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Drogen und Drohnen in Mexiko

Es ist Krieg in Mexiko - und Szenen wie diese machen das klar. Draußen vor dem Kindergarten in Monterrey liefern sich Polizei und Drogengangster eine wilde Schießerei. Drinnen liegen die Kinder auf dem Boden – und die Erzieherin Marta Rivera versucht sie aufzumuntern "Lass uns doch ein Liedchen singen".

Von Martin Polansky |
    Es ist kein gewöhnlicher Krieg, der Mexiko seit fünf Jahren erschüttert. Kein äußerer Feind, keine Guerilla, kein Bürgerkrieg. Es geht um das Milliardengeschäft von sieben mächtigen Drogenkartellen, dass der mexikanische Präsident Felipe Calderón mit Polizei und Militär unterbinden will. Bilanz bisher: fast 40.000 Tote. Aber der Kampf und das Geschäft gehen weiter wie gehabt – vor allem im Norden des Landes.

    Dabei ist Mexiko vor allem Transitland für die Drogen. Das meiste Kokain aus Kolumbien geht über die Grenze in die USA. Und dort beobachten viele den erfolglosen Kampf der Mexikaner gegen die Kartelle mit Sorge, etwa der republikanische Kongressabgeordneter Michael McCaul:

    "Die Gewalt nimmt zu und breitet sich auch in den USA aus. Deshalb ist es an der Zeit, diesen Krieg zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Wir engagieren uns überall auf der Welt, obwohl die Bedrohung von unserem Hinterhof ausgeht. Ich glaube, die Mexikaner werden diesen Krieg verlieren und damit auch wir. Mexiko ist in der Gefahr, sich in einen gescheiterten Staat zu verwandeln – der unter die Kontrolle von Kriminellen gerät."

    Die USA sind der weltweit wichtigste Abnehmer für Drogen. Dort hat schon Präsident Nixon Anfang der 70er-Jahre den Krieg gegen die Drogen erklärt. Und die Regierungen in Washington verfolgen seitdem die Strategie, den Handel mit Kokain oder Marihuana nicht nur im eigenen Land zu bekämpfen – sondern vor allem dort, wo die Drogen herkommen. Mit viel Geld, Logistik, aber auch Soldaten und Agenten.

    Mal ganz offen, wie in Kolumbien. Dort unterstützen US-Militärberater die Sicherheitskräfte, um Koka-Anbauflächen zu zerstören. Und mal eher im Geheimen – wie in Mexiko.

    Die mexikanischen Nachrichten waren im Frühjahr voll von diesen Meldungen. US-amerikanische Drohnen im Einsatz gegen die Drogenkartelle. Unbemannte Aufklärungsflugzeuge durchkreuzten seit 2009 den Luftraum – ohne das Wissen der mexikanischen Öffentlichkeit. Patricia Espinosa, die Außenministerin des Landes, sah sich in Erklärungsnöten:

    "In begrenzten und speziellen Fällen hat unsere Regierung die USA darum ersucht, die unbemannten Flugzeuge zum Sammeln von Informationen einzusetzen. In jedem konkreten Fall geschah dies unter der Kontrolle unserer Regierung. Ohne konkrete Bitte dringen die Flugzeuge nicht in den mexikanischen Luftraum ein, sie haben keine Waffen an Bord."

    Aus Sicht vieler Mexikaner dennoch ein Skandal. Denn die Verfassung verbietet einen solchen Einsatz fremden Militärs im eigenen Land. Und der mächtige Nachbar im Norden wird quer durch die Bevölkerung misstrauisch beäugt. Scharfe Kritik deshalb im Parlament etwa von der mexikanischen Oppositionspolitikerin Rosario Green:

    "Wichtig ist festzuhalten, dass die US-Regierung hier eine illegale Aktion unternommen hat. Die USA verletzen die Souveränität ihres Nachbarn und Handelspartners. Mexiko ist zu einem Versuchsfeld geworden."

    Dabei kooperieren Mexiko und die USA auch ganz offiziell im Kampf gegen den Drogenhandel - über das sogenannte Merida-Abkommen von 2008. Rund 1,5 Milliarden US-Dollar hat die Regierung in Washington dafür zugesagt – bisher wurde aber nur ein kleinerer Teil davon ausgezahlt. Mit dem Geld stellt sie Fahrzeuge und Black-Hawk-Kampfhubschrauber bereit, bildet mexikanische Sicherheitskräfte aus. Zudem gibt es gemeinsame Ermittlergruppen.

