Archiv

Drusen in Israel und Syrien
Ein Leben zwischen den Stühlen

In Syrien auf den Golanhöhen sind Drusen oft Assad-Befürworter, und in Israel verstehen sie sich als treue Staatsbürger. Oft finden sie es schwer zu verstehen, wie sich die jeweils anderen zu ihrer Regierung verhalten.

Von Silke Fries |
    Schilder an der syrisch-israelischen Grenze auf den Golanhöhen
    In Madschdal Schams, dem nordöstlichsten Außenposten Israels, auf den Golanhöhen verstehen sich die Drusen weiter als Syrer. (dpa/picture-alliance/Reinhard Kaufhold)
    Kasem Al Safadi steht mitten im Kreisverkehr von Madschdal Schams, einem drusischen Städtchen auf den Golanhöhen, es liegt unmittelbar am Grenzzaun zu Syrien. Nichts ist ungewöhnlich an dem Treiben auf den Straßen, Menschen gehen zum Einkaufen, Kinder kommen von der Schule nach Hause, und nichts deutet darauf hin, dass direkt hinter Madschdal Schams Bürgerkriegsland ist. Kasem Al Safadi trägt einen imposanten weißen Schnauzbart, einen kegelförmigen weißen Hut, schwarze Kleidung. Daran erkennt man ihn als Eingeweihten – als Uqqal; nur sie wissen um die Geheimnisse der drusischen Religion. Al Safadi führt weg von der Straße und sagt, dass der friedliche Eindruck in Madschdal Schams trügt, auch hier seien die islamistischen Kämpfer eine Bedrohung.
    "Wir können uns hier in Madschal Schams nicht sehr sicher fühlen. Direkt am Grenzzaun hinter uns standen schon Kämpfer von der Al-Nusra-Front. Nicht weit von auf syrischer Seite ist Chader, das ist ein drusisches Dorf. Die islamistischen Rebellen hatten das Dorf umzingelt, aber unsere Brüder dort sind sehr stark."
    Ein Großteil der Golanhöhen ist seit dem Sechstagekrieg 1967 von Israel annektiert. Madschdal Schams wurde somit zum nordöstlichsten Außenposten Israels. International wird das nicht anerkannt. Die Drusen hier verstehen sich weiter als Syrer. Einmischung von außerhalb sei nicht erwünscht.
    "Wer entscheiden sollte, was geschieht in Syrien, das ist das syrische Volk. Nicht die Russen sollen sich einmischen, nicht die Deutschen, nicht die Israelis. Bei den letzten Wahlen in Syrien hat Baschar al-Assad die absolute Mehrheit bekommen. Also ist klar: Es ist der Wunsch des syrischen Volkes, dass Assad an der Macht bleibt."
    Viele Familienmitglieder von Kasem Al Safadi leben in der Nähe von Damaskus. Dort sind sie sicher, sagt er. Andere Drusen, etwa im Norden Syriens, waren von islamistischen Kämpfern angegriffen worden, viele starben. Kasem Al Safadi in Madschdal Schams vertritt die Mehrheitsmeinung auf dem Golan. Hier kommt es aber auch immer wieder zu Demonstrationen gegen das Regime von Baschar al-Assad, organisiert von jungen Aktivisten, die sich sowohl gegen das syrische Regime als auch gegen islamistische syrische Kämpfer richten. Sie lehnen aber auch die israelische Besatzung der Golanhöhen ab. Sie verstehen sich als syrische Drusen – und sitzen so zwischen allen Stühlen.
    Auch in der Nähe von Haifa in der Kleinstadt Daliat el-Carmel, machen sich die Drusen Sorgen um ihre Glaubensbrüder in Syrien. So hat zum Beispiel Hesham Shami Familie in Syrien. Der 60-jährige sitzt im Garten vor seinem Haus. Auch er trägt weißen Schnurrbart, den weißen Kegelhut, das schwarze Gewand, auch er ist ein so genannter Eingeweihter, einer der wenigen, die die heiligen Bücher der drusischen Religion lesen dürfen. Er versteht sich als Druse, als Israeli und als Araber. Heute verdient er sein Geld bei der israelischen Stromgesellschaft, früher war er beim Militär und beim israelischen Geheimdienst. Und Geheimnisse bewahrt er noch heute.
