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Drohende Ausweisung der Botschafter in der Türkei
Hardt: "Es dreht sich alles um die Frage des Machterhalts von Erdogan"

CDU-Politiker Jürgen Hardt setzt darauf, dass die Ausweisung der Botschafter aus der Türkei durch Diplomatie noch abgewendet werden kann. Die Türkei sei auf die Unterstützung des Westens angewiesen, sagte er im Dlf. Es gehe Erdogan um eine Machtdemonstration, um seine innenpolitische Position zu stärken.

Jürgen Hardt im Gespräch mit Moritz Küpper |
Aktuell, 19.05.2021, Berlin, Juergen Hardt im Portrait bei seiner Rede Aktuelle Stunde zu den Raketenangriffen auf Israel und der Eskalation der Gewalt bei der 229. Sitzung des Deutschen Bundestag in Berlin
CDU-Politiker Jürgen Hardt hofft darauf, dass eine Ausweisung der Botschafter aus der Türkei noch abgewendet werden kann (Flashpic)
Gemeinsam mit neun anderen Kolleginnen und Kollegen ist der deutsche Botschafter Jürgen Schulz in der Türkei von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan zur Persona non grata erklärt worden. "Sie müssen von hier verschwinden, wenn sie die Türkei nicht verstehen", sagte Erdogan. Zu den Vertretern westlicher Staaten, die "verschwinden sollen", gehören neben Deutschland auch die USA und Frankreich.
Deutschland hofft noch auf Einlenken Erdogans
Die Drohung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, zehn westliche Botschafter, darunter den deutschen, zu "unerwünschten Personen" zu erklären, hat in Berlin Besorgnis ausgelöst.
Der Anlass für Erdogans Wut: Die Diplomaten hatten sich in einem offenen Brief für die Freilassung des Istanbuler Kulturförderers Osman Kavala eingesetzt. Der 64-Jährige sitzt seit über vier Jahren ohne Urteil, aber dafür mit ständig wechselnden Anklagen wegen "Umsturzversuchen" in Haft. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte schon 2019 Kavalas Freilassung gefordert. Im September hatte der Europarat der Türkei unter Verweis auf das EGMR-Urteil mit Disziplinarmaßnahmen gedroht, falls sie Osman Kavala nicht bis Ende November freilässt.
Der Rauswurf der Diplomaten wäre ein politischer Affront, der nicht ohne Gegenreaktionen bleiben dürfte. Vom Auswärtigen Amt in Berlin hieß es, die Äußerungen des türkischen Präsidenten Erdogan habe man zur Kenntnis genommen. Man berate darüber intensiv mit den anderen betroffenen Ländern.
Der CDU-Politiker Jürgen Hardt sagte im Dlf, er setze darauf, dass ein Eklat noch abgewendet werden könne. Er habe das Gefühl, dass außerhalb des unmittelbaren Umfelds von Erdogan die große Sorge bestünde, dass ein solcher Schritt einen Bruch bedeute, der der Türkei massiv schaden würde.
"Die Türkei ist auf unsere Zusammenarbeit, Unterstützung und Kooperation angewiesen in der gegenwärtig schwierigen wirtschaftlichen Situation", sagte er. "Erdogan steht innenpolitisch mit dem Rücken zur Wand."
Kulturschaffende solidarisieren sich mit Regimekritikern
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Er geht aber davon aus, dass in der Causa Kavala und der damit verbundenen Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, spätestens Ende November im Ministerkomitee des Europarats klare Worte gefunden werden müssten. "Im Übrigen geht es ja um die Umsetzung eines Europaratsurteils und nicht um irgendwelche Einmischungen von außen in die Türkei, sondern die Türkei ist ja selbst praktisch Gründungsmitglied des Europarats", so Hardt.
Es drehe sich alles um die Frage des Machterhalts von Erdogan in der Türkei. "Das ist ja seit Jahren bereits - spätestens seit dem Putschversuch - das dominierende Thema für Erdogan selbst, wie kann ich an der Macht bleiben." Dafür nutze er alle Instrumente und riskiere die Zukunft der Türkei und die guten Beziehungen der Türkei. "Mehr und mehr türkische Politiker auch seiner eigenen Partei, nach meinem Eindruck, sehen das so", sagte Hardt.
In der derzeitigen Situation, könnten "maßvolle Worte und entsprechendes Handeln des Außenministers" viel bewirken. "Ich glaube, dass man darauf auch setzt, dass letztlich eine solche Entscheidung nicht umgesetzt wird und dass das dann letztlich auch dazu führt, dass wir zu einigermaßen normalen Verhältnissen zurückkommen", sagte Hardt.

