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Drogenpolitik
Portugals liberaler Weg

Die in vielen Ländern angewandte Strategie eines sogenannten "Kriegs gegen die Drogen" mit Verboten und Strafverfolgung gilt unter Experten als gescheitert. Portugal hat vor 15 Jahren einen anderen Weg eingeschlagen und eines der liberalsten Drogengesetze der Europäischen Union erlassen. Abhängige gelten nicht mehr als kriminell, sondern als krank.

Von Johannes Nichelmann |
    Süchtiger trinkt Methadon: Die Ersatzdroge soll Süchtige von der Beschaffungskriminalität fernhalten
    Süchtiger trinkt Methadon: Ein Baustein der portugiesischen Drogenpolitik ist ein mobiles Methadonangebot. (dpa/picture alliance/Ponizak Paulus)
    Ein klappriger weißer Van schiebt sich durch den Nachmittagsverkehr von Lissabon. Am Steuer sitzt die Psychologin Soraia Cunhe, neben ihr die Sozialarbeiterin Andreia Alves, die von einer Rolle Alufolie Blätter abreißt und zu Vierecken faltet. Sie wird die Folienstücke später an Heroin-Abhängige verteilen, zur Aufbereitung der Drogen.
    Die beiden Frauen halten am Rand eines Arbeiterviertels in der portugiesischen Hauptstadt, unter einer Eisenbahnbrücke. Gegenüber steht ein verlassenes Gebäude. Von der Ladefläche des Vans nehmen sie grüne Tüten, die jeweils mit sauberen Spritzen, Hygieneartikeln und einem Kondom gefüllt sind und stopfen sie in ihre Rucksäcke. Die 23-jährige Andreia Alves zieht ihre grüne Warnweste zurecht.
    "Wir gehen jetzt in dieses Gebäude, wo sich einige Drogenkonsumenten treffen. Wir werden ihnen dieses saubere Material zum Konsumieren anbieten und mit ihnen reden - über ihr Leben, über das, was sie tun. Wenn sie Probleme haben, können wir ihnen helfen, Lösungen zu finden. Wir geben ihnen Hilfe."
    Benutzte Spritzen eines Heroinabhängigen liegen auf dem Bordstein. 
    Streetworker sammeln benutzte Spritzen ein. Niemand soll sie noch mal verwenden können. (picture alliance / Wolfram Steinberg)
    Die beiden Streetworkerinnen arbeiten für eine Nichtregierungsorganisation, die im Auftrag des portugiesischen Gesundheitsministeriums jeden Tag den Kontakt zu Lissabons Drogennutzern hält. Ihre Aufgabe ist die Schadensminderung. Menschen, die Drogen nehmen, sollen soweit wie möglich vor den schlimmsten negativen Auswirkungen ihres Konsums bewahrt werden. Die Frauen gehen rüber, zu dem verlassenen Gebäude. Graffitis an den Wänden, am Ende der Einfahrt steht eine Tür offen.
    "Wir wissen nicht, auf wen wir genau treffen werden."
    In der Tiefgarage ist der Boden übersät mit Kleidung, Müll, Essensresten. Ein beißender Geruch von Urin und Kot hängt in der Luft.
    "Ist jemand hier?" ruft Andreia. Derweil hat ihre Kollegin Soraia Sicherheitshandschuhe übergestreift. Sie sucht den Boden nach benutzten Spritzen ab und lässt sie in einen grün-roten Plastikeimer mit Sicherheitsverschluss fallen. Niemand soll die Möglichkeit haben, diese Spritzen noch einmal zu verwenden und sich möglicherweise mit Hepatitis oder HIV zu infizieren. Diese Arbeit ist wichtig. 2007 standen noch 20 Prozent der HIV-Neudiagnosen in Portugal im Zusammenhang mit Drogen. 2014 waren es nur noch vier Prozent.
    Die beiden Frauen treffen auf einen Mann, der stark von seiner Drogensucht gezeichnet ist. Vernarbte Arme, die Kleidung hängt in Fetzen an ihm herunter, einige Zähne sind ausgefallen. Er kniet im Staub und kramt alte Spritzen aus seinem Rucksack. Für jede von ihnen bekommt er eine neue. Sofort reißt er eine aus der Verpackung, schiebt sie sich wie eine Zigarette hinters Ohr.
