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Drohende Abschiebung
Ein Leben in Dauerangst

Türkan Deniz macht eine Ausbildung zur Krankenpflegerin. Doch die junge Kurdin ist von der Abschiebung bedroht. Auch Kadisha Dervishi aus Mazedonien ist für die Behörden seit mehr als 25 Jahren ein Flüchtling mit befristeter Duldung - obwohl sie in Deutschland aufgewachsen und zur Schule gegangen ist. Zwei Beispiele aus Berlin.

Von Gerhard Schröder | 10.07.2015
    Die Skyline von Berlin
    "Hier ist meine Heimat", sagt Kadisha Dervishi. (picture alliance / dpa/ Gregor Fischer)
    Die Berufsfachschule Paolo Freire in Berlin-Moabit. Ein karg möblierter Klassenraum, vorn eine weiße Tafel, hinten ein großes Plakat. "Migranten in der Pflege", steht darauf. Dazwischen: 17 Schüler, größtenteils Flüchtlinge aus Syrien, Irak und Afghanistan.
    Kadisha Dervishi sitzt in der letzten Reihe, eine junge, aufgeweckte Frau, helle Jeans, schwarze Sportschuhe, blonde Strähnen im dunkelbraunen Haar. Wenn alles gut läuft, dann wird sie in einem halben Jahr ihre Ausbildung zur Sozialassistentin, Schwerpunkt Pflege, abschließen und auch den mittleren Schulabschluss nachholen. Für die 26-Jährige die vielleicht letzte Chance, dauerhaft Fuß zu fassen in Deutschland.
    "Ich würde dann eigentlich gern in die Krankenpflegeausbildung gehen. Aber das würde dann natürlich abhängig sein von meinem Aufenthaltsstatus. Wenn ich dann einen unbefristeten Aufenthaltsstatus habe, werde ich das wahrscheinlich machen können. Das heißt, ich kann es mir nicht aussuchen, ob ich mich weiterbilden oder nicht, das kommt drauf an, was ich halt bekomme."
    "Da wurde ich auch ein bisschen krank"
    Alles hängt am Aufenthaltsstatus. Darf sie bleiben, wird sie abgeschoben? Das sind Fragen, die Kadisha Derwischi seit 25 Jahren begleiten. Solange lebt sie inzwischen in Deutschland, gestützt immer nur auf kurzfristige Aufenthaltsgenehmigungen. Mal drei monate, mal ein halbes Jahr. Ein Leben in Angst und Unsicherheit.
    "Ich hatte auch durch die Ausländerbehörde Stress, weil ich war ja auch immer von Abschiebung bedroht. Da wurde ich auch ein bisschen krank. Und da hat Marco mir die Möglichkeit gegeben, drei Monate mich zu erholen und dann wieder einzusteigen."
    Vor einem Jahr war das. Kadisha war am Ende mit ihren Kräften, psychisch wie physisch. Die Ausländerbehörde bedrängte sie, erst die Härtefallkommission erlaubte ihr zu bleiben, zumindest bis zum Ende der Ausbildung. Hinzu kam die auch finanziell prekäre Lage. Es ist ein ständiger Kampf, sagt sie, zermürbend und oft demütigend.
    "Ich wollte nicht immer wie eine Ausländerin behandelt werden, weil ich hab mich ja auch nicht so gefühlt. Das ist der Hauptpunkt, der mich so geärgert hat. Weil, auch wenn ich doch in mein Land gehe, dann bin ich doch auch fremd, da bin ich doch auch Ausländerin, und irgendwo darf ich doch hingehören, wie jeder andere auch, oder? "
    1989 waren ihre Eltern aus Mazedonien vor den aufkeimenden Wirren auf dem Balkan nach Deutschland geflohen. Kadisha war gerade ein Jahr alt. Sie wuchs in Berlin-Neukölln auf, ging dort zur Schule, lernte die Sprache. "Hier ist meine Heimat", sagt sie. Für die Behörden aber bleibt sie ein Flüchtling mit befristeter Duldung. Die Eltern wurden bereits vor elf Jahren ausgewiesen, Kadisha durfte bei ihren Großeltern in Neukölln bleiben, sie war ja noch schulpflichtig.
