Archiv

Dschihadismus
Jugendlicher aus Caritas-WG kämpft für den IS

Obwohl die Caritas vieles richtig gemacht hat, kämpft jetzt einer ihrer Zöglinge für den IS: Der junge Mann hat jahrelang in einer Jugend-WG der Organisation gelebt. Man hatte alles versucht, seine Radikalisierung zu verhindern. Doch sowohl pädagogische Bemühungen als auch die Hilfesuche bei der Polizei liefen ins Leere.

Von Ludger Fittkau, Landeskorrespondent Hessen |
    Gruppe von IS-Kämpfern an der syrisch-irakischen Grenzen auf einem nicht näher bezeichneten Foto, dass die den Dschihadisten nahestehende Gruppe Albaraka News am 17. Juni 2014 auf Twitter veröffentlicht hat.
    Gruppe von IS-Kämpfern im irakisch-syrischen Grenzgebiet (dpa / Albaraka News)
    Die ARD-Dokumentation "Kalifat des Schreckens": Gezeigt wird Vedat, ein junger Mann aus dem Rhein-Main-Gebiet, der jetzt in Syrien für den IS kämpft. In einer Videosequenz wendet er sich an seine Mutter in Deutschland.
    "Mit geht es gut, ich habe alles was ich brauche..."
    Sozialarbeiter ist sprachlos
    Im Video rückt Vedat dann lächelnd ein Maschinengewehr in den Blickwinkel der Kamera. Später posiert er auf einem Foto mit dem abgeschlagenen Kopf eines Menschen. Als Volker Kuznierz dieses Bild sieht, ist er entsetzt. Denn er kennt den jungen Mann gut. Kuznierz hat den IS-Kämpfer von seinem 11. bis zu seinem 18. Lebensjahr in einer Jugendwohngemeinschaft des katholischen Wohlfahrtsverbandes Caritas betreut. Im ARD-Film nimmt der Sozialpädagoge zu dem Foto sichtlich bewegt Stellung:
    "Ich kenne ihn noch aus einer Zeit, wo er das abgelehnt hat, was die Sauerlandgruppe gemacht hat oder machen wollte oder in vielen Gesprächen mitteilte, dass er so was verurteilt, auch Anschläge. Als ich dann diese Fotos gesehen habe, mit dem abgeschlagenen Kopf, ist mir die Spucke weggeblieben."
    Versagen ja, Vorwürfe nein
    Inzwischen wird Volker Kuznierz von seinem Arbeitgeber abgeschirmt. Es gab zu viele Medienanfragen. Christine Hartmann-Vogel ist es jetzt, die über den IS-Kämpfer aus der Jugend-WG spricht. Sie ist die Presse-Kontaktfrau des Caritas-Verbandes in Frankfurt am Main:
    "Ja ich muss sagen, meine Kollegen waren geradezu geschockt, als sie das gehört haben, dass es zumindest von einem Jugendlichen eindeutig ist. Das ist ein ehemaliger Betreuter, der jetzt für IS in Syrien kämpft. Das ist natürlich in gewisser Weise schon ein Versagen, obwohl man jetzt keine Vorwürfe machen kann."
    Die Betreuer der Caritas-WG haben sich tatsächlich vorbildlich verhalten, als sie ab 2006 merkten, dass insgesamt sechs Jugendliche sich mehr und mehr dem Islam zuwandten. Sie organisierten eine Fortbildung zu aktuellen theologischen Strömungen im Islam, um mit den Jugendlichen diskutieren zu können. Sie bezogen eine muslimische Mitarbeiterin des Caritasverbandes in die Gespräche mit den Jugendlichen ein. Über die Moschee in der Nähe der WG, die die Jugendlichen besuchten, erkundigten sie sich bei der Polizei, so Christine Hartmann-Vogel:
    "Damals war es so, dass wir trotz allem doch schon etwas verwundert waren über diese sechs Jugendlichen, die dann zum Islam konvertiert sind und uns vorsorglich mit dem Staatsschutz in Verbindung gesetzt haben, um zu klären, ob diese Moschee, die in der Nähe der Einrichtung liegt und wo die Jugendlichen hingingen um zu beten, ob die in irgendeiner Weise als besonders extrem oder gefährlich oder radikal bekannt ist."
    2006 ist Salafismus kaum bekannt
    Nein, so lautete vor rund sieben Jahren die Antwort der Polizei. Damals war auch der Begriff Salafismus noch kaum bekannt. Die Caritas-Betreuer versuchten es deshalb vor allem mit Gesprächen, tolerierten aber aus Gründen der Religionsfreiheit, dass die die Jugendlichen in der Wohngemeinschaft regelmäßig beteten. Betreuer Volker Kuznierz begründet das im Fernsehen heute auch damit, dass man damals das Gefühl hatte, das Beten tue gerade Vedat gut:
    "Wir hatten das Gefühl, dass er durch die Religion wesentlich ruhiger wurde, dass das Beten ihm Kraft gegeben hat und ihr eher positiv verändert hatte zum damaligen Zeitpunkt."
    Als er 18 Jahre alt wurde, verließ Vedat die Caritas-WG. Was danach geschah, wissen die Betreuer nicht. Jugendliche, die in den Wohngruppen leben, sind wohl anfälliger für radikale Missionare in der Nachbarschaft als Gleichaltrige in intakten Familien. Darüber macht sich Caritas-Sprecherin Christine Hartmann-Vogel keine Illusionen:
    "Ja, grundsätzlich kann man sagen, dass Jugendliche die in Caritas-Einrichtungen, in der stationären Jugendhilfe aufgenommen werden, dass die natürlich aus schwierigen Verhältnissen kommen. In der Regel ist die Familie überfordert mit der Erziehung, ganz oft sind auch die Eltern schon vernachlässigt worden in ihrer Kindheit, das heißt, sie wissen gar nicht, wie eine Familie funktioniert. Wie man das organisiert. Und deshalb sind es meist Jugendliche, die keine Heimat haben, die entwurzelt sind und die nach Halt suchen."
    Einen Halt, den Vedat nun offenbar beim IS bekommen hat und nicht in einem bürgerlichen Leben in Frankfurt am Main oder Offenbach.
    "Und das ist schon auch eine Trauer, dass wir nicht die Ziele erreicht haben, die wir gerne erreicht hätten. Aber da sind eben Grenzen gesetzt."