    Die Drogenpolitik in Portugal wurde grundlegend reformiert
    Der Zustand des Mannes ist so desolat, dass Andreia und Soraia ihn nach einem langen Gespräch dazu bewegen können, sich ins Krankenhaus fahren zu lassen. Vor ein paar Jahren noch wäre das undenkbar gewesen. Drogenabhängige Menschen hätten den vom Staat geschickten Frauen niemals vertraut.
    "Sie kennen unser Team, wissen was wir machen. Sie mögen uns, wir haben eine gute Beziehung. Das ist die Basis für unseren Job!"
    Die Arbeit der Streetworkerinnen ist Teil einer grundlegend reformierten Drogenpolitik in Portugal. Im Jahr 2001 hat das Land eines der liberalsten Drogengesetze in Europa erlassen. Der persönliche Besitz von Rauschgift ist keine Straftat mehr, sondern eine Ordnungswidrigkeit. Harte Drogen wie Heroin oder Kokain dürfen konsumiert werden. Die Drogen wurden entkriminalisiert. Statt des Justizministeriums ist das Gesundheitsministerium für das Thema zuständig.
    Vor allem aber setzen die Portugiesen auf Prävention. Mit Erfolg: Gerade bei Teenagern geht der Drogenkonsum zurück. In Schulen, Universitäten und bei kulturellen Veranstaltungen werden sie aufgeklärt.
    Das Hauptquartier der Vereinten Nationen am East River in New York.
    Das Hauptquartier der Vereinten Nationen am East River in New York. (picture alliance / dpa - Chris Melzer)
    In dieser Woche kommt in New York die Generalversammlung der Vereinten Nationen zusammen, um über zukünftige Drogenpolitik zu beraten. Die in den meisten Ländern angewandte Strategie eines sogenannten "Kriegs gegen die Drogen" mit Verboten und Strafverfolgung ist aus Sicht vieler Experten gescheitert. Portugal geht bereits seit 15 Jahren einen anderen Weg. An der Lissaboner Lusófana Universität beschäftigt sich Carlos Poiares, Professor für Rechtspsychologie, seit Jahrzehnten mit den Ursachen für Drogenkonsum.
    "Die Idee eines Kriegs gegen Drogen ist eine dumme Idee. Diese Militärsprache ergibt hier keinen Sinn. Es geht nicht darum, einen Feind zu bekämpfen. Das Problem des Drogenkonsums existiert, weil in unserer Gesellschaft sozioökonomische Aspekte die Sucht begünstigen. Die Leute achten nicht auf sich, weil sie glauben, keine Aussichten im Leben zu haben."
    Was nur eine von vielen Ursachen für den Konsum von Rauschgift ist. Warum auch immer Menschen in Portugal in die Drogensucht fallen: Sie gelten heute gemeinhin als krank, nicht mehr als kriminell.
    "Ich denke, es ist wichtig, dass wir dieses Thema auf keinen Fall in Zusammenhang mit Kriminalität stellen. Gerade den Vereinten Nationen sollte das klar werden. Und wir sollten Drogenkonsum nicht nur als Krankheit darstellen, sondern auch als eine Art Lifestyle."
    Ein Lebensstil, den man natürlich schwer kritisieren könne, aber dennoch respektieren müsse, sagt Carlos Poiares. Zumal die Akzeptanz verschiedener Substanzen variiert. In unserer Kultur seien Ecstasy, Kokain oder Cannabis eher angesehen als Heroin. Der Konsum dieses Opioids wurde von der Gesellschaft vor Erlassung der Gesetze vor fünfzehn Jahren als eines der größten sozialen Probleme des Landes wahrgenommen. Zwar zählte Portugal zu den Staaten mit dem niedrigsten Gesamtkonsum, aber es waren vor allem harte Drogen, die konsumiert worden sind.
    Warum wurde das Problem gerade in Portugal so groß?
    "Ich kann mich noch erinnern. Vor 15 Jahren hatte ich einen Freund nach Lissabon eingeladen. Damals war es ganz normal, Leute auf der Straße zu sehen, die sich Spritzen setzen. Und nicht nur hier, auch in Porto oder auf dem Land. Meistens kamen diese Leute auch ins Gefängnis."