Lesen Sie hier das gesamte Gespräch:
Moritz Küpper: Herr Hardt, was glauben Sie? Kann dieser Eklat noch abgewandt werden?
Jürgen Hardt: Ich setze schon darauf, weil ich das Gefühl habe, dass außerhalb des unmittelbaren Umfelds von Erdogan in der Türkei große Sorge besteht, dass ein solcher Schritt, die Ausweisung von wichtigen Botschaftern Europas und im Übrigen auch Amerikas und Kanadas aus der Türkei, dass das einen Bruch bedeutet, der der Türkei massiv schaden würde. Die Türkei ist ja auf unsere Zusammenarbeit, Kooperation und Unterstützung angewiesen in der gegenwärtig schwierigen wirtschaftlichen Situation und Erdogan steht gegenwärtig auch innenpolitisch mit dem Rücken an der Wand, und das wissen auch diejenigen, die ihm bisher Gefolgschaft geleistet haben. Ich setze darauf, dass dieser Schritt noch abgewendet werden kann, glaube allerdings, dass wir in der Frage Kavala, um die es hier geht, die Umsetzung des Urteils des Menschenrechts-Gerichtshofs von Straßburg, spätestens Ende November im Ministerkomitee des Europarats auch klare Worte finden müssen.
Küpper: Wie groß ist der Schaden denn jetzt schon?
Hardt: Der Schaden ist erheblich, wenngleich ich schon das Gefühl habe, dass sich an dieser Frage doch auch Oppositionskräfte in der Türkei einen und den Ernst der Lage in der Türkei erkennen. Es ist ein innenpolitischer Prozess, meines Erachtens, schon im Gange, der diese Frage reflektiert – nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Politik -, was mit Sicherheit auch in die AK-Partei, in die Partei Erdogans hinein nicht ohne Spuren bleiben wird. Deswegen setze ich nach wie vor darauf, dass die Türkei einen eigenen demokratischen Weg raus aus dieser Sackgasse findet. Das wäre sowieso das Allerbeste, wenn wir nicht durch Entscheidungen des Europarats etwa Einfluss auf die Türkei nehmen müssten.

"Es geht ja um die Umsetzung eines Europaratsurteils"

Küpper: Aber wenn man in diesen Tagen, in diesen Stunden mit Diplomaten, mit Experten spricht, die reden von einem möglichen Präzedenzfall in der Nachkriegsgeschichte, von einer diplomatischen Katastrophe. Ist der türkische Präsident Erdogan ein leichtfertiger Spieler an der Stelle?
Hardt: Dieses Urteil finden ja auch einige in der Türkei, wenn es um die Beurteilung dessen geht, was in den letzten Monaten passiert ist. Ich glaube, nicht nur diese Frage der Konfrontation mit dem Westen in dieser Menschenrechtsfrage. Im Übrigen geht es ja um die Umsetzung eines Europaratsurteils und nicht um irgendwelche Einmischungen von außen in die Türkei, sondern die Türkei ist ja selbst praktisch Gründungsmitglied des Europarats. Seit über 70 Jahren hat sie diese Menschenrechtsorganisation mit geprägt und geschaffen und insofern geht es nicht darum, dass wir uns da irgendwie widerrechtlich einmischen in türkische Angelegenheiten, sondern wir drängen darauf, dass die Türkei die Verträge einhält, die sie selbst mit entwickelt hat.
Ich glaube allerdings, dass die wirtschaftliche Situation in der Türkei noch einen viel größeren Einfluss auf die wachsende Skepsis in der Türkei gegenüber Erdogan hat, denn das Land hat sich ja enorm verschuldet, auch in Devisen verschuldet. Die Lira sinkt, die Türkei kann internationalen finanzielle Verpflichtungen kaum noch bestehen, erst recht nicht, wenn es zu einer Eintrübung der wirtschaftlichen Beziehungen etwa zur EU käme, und das treibt viele Menschen in Sorge und der türkische Bürger merkt es ja im Supermarkt, dass die Preise massiv steigen und dass er mit seinem Einkommen immer weniger sich leisten kann.
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Küpper: Sie sagen es, die Türkei ist Gründungsmitglied im Europarat. Die Türkei ist auch Bündnispartner in der NATO. Aber jetzt schickt sie sieben dieser Bündnispartner vielleicht nach draußen; zumindest droht sie diesen. Was ist das denn für ein Umgang?
Hardt: Das ist völlig unakzeptabel, wenngleich ich darauf hinweise, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt diese Ausweisung ja noch nicht haben, sondern wir haben die Androhung.
"Es dreht sich alles um die Frage des Machterhalts von Erdogan"
Küpper: Aber wir haben die drastischen Worte von Recep Tayyip Erdogan gerade gehört.
Hardt: Wir haben die drastischen Worte des Präsidenten. Ich glaube, sie wären zu heilen durch maßvolle Worte und entsprechendes Handeln des Außenministers. Ich glaube, dass man darauf auch setzt, dass letztlich eine solche Entscheidung nicht umgesetzt wird und dass das dann letztlich auch dazu führt, dass wir zu einigermaßen normalen Verhältnissen zurückkommen. Es dreht sich alles um die Frage des Machterhalts von Erdogan in der Türkei. Das ist ja seit Jahren bereits, spätestens seit dem Putschversuch das dominierende Thema für Erdogan selbst, wie kann ich an der Macht bleiben. Er nutzt dazu alle Instrumente und riskiert die Zukunft der Türkei und die guten Beziehungen der Türkei. Mehr und mehr türkische Politiker auch seiner eigenen Partei, nach meinem Eindruck, sehen das so.
Küpper: Aber, Herr Hardt, maßvolle Worte, das ist auch immer ein Kennzeichen von Bundeskanzlerin Angela Merkel gewesen. Sie war vor gut einer Woche zum Abschiedsbesuch bei Erdogan. Ist das denn wirklich der richtige Umgang? Wir schauen in die Vergangenheit, da gab es immer wieder solche Eskalationen und jetzt wieder. Müssen da nicht andere Maßnahmen, andere Worte gefunden werden?
Hardt: Das ist immer eine schwierige Abwägungsfrage. Wir waren ja im Blick auf die Freilassung deutscher oder deutsch-türkischer Staatsbürger, die als politische Gefangene in der Türkei waren oder angeklagt waren wegen politischer angeblicher Vergehen, die wir als politische Vorwände betrachten, in einer ganzen Reihe von Fällen erfolgreich, weil wir auf Diplomatie im Hintergrund gesetzt haben und nicht auf das große Wort. Hier geht es jetzt ganz konkret allerdings darum, dass ein Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs umgesetzt werden muss, und das Ministerkomitee des Europarats, das ja im November tagt, wird die Entscheidung treffen müssen, ob es ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das de facto Gründungsmitglied des Europarats Türkei einleitet oder nicht. Das ist eine andere Dimension und deswegen ist es auch völlig richtig, dass wir an dieser Stelle an der Seite der übrigen Botschafter, die diese Deklaration unterschrieben haben, stehen.

