Druck, Ängste, Zweifel - die mentale Belastung wurde für Hürdenläuferin Jackie Baumann zu groß. Die 24-jährige Tochter von Olympiasieger Dieter Baumann hatte Anfang August überraschend ihre Leichtathletik-Karriere beendet. "Irgendwann kommt man aus der Spirale nicht mehr raus, man ist gefangen in seinem eigenen Kopf." Im Deutschlandfunk hatte Baumann von Schlafstörungen und einer schnellen Gereiztheit berichtet.
Die Boxerin Sarah Scheurich kann die Probleme von Jackie Baumann sehr gut nachvollziehen und lobte im Sportgespräch die Entscheidung der jungen Leichtathletin. "Es ist schon ein sehr großer Druck", sagte Scheurich im Dlf. Sie selbst habe schon die Erfahrung machen müssen, aus Trainingslagern abreisen zu müssen, weil sie depressive Phasen hatte und dem Druck nicht mehr standhalten konnte. "Wir haben dann gesagt: 'Sarah hatte eine Bindehautentzündung und konnte deswegen kein Sparring machen', Ansteckungsgefahr und so, weil man das einfach nicht sagt. Das macht man halt nicht öffentlich."
Silvio Schirrmeister, ehemaliger Hürdensprinter, hat seine Karriere im September 2015 beendet, diesen Abschied begründete er mit einer harschen Kritik an der dualen Karriere. Schirrmeister arbeitet heute in Dresden als Sparkassenfilialleiter.
"Gar keine mentalen Kapazitäten mehr"
Im Deutschlandfunk berichtete er vom Stress zwischen seinen verschiedenen Rollen im Sport, Beruf und im Privaten, zwischen denen er nicht mehr klar habe trennen können. "Am Ende hatte ich gar keinen mentalen Kapazitäten mehr für die Menschen, die mir eigentlich wichtig sind", sagte Schirrmeister.
Die ehemalige Leistungsschwimmerin Petra Dallmann wurde in ihrer Karriere 2001 Weltmeisterin mit der 4x-100-Meter-Staffel und holte 2004 bei den Olympischen Spielen in Athen die Bronzemedaille mit der 4x-200-Meter-Staffel. Sie hatte während ihrer Laufbahn hauptsächlich positive Erfahrungen, aber die heutige Ärztin bietet seit Jahren eine Sprechstunde für Leistungssportler an und hilft diesen bei Problemen.
Guter Wechsel zwischen Sport und Studium
Dallmann erzählte, dass sie im Sport eigentlich eine Spätzünderin gewesen sei. Sie habe erst mit 20 Jahren richtig angefangen zu trainieren. Deswegen seien ihre Erwartungen nie sonderlich hoch gewesen. "Weder meine Familie noch irgendwelche Trainer haben jemals erwartet, dass ich mal für die deutsche Nationalmannschaft schwimme. Und das ist natürlich schön, denn alles, was man erreicht, ist ein Plus." Außerdem berichtete sie, dass ihr die Duale Karriere und das Wechseln zwischen Schwimmtraining und Medizinstudium gut getan hätten, da sie Ablenkung und Bestätigung in den jeweils anderen Bereichen bekommen habe, wenn es mal im Sport beziehungsweise im Studium nicht gut gelaufen sei.
Sie hätte durch ihre Karriere aber mitbekommen, dass andere Athleten Probleme haben und Unterstützung gebraucht hätten, so Dallmann. In ihrer Sprechstunde gehe es vor allem um psychische Probleme der Sportler. Dabei spielten vor allem Ängste, gedrückte Stimmung, Schlaf- und Essstörungen eine Rolle.
Silvio Schirrmeister betonte, ein Problem sei die zunehmende Professionalisierung des Sports bis in die jüngsten Altersklassen hinein. Bei Kindern und Jugendlichen fehle aber eine sportpsychologische Betreuung. Dies sei ein Versäumnis, wenn es darum gehe, die Junioren gut an den Leistungssport heranzuführen.
"Psychologische Betreuung müsste eigentlich Standard sein"
Sarah Scheurich unterstrich, wie wichtig es sei, offen über Probleme zu sprechen, denn dann merke man oft, dass man nicht als einziger psychische Probleme hat und könne viel besser damit umgehen. Sie spricht sich dafür aus, mehr Facetten als nur die Erfolge in einer Sportlerkarriere medial darzustellen.
In der psychologischen Betreuung sieht Scheurich noch Nachholbedarf: "Es müsste eigentlich Standard sein, dass jeder Sportler in der Nationalmannschaft irgendwie betreut wird. Nicht nur, weil man psychologische Probleme hat, sondern weil man mentale Stärke eben auch trainieren kann. (...) Und das sollte eigentlich selbstverständlich sein in jeder Nationalmannschaft und auch ein paar Klassen drunter."
Schirrmeister arbeitet heute auch als Funktionär in einem Eissportverein in Dresden. Er plädierte dafür, dass auch schon Nachwuchssportlern beigebracht wird, wie sie mit dem Druck umgehen können, vor einem großen Publikum in einem wichtigen Wettkampf zu stehen.