    Bilder, die man heute nicht mehr sieht. Aber warum wurde das Problem gerade in Portugal so groß? Alcina Ló arbeitet bei der SICAD – diese Behörde ist dem Gesundheitsministerium unterstellt und koordiniert alle drogenpolitischen Aktivitäten.
    "Wir wissen nicht genau, warum das so war. Es gibt einige mögliche Gründe. Wir hatten bis 1974 eine Diktatur und nach der Revolution kamen mit der Demokratie viele neue Einflüsse auf uns zu. Die Portugiesen kamen mit vielen neuen Dingen in Kontakt. Außerdem kamen mit dem Ende der Kolonialherrschaft viele Menschen aus den ehemaligen Kolonien zurück und mit ihnen eben auch diese Probleme."
    Soldaten aus den Kolonien brachten vor allem Marihuana nach Portugal. Zeitgleich wurde Europa von Heroin aus Afghanistan und Pakistan überschwemmt. Das abgeschottete Portugal unter Diktator Salazar gab es nicht mehr. Nach der Nelkenrevolution wirkten die Drogen als Verstärker eines neu gewonnenen Gefühls von Freiheit.
    "Vielleicht war der Grund für dieses Problem auch, dass man sehr einfach auf diese Substanzen zugreifen konnte. Wir wussten nicht, wie man damit umgehen soll, welche Folgen der Konsum für uns Menschen hat."
    Debatten über Drogen und Drogenpolitik hatte es seit Mitte der 70er-Jahre in Portugal gegeben. Als das Problem überhandnahm, begann Ende der 90er-Jahre ein Umdenken in der Politik.
    "Wir hatten Politiker mit Kindern und Verwandten, die Probleme hatten. Wir hatten Ärzte, wir hatten Journalisten und Anwälte – alle hatten damit zu tun. Vielleicht wurden die Gesetze zur Entkriminalisierung des Drogenkonsums auch deswegen erlassen, weil eben alle Schichten betroffen waren."
    Die Regierung unter Führung der Sozialisten berief damals eine Anti-Drogen-Kommission und nahm fast all deren Vorschläge an. So gelten heute Zehn-Tages-Grenzwerte für den Besitz von Drogen: 25 Gramm Cannabis, fünf Gramm Haschisch, zwei Gramm Kokain und ein Gramm Heroin darf jeder mit sich führen. Von den Partydrogen LSD und Ecstasy darf man zehn Pillen besitzen. Wer mehr dabei hat und erwischt wird, kommt heute noch vor einen Richter, gilt als Dealer. Alle anderen müssen innerhalb von drei Tagen bei einer "Kommission zur Vermeidung des Drogenmissbrauchs" vorstellig werden. Hier arbeiten Psychologen, Soziologen und Sozialarbeiter. Anders als früher bei den Gerichtsverfahren soll hier eine Stigmatisierung verhindert werden. Es werden Gespräche zur Aufklärung geführt. Muss jemand ein zweites Mal vorstellig werden, wird eine Geldbuße in Höhe von 30 bis 40 Euro verhängt. Es werden Therapien angeboten, zugeschnitten auf die Probleme der Menschen. Carlos Poiares:
    "Damit hat man erreicht, dass die Drogenkonsumenten heute viel häufiger in Krankenhäuser und Praxen kommen. Somit können wir eine viel bessere Versorgung garantieren. Die Menschen überwinden sich eher, zu uns zu kommen, als sie es vorher getan haben. Am Ende bedeutet dies, dass wir auch den Heroin-Konsum senken können."
    Die meisten Kritiker sind mittlerweile verstummt
    Ein weiterer Baustein der portugiesischen Drogenpolitik ist ein mobiles Methadonangebot. Zweimal täglich, morgens und abends, hält in Lissabons Stadtteil Lumiar der weiße Van eines staatlichen Drogen-Programms. Heroin-Abhängige Menschen können sich hier anonym den Ersatzstoff abholen. Aus dem Van heraus reicht eine Frau die Flüssigkeit in kleinen weißen Plastikbechern unter einer Glasscheibe hindurch. Es sind vor allem Männer, die kommen - zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit dem Auto. Sie schlucken rasch das Methadon, spülen mit Wasser nach und gehen wieder. So wie Ricardo. Seit drei Jahren kommt er jeden Morgen um zehn Uhr hier her. Er ist 45 Jahre alt.