"Eine starke innenpolitische Dimension"

Küpper: Aber es geht auch um den Umgang mit sogenannten starken Männern in Europa oder anderswo, Ungarn mit Orbán, Russland mit Putin, Polen mit Kaczynski, Türkei mit Erdogan. Hat die Kanzlerin da nicht immer den richtigen Umgang gefunden, weil allerorts eskaliert es ja jetzt?
Hardt: Ich glaube, dass wir tatsächlich eine Welle der Sehnsucht nach solchen starken Menschen in vielen Ländern Europas haben. Auch bei uns in Deutschland gibt es ja Menschen, die glauben, es müsste nur einer mal mit der Faust auf den Tisch hauen und alles würde schlagartig besser werden.
Küpper: Aber muss man mit denen nicht anders umgehen?
Hardt: Ich glaube, dass wir immer berücksichtigen müssen, dass das jeweils immer eine starke innenpolitische Dimension hat, bei Erdogan genauso wie bei Putin in Russland, dass es letztlich diesen Personen nicht in erster Linie um gute außenpolitische Beziehungen geht, sondern darum, dass sie innerhalb ihres Landes bei den Menschen, die sich für Außenpolitik nicht interessieren und die das nicht beurteilen können und beurteilen wollen, wie wichtig gute Außenbeziehungen sind, dass sie bei denen punkten, indem sie den starken Mann gegenüber der übrigen Welt markieren. Das verfängt leider in vielen Ländern, aber davon dürfen wir uns nicht provozieren lassen, sondern wir müssen sagen, die Türkei hat nur dann eine Zukunft, wenn sie eng an der Europäischen Union, eng an der freien westlichen Welt, am Europarat bleibt, und in der Türkei darauf setzen, dass es wachsende starke Oppositionskräfte gibt, die im Übrigen sich auch gegenwärtig einen, die das genauso sehen wie wir. Das wäre ja das allerbeste, wenn es in der Türkei eine friedliche demokratische Entwicklung gäbe, die zurückkehrt an die Kooperation mit den übrigen demokratischen Völkern Europas und nicht auf Konfrontation.
Küpper: Aber die künftige deutsche Türkei-Politik könnte, die würde wohl konfrontativer ausfallen. Der Grüne Cem Özdemir beispielsweise sagt, die Botschaft an Staatspräsident Erdogan muss sein, wir halten dem Druck stand, Demokratie und Menschenrechte sind nicht verhandelbar. Und wenn er das sagt, dann klingt das alles noch kämpferischer. Glauben Sie das auch?
Hardt: Es ist ja glücklicherweise so, dass wir in der Türkei-Frage zwischen der bisherigen Regierung und der bisherigen Opposition, zumindest den demokratischen Kräften keinen grundsätzlichen Dissens hatten. Und ich glaube auch, dass eine mögliche neue Bundesregierung, die geführt wird von SPD, Grünen und FDP, an diesem Kurs festhält und auch die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion in Zukunft für diese Politik hat. Cem Özdemir sagt auch, wir dürfen jetzt die Situation nicht eskalieren und wir dürfen uns nicht provozieren lassen. Ich glaube, der nächste Schritt ist, dass wir abwarten, was in Ankara heute in der Kabinettssitzung erfolgt. Bisher hat ja der Außenminister Çavuşoğlu diese "Anweisung" des Präsidenten nicht umgesetzt. Das wäre das Allerbeste, wenn das Thema einfach vom Tisch käme. Wenn es tatsächlich dazu käme, dann muss es eine gemeinsame abgestimmte Haltung der betroffenen Länder geben und eine entsprechende Reaktion auch im Ministerkomitee des Europarats.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.