    "Wir stehen noch in Kontakt zu unseren Glaubensbrüdern in Syrien. Wir unterstützen sie auch finanziell, das geht aber natürlich nicht durch eine Banküberweisung. Aber wir haben unsere Wege, das Geld über die Grenze zu den Menschen in Syrien zu bringen."
    Die Familienbande sind eng, denn Druse kann nur sein, wer in eine drusische Familie hineingeboren wird. In Friedenszeiten gibt es Hochzeiten auch über die syrisch-israelische Grenze hinweg. Drusen von den Golanhöhen studieren selbst jetzt, in Kriegszeiten, in Damaskus und arbeiten dann oft im Anschluss in Israel als Ärzte oder Zahnärzte. Dass die Drusen von den Golanhöhen sich weiter als Syrer sehen, kann Hesham Shami nicht verstehen.
    "Ich fühle mich in Israel sehr gut, ich bin ein absoluter Israeli und überhaupt nicht diskriminiert. Im Gegenteil: Ich habe das Gefühl, dass man sich für mich als Drusen interessiert. In der israelischen Gesellschaft haben Drusen alle Posten inne: Vom einfachen Arbeiter bis zum hohen Militär, auch in der Regierung sind Drusen. Ich glaube: Wenn man morgen die Grenze zu Syrien öffnen würde und den Drusen auf dem Golan die Wahl ließe, dann würde keiner gehen. Ihre geografische Nähe aber zu den Glaubensbrüdern in Syrien verpflichtet sie wahrscheinlich, sich gegen Israel und für Syrien auszusprechen. Ich halte das für eine Dummheit."
    Der Zusammenhalt unter den Drusen ist eng. Auch jetzt, in Kriegszeiten, klappt die Kommunikation.
    "Ein Großteil meiner Familie lebt in Syrien. Vor dem Krieg haben wir miteinander telefoniert, heute gibt´s kein funktionierendes Telefonnetz mehr. Aber auch da gilt: Wir haben verschiedene Wege, Informationen von dort zu bekommen und wir können auch Ihnen sagen, wie es uns geht."
    So erfuhr er auch von dem Massaker an Drusen im Norden Syriens. Das musste eine Reaktion nach sich ziehen, sagt Hesham Shami. Er meint damit den gewaltsamen Tod eines verletzten islamistischen Rebellen, der im Sommer für die Behandlung nach Israel gebracht worden war.
    "Ich weiß, dass sich Drusen an der Grenze zu Syrien versammelt haben. Sie wussten, ein israelischer Krankenwagen würde vorbeikommen. Sie wollten den Kämpfern der Al Nusra-Front klar machen: Bis hier hin und nicht weiter. Und deswegen wurde ein ein Al Nusra-Kämpfer aus dem Krankenwagen gezerrt und erschlagen. Man wollte mit der Aktion signalieren: Das passiert mit Euch, wenn ihr unsere Glaubensbrüder angreift."
    Drusen hatten unter dem alawitischen Herrscherhaus Assad ein weitgehend gutes Leben, sagt Hesham Shami, auch wenn viele andere Syrer in den Folterkellern verschwunden seien. Was er jetzt fürchtet, sind Massaker durch sunnitische IS-Kämpfer oder Rebellen der Al Nusra-Front. Denn Drusen gelten als Abtrünnige, weil ihre Religionsgemeinschaft sich ursprünglich aus dem schiitischen Islam entwickelt hatte.
    "Wenn man mich fragt, dann ist Assad gut für die Drusen und gut für Israel. Er ist ein Mensch, er ist seit Jahren an der Macht. Wenn aber die Al Nusra-Front, die Hisbollah oder der Islamische Staat Oberhand gewinnen, dann weiß man nicht, mit wem man es zu tun hat. Natürlich ist Assad kein Demokrat und er mag auch Israel nicht, aber: Er ist für uns die beste Lösung."
    Das sagt er als Israeli, der in der Nähe von Haifa lebt. Und Kasem Al Safadi auf den Golanhöhen in Madschdal Schams sagt, er als Syrer sehe nur eine Lösung.
    "Baschar al-Assad ist der Präsident von Syrien – und er wird es bleiben. Im schlimmsten Falle wird er in Syrien sterben. Aber wir Drusen werden bis zum letzten Blutstropfen für das syrische Volk kämpfen."