    "Das läuft so: Jeder hat eine eigene Nummer. Meine ist sieben-sieben-vierzig. Ich gehe also hierher, sage die an und im Computer steht, welche Dosis ich brauche. In meinem Fall sind das 90 Milligramm. Das ist ziemlich viel, ich versuche das zu reduzieren."
    Ricardo ist ein stämmiger Typ mit gepflegtem Vollbart. Er hat es eilig, muss gleich zur Arbeit. Er ist Einweiser auf einem Parkplatz.
    "Bevor ich Autos eingeparkt habe, gab ich all mein Geld für Drogen aus. Nichts für Essen. Ich hatte einen langen Bart, immer die gleichen Klamotten an. Nur eine Dusche im Monat. Mir war alles egal. Auch, wo ich geschlafen habe. Seitdem ich in dem Programm bin, hat sich für mich alles verbessert."
    Als Jugendlicher hat Ricardo in den USA angefangen Heroin zu nehmen. Er hat mit Drogen gedealt und wäre deswegen fast ins Gefängnis gekommen. Die Behörden in den USA haben ihn dann aber ausgewiesen, in sein Heimatland Portugal.
    "Für mich war es ein Segen. Klar, ich wurde von meiner Familie getrennt. Aber ich wäre sonst nie aus dieser Gefängnis-Sache dort rausgekommen. Ich wäre ständig rein- und rausgewandert. In den USA ist es ein Verbrechen, hier ist es eine Krankheit. Sie versuchen, Dir zu helfen. Die Gesellschaft drängt uns noch immer ins Abseits, aber mit der Polizei hatte ich nie Probleme."
    Der weiße Van des Methadonprogramms steht auf einem Parkplatz zwischen einer Autobahnbrücke und mehreren Bauruinen. Eigentlich sollten hier in Lumiar neue Wohnungen entstehen, doch die Finanzkrise hat den Weiterbau verhindert. Heute wird in den halb fertigen Betonburgen gedealt. Vor Einführung der Gesetze hatten vor allem konservative Politiker Bedenken. Sie befürchteten, Portugal würde sich zu einem Zentrum des europäischen Drogenkonsums und Drogenhandels entwickeln. Das ist nicht geschehen. Die meisten Kritiker sind mittlerweile verstummt. Und weder die Sozialdemokraten, noch die liberal-konservativen Regierungen haben das Drogen-Programm der sozialistischen Partei "Partido Socialista" zurückgenommen. Wohl auch, weil es einen Rückgang der Kriminalitätsrate gegeben hat. Vor allem Bagatelldiebstähle, die im Zusammenhang mit der Geldbeschaffung für Drogen stehen, sind weniger geworden.
    Der Drogenhandel allerdings geht weiter. Ricardo erzählt, wie die Dealer vorgehen, um harte Strafen zu vermeiden.
    "Sie versuchen nicht erwischt zu werden, indem sie so wenig Drogen wie möglich mitführen. Wenn die Polizei kommt, können sie sagen, es sei für den Eigenkonsum."
    Dennoch hat sich die Entkriminalisierung positiv auf die Arbeit der Polizei ausgewirkt. Es stehen heute mehr Beamte zur Verfügung, um sich mit der Bekämpfung der organisierten Drogenkriminalität zu beschäftigen. Es gibt weniger Verhaftungen, dafür werden aber größere Drogenmengen sichergestellt. Kritik am Gesetz gibt es aber dennoch. Es hat sich seit 2001 nicht weiterentwickelt. Elsa Belo leitet das Methadonprogramm. Sie zeigt hier auf dem Parkplatz auf zahlreiche Gullys – die Deckel gibt es nicht mehr. In die ein Meter tiefen Löcher setzen sich die Drogenabhängigen, um Heroin zu rauchen.
    Ein Junkie zieht eine Spritze in einer der insgesamt acht Boxen im Saarbrücker Drogenhilfezentrum auf. 
