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Dschihad
Eine Reporterin auf den Spuren der Islamisten

Die Journalistin Souad Mekhennet recherchiert seit den Anschlägen vom 11. September 2001 zum islamistischen Terrorismus. In "Nur wenn Du allein kommst" schildert sie ihre Arbeit, die Treffen mit Dschihadisten, schreibt über Radikalisierung und kulturelle Gräben.

Von Susanne El Khafif |
    31. Oktober 2017 - Gaza-Stadt, der Gazastreifen, Palästina - Kämpfer des Islamischen Jihad-Kämpfers (Hintergrundbild), Buchcover (Vordergrund)
    Es ist ihre Lebensgeschichte, und es ist die Suche nach dem, was für das Böse steht: Der Dschihadismus. (imago stock&people/ Mahmoud Issa / C.H.Beck Verlag)
    Ein ganz besonderes Buch, eine herausragende Autorin. Souad Mekhennet taucht ein in die dunkle Welt des Dschihadismus: "Trotz meiner Herkunft war mir unverständlich, was Atta und seine Helfershelfer angetrieben hatte. Hass auf die USA war mir völlig fremd. Ich hatte die Anschläge genauso wenig vorausgesehen wie jeder andere. Und jetzt fühlte ich mich geradezu verpflichtet, mehr über die Motivation dieser Männer in Erfahrung zu bringen."
    Die Autorin erzählt zweierlei Geschichten. Es ist ihre Lebensgeschichte, und es ist die Suche nach dem, was für das Böse steht: Der Dschihadismus. Beide Geschichten bedingen einander, gehen mehr und mehr ineinander über, sind am Ende miteinander verwoben.
    Souad Mekhennet, aus schiitisch-sunnitischer Familie, der Vater Marokkaner, die Mutter Türkin, wächst bei ihrer Großmutter in Marokko auf, in ärmlichen Verhältnissen – während die Eltern versuchen, sich in Deutschland eine bescheidene Existenz aufzubauen. Die Großmutter ist ihr Vorbild, eine starke Frau, die Unrecht und Willkür die Stirn bietet. In Deutschland angekommen stößt Mekhennet auf eine Gesellschaft, die sie als das Ausländerkind nicht annehmen will. Die Übergriffe in Hoyerswerda, Mölln und Solingen prägen ihr Verhältnis zu Deutschland – genauso aber auch Menschen, die ihr freiheitliche Werte vermitteln und Freunde werden.
    Die Hürden der Herkunft
    Als sie ihre journalistische Karriere beginnt und dabei immer wieder gegen Wände läuft - als Migrantin, als Muslimin - macht sie aus der Not eine Tugend. Sie wagt und gewinnt, wird Mitarbeiterin der Washington Post, später der New York Times. Mekhennet steigt klein ein, verdient sich mehr und mehr den Respekt der versierten, international aufgestellten Kollegen.
    All das erzählt Mekhennet in ihrem Buch "Nur wenn Du allein kommst" sehr offen und ehrlich, gesteht dabei Schwächen und Fehler, nimmt dann mit auf ihre Reisen, lässt teilhaben an ihren Begegnungen mit den Dschihadisten. Sie recherchiert in Europa, im Nahen und Mittleren Osten, wird dabei zur investigativen Journalistin par excellence: Eine disziplinierte, akribische Arbeiterin, geleitet vom richtigen Instinkt, getrieben von einem Wunsch: Der Wahrheit auf die Spur zu kommen.
    Ihre Enthüllungen sind spektakulär: Sie deckt auf, dass der Deutsch-Libanese Khaled al-Masri von der CIA entführt und gefoltert wurde. Sie enttarnt die wahre Identität von "Jihadi John", den Henker der Terror-Organisation IS, und sie findet bereits vor der französischen Polizei heraus, wer der Attentäter von Saint Denis war.
    Gefährlicher Kontakt zu Dschihadisten
    Nicht selten bringen sie die Recherchen in große Gefahr, lassen sie ungewollt Grenzerfahrungen machen:
    "Sie verbanden mir die Augen und führten mich den Korridor entlang. Zwei Männer hielten mich an Armen und Schultern, ein dritter folgte hinter mir. Die Schreie einer Frau drangen an meine Ohren, und einen Augenblick später merkte ich, dass sie mich in Richtung der Schreie führten. Ich holte tief Luft, versuchte so ruhig zu bleiben wie eben möglich. Vergewaltigen sie die Frau gerade? Haben sie dasselbe mit mir vor? Es ist nur dein Körper, hämmerte ich mir ein, was immer auch passieren mag. Einer der Männer atmete schwer in mein Ohr."
