Peter Kapern: Die USS Carl Vinson, ein amerikanischer Flugzeugträger, ist auf dem Weg von Singapur zur koreanischen Küste und die Regierung in Pjöngjang droht mit einem harten Gegenschlag. US-Außenminister Rex Tillerson hat gesagt, der Angriff der Vereinigten Staaten auf die syrische Luftwaffenbasis sei auch ein Signal an Nordkorea gewesen, denn dessen Regierung plant offensichtlich einen neuen Atomwaffentest.
Was geht das die USA an, könnte man jetzt fragen? Eine ganze Menge nämlich, weil Nordkorea gleichzeitig Langstreckenraketen entwickelt, die Atomsprengköpfe eines Tages bis nach Los Angeles tragen könnten. Was also braut sich da derzeit zusammen rund um Nordkorea und was will der skurrile nordkoreanische Diktator Kim Jong-Un eigentlich? – Am Telefon Rüdiger Frank, Korea-Experte an der Universität in Wien. Guten Morgen.
Rüdiger Frank: Guten Morgen.
Unruhe durch US-Luftangriffe auf Syrien
Kapern: Herr Frank, gleicht die derzeitige Situation einem Pulverfass, oder ist das eher so was wie Säbelrasseln vor Theaterkulisse?
Frank: Unter normalen Umständen hätte ich Letzterem zugestimmt. Aber mit Herrn Trump als Präsident in Washington und mit den 59 Raketen auf Syrien stellt sich die Sache doch ein bisschen anders dar, und so sehen das die Nordkoreaner, glaube ich, auch.
Kapern: Warum?
Frank: Weil Trump offenbar weit weniger berechenbar ist als seine Vorgänger. Man kann, wenn man zynisch ist, das Ganze ein bisschen als Tanzspiel betrachten. Jeder kennt seine Rolle, jeder kennt seine Schritte. Es gibt die Frühjahrsmanöver, die Nordkoreaner protestieren, die Nordkoreaner machen einen Raketentest, die Amerikaner protestieren. So lief das jetzt seit einigen Jahren. Trump hat gesagt, er will in Syrien nicht eingreifen; jetzt hat er es doch getan. Jetzt schickt er einen Flugzeugträger-Verband dorthin und man weiß nicht, ob er die Raketen nicht dann doch einsetzen wird, und das ist durchaus eine neue Qualität.
Hohe Gefahr einer Eskalation
Kapern: Weiß man denn mit Blick auf die nordkoreanische Regierung, dass sie die Atomwaffen, die sie entwickeln, und die Langstreckenwaffen, die sie entwickeln, nicht einsetzen wird?
Frank: Sie werden sie auf jeden Fall einsetzen, allerdings – und da glaube ich ihnen auch – unter der Voraussetzung, dass sie zuvor angegriffen werden. In dem Moment, wo die Amerikaner 59 Raketen in Richtung Nordkorea schicken, liegt ein solcher Angriff vor, und dann werden die Nordkoreaner ohne jeden Zweifel mit allem, was sie haben, zurückschlagen. Sie wissen, dass sie ohnehin nur diese eine Variante haben, und deswegen auch die Sorge in China und in Südkorea, die ich für sehr berechtigt halte.
Kapern: Das heißt, wenn man wirklich davon ausgehen kann, dass Nordkorea nur Verteidigungs- und defensive Absichten mit diesem Atomwaffenarsenal anstrebt, dann sollte man das Land einfach gewähren lassen?
Frank: So einfach ist es leider Gottes nicht, weil es ist ja auch die Frage erstens des schlechten Vorbildes. Wenn man das Nordkorea durchgehen lässt, dürfte es andere geben, die dann nachfolgen oder es zumindest versuchen. Dann gibt es die Frage der Proliferation, also der Weitergabe von Hard- oder Software in diesem Bereich, unter anderem auch an IS und Ähnliches. Das gilt es natürlich auch zu verhindern. Ganz einfach ist die Sache nicht, aber man sollte definitiv den Verhandlungsweg gehen, weil Nordkorea klare Ziele hat wie Wahrung der Eigenständigkeit, Partizipation am Weltmarkt, die man durchaus erreichen könnte, wenn man es denn wollte.
"Das eigentliche Spiel findet zwischen den USA und China statt"
Kapern: Kann man sich denn wirklich darauf verlassen, dass ein nordkoreanisches Regime, das ja doch für alle Außenstehenden einigermaßen undurchsichtig ist, es sich nicht eines Tages anders überlegt und doch vielleicht offensive Ziele mit diesem Arsenal anstrebt?
Frank: Hundertprozentige Sicherheit gibt es für so gut wie gar nichts. Aber nach all dem, was wir über das System wissen – es ist ja erstaunlich stabil, im Gegensatz zu Demokratien, wie die Regierungen immer mal wechseln, haben wir seit was weiß ich, 70 Jahren die gleiche Familie an der Macht, die begreifen, glaube ich, relativ gut, was ihre Ziele sind, wir verstehen die Funktionsweisen des Regimes relativ gut. Das mit diesem "undurchsichtig" ist ja eher ein Nimbus, der in den Medien aufgebaut wird. Ich glaube, nach Maßgabe dessen, was wir wissen, kann man durchaus davon ausgehen, dass wirklich aggressive Ziele nicht vorliegen. Aber das scheint auch gar nicht die ganz große Rolle zu spielen. Das eigentliche Spiel findet zwischen den USA und China statt und darum geht es im Kern eigentlich, und das ist die Tragik der koreanischen Halbinsel schon seit einigen Jahrhunderten letztlich.