    Einen "Druckraum" für Fixer, wie hier in Saarbrücken, gibt es in Lissabon nicht. (picture alliance / dpa / Werner Baum)
    "Was hier passiert, ist Folgendes: Die Leute, die Heroin nehmen, suchen bestimmte Orte auf, um dort konsumieren zu können. Zum Beispiel diese Löcher hier. Hier können sie rauchen und ihren Rausch erleben, ohne, dass der Wind sie dabei stört. Weil wir in Portugal keine geschützten und sauberen Räume spezifisch für den Konsum haben, müssen die Konsumenten eben nach solchen Alternativen suchen. Sie müssen kreativ sein. Es gibt noch keine Projekte für assistierten Drogenkonsum, weil die Regierung noch nicht die Courage dazu hatte. Ich glaube, wir müssen aber sehr ernsthaft darüber diskutieren. Es ist doch unverständlich!
    Wir haben hier eine solch liberale Drogenpolitik mit so guten Ergebnissen und gleichzeitig drängen wir die Konsumenten zu solchen Dingen."
    Ein Rückzugsort befindet sich in der Avenida de Paris Nummer vier. Das Projekt trägt den Namen des Stadtteils im Titel: "InMouraria". Zwar dürfen dort keine Drogen konsumiert werden, aber neben kostenlosen Tests für sexuell übertragbare Krankheiten wie HIV und Syphilis erhalten die Menschen Zugang zum Internet oder Beratung bei bürokratischen Angelegenheiten. Es gibt Kleiderspenden und Sandwiches. Ein Treffpunkt. Die meisten der Besucherinnen und Besucher kennen sich. Die Weltgesundheitsorganisation befand: Dieses Projekt hat Vorbildcharakter, weltweit. Vor allem Drogennutzerinnen und Nutzer kommen hierher. SICAD, die Drogen-Behörde Portugals, finanziert all das nicht. Es passt nicht in das Raster der Gesetze von 2001. Gegründet wurde das Projekt vor vier Jahren, es wird geleitet von Ricardo Fuertes.
    "Was wir hier aber sehen und das hat mir den Gesetzen zu tun, ist, dass die Gesellschaft unser Projekt akzeptiert. Wir befinden uns hier mitten in einem Wohnviertel. Wir denken, dass wir willkommen sind. Die Nachbarn bringen Kleidung und andere Spenden vorbei. Sie nutzen auch unser Angebot – jeder kann sich bei uns testen lassen. Hier wird weniger stigmatisiert als in anderen Ländern."
    "Die Vorstellung, dass die Menschheit ohne Drogen auskommt, ist naiv."
    In einem kleinen fensterlosen Raum lässt eine junge Frau einen HIV-Schnelltest machen. Sie lebt in der Nachbarschaft und kommt hin und wieder vorbei. Mitarbeiterin Marta, 43 Jahre alt, entnimmt ihr aus einer Fingerspitze etwas Blut.
    "Ich arbeite hier als eine Art Bindeglied. Wir sind ein multidisziplinäres Team. Ich hab auch eine Drogen-Vergangenheit. Meine Aufgabe ist es, eine empathische Beziehung zu unseren Klienten aufzubauen. Ich hab sehr früh angefangen. Mit zwölf habe ich begonnen, in der Schule Haschisch zu nehmen. Mit 16 hab ich dann Heroin geraucht. Damals gab es keine Informationen über Drogen. Ich dachte damals, nur wer sich Drogen spritzt, kann abhängig werden. Aber auch das Rauchen macht abhängig."
    Heute nimmt Marta an einem Substitutionsprogramm teil, ist clean. Sie ist stolz darauf, dass sie ihr Leben wieder selbst in der Hand hat. Stolz auf ihren Job und auf ihren 16-jährigen Sohn. Den will sie davor bewahren, der neuen Droge Nummer eins in Portugal zu verfallen: Cannabis.
    "Ich erziehe ihn mit Informationen, mit Ehrlichkeit. Cannabis beispielsweise wird als leichte Droge verstanden. Wenn ich mit ihm darüber rede, mache ich ihm deutlich, dass ich eine Legalisierung nicht befürworte, wenn sie gleichzeitig bedeutet, dass dann jeder Cannabis rauchen kann. Ich kenne so viele Menschen, die über Cannabis zu den harten Drogen gekommen sind."
    Was kann Europa, was kann die Welt von Portugal lernen? Rechtspsychologe Carlos Poiares sagt, dass man solch ein System nicht einfach eins zu eins kopieren könne. Jedes Land müsse seine Gesetze individuell anpassen. Nur eines sei sicher:
    "Ich will ihnen sagen: Die Vorstellung, dass die Menschheit ohne Drogen auskommen würde, ist sehr naiv."