    "Als ich in der neunten Klasse war, wurde mir gesagt, dass ich keine Ausbildung machen darf. Dann fings ja an, dass sich alle bewerben. Und dann wurde mir gesagt, bewerben wird nix, darfst ja eh nicht arbeiten. Dann habe ich fast die ganze 10. Klasse geschwänzt, ich hab da einfach keinen Sinn gesehen. Würd ich jetzt ein bisschen anders machen. Aber, man plant halt nichts, man plant auch nicht sein Leben, man hat kein Ziel, das hatte keine Perspektive für mich."
    "Absurd, dass solche Fälle überhaupt noch auftreten"
    Nach der Hauptschule wird ihr drei Jahre lang die Arbeitserlaubnis verwehrt, sie darf nur ehrenamtlich jobben, hilft Kindern in Neukölln bei den Hausaufgaben. Sie hat keinen Pass, darf nicht reisen. Und über allem schwebt die Angst vor der Abschiebung.
    "Ich find es absurd, dass solche Fälle überhaupt noch auftreten. Dass es in unserem Land möglich ist, dass Menschen, die hier groß geworden sind, mit ein oder zwei Jahren hier in unser Land gekommen sind, immer noch von Abschiebung bedroht sind, das finde ich komplett absurd", sagt Marco Hahn, der Leiter der Berufsfachschule Paolo Freire. Sie wird von dem privaten Klinikkonzern Vivantes getragen, ein Vorzeigeunternehmen in Sachen Integration.
    Türkan Deniz zupft nervös an ihrem türkisfarbenen Kopftuch. Vor ihr steht die Bundesarbeitsministerin. Andrea Nahles will von der jungen Kurdin, die bei Vivantes vor drei Monaten eine Ausbildung zur Krankenpflegerin begonnen hat, erfahren, wie das klappt mit der beruflichen Integration, und wo es hapert.
    "Ich bin halt auch von Abschiebung bedroht, hab 'ne Duldung. Es wurde vorgesehen, dass ich das Probehalbjahr bestehen muss, und dann die Aufenthaltsberechtigung bekomme. Aber ich kann das immer noch nicht versichern, ob das so sein wird. Ausländerbehörde - ich weiß wirklich nicht, was auf mich zukommt."
    Vivantes bemüht sich gezielt um Nachwuchskräfte mit Migrationshintergrund
    Seit zehn Jahren bemüht sich Vivantes gezielt um Nachwuchskräfte mit Migrationshintergrund, darunter viele Flüchtlinge. Für Ulrich Söding, den Ausbildungsleiter der Privatklinik, vor allem eine humanitäre Aufgabe, aber auch eine Frage der Zukunftssicherung:
    "Auch an uns geht der Fachkräftemangel nicht vorbei. Das ist natürlich auch ein Aspekt, der diese Arbeit betrifft. Fachkräfte, die über unsere Partnerorganisationen als Flüchtlinge zu uns kommen und dann als Pflegekräfte bei uns arbeiten, helfen uns, den Fachkräftemangel etwas abzumildern."
    Arbeitsministerin Nahles nickt zustimmend. Sie wirbt offensiv dafür, junge Flüchtlinge schneller in Ausbildung und Arbeit zu vermitteln.:
    "Es gibt mehr offene Ausbildungsstellen als Bewerber in Deutschland, da können wir nur froh sein, wenn Menschen zu uns kommen und Fuß fassen wollen. Und dann sollten sie auch ein Bleiberecht bekommen, wenn wir sie ausbilden, wenn sie integriert sind, wenn sie unsere Sprache sprechen, dann sollten sie ein Bleiberecht bekommen, und zwar auf Dauer."
    Reform des Aufenthaltsrechts
    In diese Richtung zielt auch die Reform des Aufenthaltsrechts, die heute im Bundesrat verabschiedet wird. Sogenannte Altfälle, Migranten wie Kadisha Dervishi also, die seit vielen Jahren in Deutschland leben, sollen ein dauerhaftes Bleiberecht bekommen, wenn sie gut integriert sind.
    "Es gibt 200.000 Altfälle. Dass wir einen Strich machen und versuchen, für möglichst viele eine Anerkennung zu organisieren, dass wäre ja auch für ihren Fall extrem sinnvoll und nützlich."
    Es wäre mehr. Es wäre eine Befreiung. Und tatsächlich gibt es Grund zur Hoffnung. Im August hat Kadisha Dervishi einen Termin bei der Ausländerbehörde. Es geht um ein unbefristetes Niederlassungsrecht, heißt es. Eigentlich ein Grund zum Jubeln. Doch die junge Frau aus Neukölln bleibt vorsichtig.