Die US-Reaktion bestätigt die nordkoreanische Propaganda
Kapern: Das heißt, es müssten nicht so sehr Pjöngjang und Washington an einem Verhandlungstisch sitzen, sondern eher Washington und Peking?
Frank: Die müssten sich zunächst mal darüber einigen, beziehungsweise müssten dem Ganzen zustimmen. Am Ende sind die wichtigsten Parteien schon Pjöngjang und Washington, weil dort jeweils die Interessenlage sehr gegensätzlich ist. Im Augenblick, muss ich hinzufügen, unterstützen die USA übrigens auch das Regime in Nordkorea, indem sie genau das bestätigen, was dort den Menschen seit Jahrzehnten vorgebetet wird, nämlich dass sie unter Bedrohung der Amerikaner leben, und jetzt lassen die Amerikaner die Muskeln spielen und bestätigen das letztlich und liefern damit auch im Prinzip eine propagandistische Begründung für das Atomwaffenprogramm, das man ja in Nordkorea als Lebensversicherung ansieht.
Zwischenstufen bei Atomwaffenverhandlungen ratsam
Kapern: Nun hat es ja schon jahrelang Verhandlungen mit Nordkorea gegeben. Aber zu einem wirklichen Ende des Atomwaffenprogramms haben die nicht geführt. Warum glauben Sie, dass sich das noch ändern könnte?
Frank: Es ist immer die Frage, wie Sie ein Ende des Atomwaffenprogramms definieren.
Kapern: Vielleicht so, dass Nordkorea keine Atomwaffen mehr hat.
Frank: Da würde Nordkorea höchstwahrscheinlich erst zustimmen, wenn sie sicher sein können, dass die Amerikaner mit ihnen nicht so umgehen, wie sie mit dem Irak oder mit Libyen oder jetzt mit Syrien umgegangen sind. Es gibt allerdings auch einige Zwischenstufen, die man durchaus auch erreichen könnte, ein Einfrieren zum Beispiel, die Wiedereinführung von Kontrollen, um sicherzustellen, dass die Waffen nicht das Land verlassen, und Ähnliches. Die Amerikaner sind bis jetzt immer so rangegangen, dass sie den Nordkoreanern gesagt haben, passt mal auf, reden können wir gerne, aber wir fangen erst an zu reden, nachdem ihr komplett euer Atomwaffenprogramm aufgegeben habt, und da können die Nordkoreaner bloß darüber lachen, weil sie überhaupt kein Vertrauen in Washington haben und davon ausgehen, dass nur Stärke ihnen so was wie Augenhöhe garantieren wird. Da beißt sich die Katze letztlich in den Schwanz und das ist die Tragik der letzten Jahre.
China wird Nordkorea nicht fallen lassen
Kapern: Welche Mittel hätte eigentlich China, um Nordkorea möglicherweise doch noch zu größeren Konzessionen zu zwingen, als Pjöngjang bisher zu geben bereit war?
Frank: Einerseits ist es so, dass 90 Prozent des nordkoreanischen Außenhandels jetzt mit China stattfinden. Andererseits muss man sich schon fragen, wie relevant ist eigentlich der Außenhandel für die Stabilität des nordkoreanischen Regimes und der nordkoreanischen Volkswirtschaft, und das ist das größere Fragezeichen. Die nordkoreanische Volkswirtschaft wird wie gesagt seit 70 Jahren letztlich darauf ausgerichtet, so autark wie möglich zu sein. Zu 100 Prozent schaffen sie das nicht. Das heißt, Sanktionen tun ihnen weh und auch der komplette Abbruch aller Wirtschaftsbeziehungen mit China wäre katastrophal für Nordkorea. Aber würde es dazu führen, dass das Land zusammenbricht? Da bin ich mir nicht so sicher, denn auf den Fall bereiten die sich schon sehr lange vor. Das heißt, China hat Mittel, aber die Mittel sind begrenzt. Gleichzeitig muss China aufpassen, sich nicht selbst ins Knie zu schießen, denn Nordkorea spielt für China aus strategischer Sicht eine sehr wichtige Rolle. Und das darf man nicht vergessen: Es ist auch eine ganz wichtige Image-Frage. China ist gerade dabei, in der Region sich als neue Schutzmacht anzubieten, sozusagen als Alternative zu den USA. Jeder glaubt, dass Nordkorea so was wie ein Satellitenstaat Chinas ist, und entsprechend kann China Nordkorea nicht fallen lassen, ohne dabei jegliches Vertrauen bei allen zukünftigen Verbündeten in der Region zu verlieren. Das ist ein schweres Dilemma und das wissen auch alle und deswegen machen die Amerikaner auch so viel Druck auf die Chinesen.
Kapern: … sagt Rüdiger Frank, Korea-Experte von der Universität in Wien. Herr Frank, danke, dass Sie heute früh Zeit für uns hatten. Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag.
Frank: Danke, Ihnen auch. Auf Wiederhören.
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