralische Instanz auf, wir haben das Wächteramt für die Gesellschaft, das sind Formulierungen, die auch angesichts des Glaubwürdigkeitseinbruchs in den letzten zehn Jahren doch für viele Menschen hohl klingen."

Austrittszahlen auf Rekordhöhe

Zumal für Menschen, die sich keiner Kirche zugehörig fühlen. Und das werden immer mehr. Die Austrittszahlen liegen in beiden großen Kirchen auf Rekordhöhe. Noch ist gut die Hälfte aller Deutschen Mitglied entweder in der katholischen oder der evangelischen Kirche. Bald wird es wohl schon weniger als die Hälfte sein. Das hat auch Konsequenzen für die Kirchentagsbewegung, sagt Generalsekretärin Julia Helmke:
"Auch dieser Frage stellen wir uns natürlich und werden auch die Themen, die in der Luft liegen und die wir auch als Kirchentag in der Vergangenheit immer auch schon aufgenommen haben als Zeitansage, als die wir uns verstehen, dass wir auch das künftig natürlich mit in den Blick nehmen. Was bedeutet das auch vielleicht als Christen, einmal in einer Minderheitsgesellschaft zu sein? Was bedeutet das? Das ist für uns eine Herausforderung, der wir uns als Kirchentagsbewegung stellen wollen."

Rückzug aus dem politischen Raum?

Eine Konsequenz könnte es sein, sich zurückzuziehen aus dem politischen Raum. Es gibt diese Forderung. Und in ihr sind sich paradoxerweise manche konservative Christen einig mit der säkularen politischen Linken. Erstere wollen sich in ihren Augen gesundschrumpfen zu einer eingeschworenen Gemeinschaft, die dem Zeitgeist widersteht. Letztere wollen den Einfluss der Kirchen auf die Politik zurückdrängen. Eine solche Kirche bräuchte dann auch keine Kirchentage als Großveranstaltung mehr. Doch wer so denkt, unterliege einem Trugschluss, glaubt der Theologe Peter Dabrock:
Debatte über Frauenrechte und Rassismus in der katholischen Kirche: "Katholischer Kulturkampf"
Die Theologin Johanna Rahner hat Menschen, die nichts an der Diskriminierung von Frauen ändern wollen, als "Rassisten" bezeichnet. Passaus Bischof Stefan Oster wirft ihr vor, romtreue Gläubige zu diffamieren.
"Kirche und Religion im Allgemeinen kann nicht nicht politisch sein. Die Behauptung, dass Religion sich nur auf Innerlichkeit beschränken könnte, ist doch auch eine zutiefst politische Aussage, nämlich die politische Äußerung, dass das, was mich unbedingt angeht, für die Gestaltung des Lebens in dieser Welt keine Relevanz hat. Das ist eine zutiefst politische Aussage und entspricht meines Erachtens auch nicht dem Auftrag des Glaubens, wie ich ihn verstehe, dafür zu sorgen, dass das Leben in dieser Welt ein immer besseres wird."

"Mit Argumenten werben"

An prominenten Gästen von der Bundeskanzlerin über Konzernmanager bis hin zu Naturwissenschaftlerinnen mangelt es auch in der digitalen Ausgabe nicht. Ob die Vertreterinnen und Vertreter der Kirche dabei gehört werden, das liegt an ihnen selbst, sagt Peter Dabrock:
"Man kann und darf nicht voraussetzen, dass andere das für wichtig erachten, was man sagt. Man muss es bewerben. Man muss es mit Argumenten bewerben. Und wenn es einem nicht gelingt, das so rüberzubekommen, tja, dann hat man zu Recht eben Pech gehabt!"