    Souad Mekhennet kommt zugute, dass sie mehrsprachig ist, sich in vielen Kulturen zurechtfinden kann. Damit gelingt ihr, was anderen verwehrt bleibt. Sie kann sich Kontakte aufbauen, verschafft sich Zugang selbst zu führenden Dschihadisten. Bei den Interviews verblüfft sie mit ihrer direkten, konfrontativen Art - ohne dabei Schaden zu nehmen. Ganz offensichtlich, weil ihr Gegenüber darauf vertraut, dass sie auch seine Version, seine Wahrnehmung von Wirklichkeit darstellt - über die Massaker in Bosnien, im Irak, in Afghanistan.
    Misstrauen erfährt Mekhennet in Europa. Ihr wird Parteilichkeit unterstellt, sie bekommt Hassbriefe und Morddrohungen.
    "Allmählich befielen mich tiefe Zweifel, ob meine journalistische Herangehensweise - nüchtern und objektiv zu bleiben, mit allen Seiten zu reden - überhaupt mit meiner Herkunft zu vereinbaren war. Stand ich als Muslimin nicht von vorneherein unter Verdacht? Es waren finstere Gedanken, die mich zweifeln ließen - an der angeblichen Unvoreingenommenheit des Westens gegenüber Fremden und all den vollmundigen Worten, mit denen Rede- und Gedankenfreiheit beschworen wurden."
    Die Schlussfolgerungen
    Souad Mekhennet ist Grenzgängerin. Es lässt sie anders denken und fühlen als eine Mehrheit. Und das macht sie angreifbar. Sie hat die Fähigkeit, sich in verschiedene Kulturen einzufühlen, um dann doch gegen den Strom zu schwimmen, sie hinterfragt, widerspricht - allen gleichermaßen:
    "Wenn die Staatschefs im Nahen Osten zur Besinnung kämen und endlich aufhören würden, einen sinnlosen konfessionellen Konflikt zu schüren - im Namen einer Religion, auf deren wahren Kern sich die Gläubigen anscheinend nicht zu einigen vermögen - hätte die nächste Generation in dieser Region endlich die Möglichkeit, sich mit Geschichte, Medizin und Mathematik zu befassen, statt vor Granaten und Bomben fliehen und ihr Dasein in Lagern oder auf der Straße fristen zu müssen."
    Sie weiß, wovon junge Männer und Frauen, die Hasspredigern aufsitzen, sprechen, weiß aus eigener Erfahrung, was es heißt, wegen Herkunft und Religion abgelehnt zu werden. Doch sie widerspricht, findet andere Antworten als die, die in den Dschihad ziehen. Sie fühlt sich europäischen Werten tief verbunden und stellt doch fest, dass ihre Meinung eben dort - in Europa - ungern gehört wird:
    "Manche Menschen im Westen wollen anderen Kulturen vorschreiben, was sie zu tun und zu lassen haben - als wäre unser Lebensstil der einzig wahre. Der IS argumentiert genauso. Gleichzeitig lassen wir zu, dass die fundamentalen Werte unserer Demokratien unterwandert werden, finden uns mit Geheimgefängnissen, Folterpraktiken und Massenüberwachung ab, während Opfer wie Khaled el-Masri nicht genug Macht besitzen, um die Vereinigten Staaten zur Rechenschaft zu ziehen."
    Souad Mekhennet ist eine herausragende Autorin. Und "Nur wenn Du allein kommst" ist ein ganz besonderes Buch - formal wie inhaltlich. Es ist ein Buch, in dem sich Memoiren, journalistische Recherche und politische Analyse auf eindringliche Weise miteinander verbinden. Ein Buch, das ausgesprochen spannend zu lesen ist, spürbar unter die Haut geht und dabei doch immer authentisch bleibt und der Realität verhaftet. Ein Buch, das vorführt, was wirklich guter investigativer Journalismus ist: Aufrecht, mutig und kritisch.
    Und doch ist das Buch mehr als das: Es provoziert. Es provoziert, Blickwinkel zu wechseln. Und Standpunkte zu überdenken.
    Souad Mekhennet: "Nur wenn Du allein kommst. Eine Reporterin hinter den Fronten des Dschihad"
    C.H.Beck, 384 Seiten, 24,95 Euro.