    Nach einem Bericht an den US-Senat hat die Drogenpolizei DEA 1200 Beamte in Mexiko im Einsatz – vor allem in den Grenzregionen. Das FBI ist mit einem eigenen Büro in Mexiko-Stadt vertreten.

    Offiziell geben die USA vor allem Erkenntnisse ihrer Geheimdienste weiter. Die sollen zuletzt auch zur Festnahme oder Tötung einiger Drogenbosse in Mexiko geführt haben, erklärt der Chef der mexikanischen Bundespolizei, Facundo Rosas:

    "Es gibt eine ständige Zusammenarbeit, auch den Austausch von Informationen mit US-Behörden im Rahmen unserer Ermittlungen. Diese Zusammenarbeit hat zu der heutigen Verhaftung von acht Mitgliedern der Bande der Tempelritter geführt."

    Erfolgsmeldungen, mit denen die Zusammenarbeit gerechtfertigt werden soll. Für ganz andere Schlagzeilen sorgte dagegen die Aktion fast and furious. US-Ermittler ließen den Schmuggel von fast 2000 Waffen über die Grenze nach Mexiko zu, um Hintermännern der Drogenkartelle auf die Spur zu kommen. Die Operation flog auf, als ein Geheimagent plauderte.

    Ein Sturm der Entrüstung ging durch Mexiko – zumal mit den eingeschmuggelten Maschinengewehren auch mehrere Morde verübt wurden. US-Präsident Obama sah sich genötigt, eine Erklärung abzugeben:

    "Ich habe das nicht autorisiert. Aber die US-Regierung ist ein großer Apparat, wo sich viel bewegt. Ich betone ganz klar: Unsere Politik ist es, den Waffenschmuggel in den Süden zu verhindern, denn er trägt zu den Sicherheitsproblemen Mexikos bei. Deswegen versuchen wir auch eine Koordinierung zwischen Mexiko und den USA aufzubauen, die es in dieser Form noch nie gegeben hat."

    Die Aktion fast and furious warf zudem ein Schlaglicht darauf, dass die meisten Waffen der Kartelle aus den USA kommen. In den Grenzstädten von Texas können sich die Drogenbanden problemlos mit schweren Waffen eindecken. Und als im Februar ein US-Spezialagent in Mexiko auf offener Straße erschossen wurde, ließ sich der Ursprung der Tatwaffe nach Texas zurückverfolgen. Mexikos Präsident Calderón fordert deshalb immer wieder von der US-Regierung, den Waffenhandel einzuschränken:

    "Warum geht das Geschäft mit den Waffen weiter? Ich sage es ganz offen: Weil es der Waffenindustrie der USA hohe Gewinne einbringt. Die amerikanische Waffenindustrie ist verantwortlich für die Tausenden von Toten in Mexiko."

    Appelle ohne Wirkung. So ist Calderón mit dem von ihm erklärten Krieg gegen die Kartelle inzwischen in der Defensive. Trotz einiger Festnahmen von Drogenbossen steigt die Zahl der Toten von Jahr zu Jahr. Sie sterben bei Polizeieinsätzen oder im Kampf der Kartelle untereinander.

    Präsident Calderón hat zwar Bundespolizisten und 50.000 Soldaten in den Norden geschickt, um die als korrupt geltenden örtlichen Polizeien zu entmachten. Aber viele Bundeskräfte haben inzwischen den gleichen zweifelhaften Ruf.

    Vor einem schreckt Calderón allerdings zurück: US-Polizei und Militär ganz offen ins Land zu holen, um die Kartelle zu bekämpfen. Ein Fehler, findet der mexikanische Sicherheitsexperte Jorge Castaneda:

    "Die Regierung Calderóns lässt es nicht zu, dass US-Truppen auf mexikanischen Territorium operieren, wie es in Kolumbien der Fall war. Das ist ein Widerspruch. Wenn der mexikanische Präsident einen Krieg erklärt, braucht er Alliierte, und unsere einzigen Alliierten sind die USA. Für Calderón heiligt der Zweck nicht die Mittel - und das ist das Rezept für einen Misserfolg."

    Und immer mehr Experten bezweifeln inzwischen, dass der Drogenhandel mit Polizei und Militär zu bezwingen ist. Sie setzen auf eine Legalisierung der Drogen, um den illegalen Kartellen das Geschäft entziehen.

    Denn solange in den USA gekokst und gekifft werde, solange die Kartelle mit den Konsumenten in Los Angeles oder New York Milliardengewinne machen, sei der Kampf gegen die Drogen in Lateinamerika nicht zu gewinnen.